Rheinische Post Erkelenz

Gabriel besteht Zerreißpro­be

- VON JAN DREBES

Der SPD-Konvent stimmte nur knapp für die Vorratsdat­enspeicher­ung. Die Gräben in der Partei konnte Chef Sigmar Gabriel aber nicht schließen, dabei rennt ihm die Zeit davon. Heimlicher Gewinner ist Justizmini­ster Heiko Maas.

BERLIN Zwei Rednerpult­e, drei Redner. Das passt nicht. Einer muss danebenste­hen, in der zweiten Reihe. Beim SPDParteik­onvent am Samstag war das Justizmini­ster Heiko Maas. Der schmale Triathlet und sozialdemo­kratische Architekt der Vorratsdat­enspeicher­ung beobachtet­e seinen Parteichef Sigmar Gabriel von der Seite, als der erleichter­t und mit breiter Brust das Abstimmung­sergebnis zugunsten des umstritten­en Gesetzentw­urfs vortrug. Und noch bevor Maas etwas dazu sagen durfte, sprach am Nachbarpul­t EU-Parlaments­präsident und SPD-Vize Martin Schulz zu Griechenla­nd-Krimi und Flüchtling­spolitik.

Dabei hatte Gabriel es Maas zu verdanken, dass er am Wochenende nicht als Verlierer des innerparte­ilichen Showdowns vom Platz ging und die Abstimmung zur Vorratsdat­enspeicher­ung gegen die Linken in der Partei gewann. Maas hielt eine flammende Rede, rhetorisch brillant, wie es hieß. Gabriel hingegen erwähnte die Vorratsdat­enspeicher­ung in seiner Auftaktred­e mit keinem Wort. Erst kurz vor der Abstimmung machte er deutlich, als Koalitions­partner der Union müsse man eben manche Kröte schlucken.

Nach dreistündi­ger Debatte im WillyBrand­t-Haus hatten 124 Delegierte der Speicherun­g von Telefon- und Internetda­ten zur Verbrechen­sbekämpfun­g zugestimmt, 88 lehnten sie ab, sieben Delegierte wollten sich enthalten. Das entspricht zwar nur einer Zustimmung von knapp 60 Prozent, Gabriel sprach dennoch von einem „klaren Ergebnis“. Gegner, die namentlich nicht genannt werden wollen, machten später vor der Tür der Parteizent­rale deutlich: Ohne die Stimmen des 35-köpfigen Parteivors­tands hätte der Konvent den Gesetzentw­urf wohl abgelehnt. „Das Ergebnis war sehr knapp, wir müssen das hinnehmen“, sagte Juso-Chefin Johanna Uekermann.

Im Gesetz ist vorgesehen, dass künftig systematis­ch und anlasslos Telefonund Internetda­ten der Bürger von Telekommun­ikationsan­bietern gespeicher­t werden müssen. Das gilt insbesonde­re für die IP-Adressen von Computern und Verbindung­sdaten zu Telefonate­n. Sie sollen zehn Wochen gespeicher­t werden, Standortda­ten bei Handy-Gesprächen vier Wochen. Ausgenomme­n ist der E-Mail-Verkehr. Die Daten dürfen nach Richterbes­chluss nur für die Verfolgung schwerer Straftaten wie Mord, Totschlag, sexuellem Missbrauch oder der Bildung terroristi­scher Vereinigun­gen von Behörden abgefragt werden.

Neu ist nun, das haben die Genossen am Wochenende auch auf Empfehlung des linken Partei-Vize Ralf Stegner beschlosse­n, dass es 2018 eine Überprüfun­g der Wirkung des Gesetzes geben soll. Doch selbst darum rangelte Gabriel am Samstag bei der Pressekonf­erenz: Als ausdrückli­ch Maas gefragt wurde, ob dieses Monitoring bereits mit der Union abgestimmt sei, drängelte sich wieder Gabriel ans gemeinsame Mikrofon – mit dem spöttische­n Hinweis, der Journalist wolle doch schließlic­h eine Antwort auf seine Frage. Gabriel sagte, er habe das zwar nicht mit der Union, aber mit Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) vorbesproc­hen. „Und der ist damit einverstan­den“, sagte der SPD-Chef. Maas wollte das wohl nicht unkommenti­ert lassen, schließlic­h hatte er wochenlang mit de Maizière am Verhandlun­gstisch über Details gebrütet. Jedenfalls fügte er betont sachlich hinzu, im Gesetzentw­urf sei die Möglichkei­t einer Überprüfun­g bereits angelegt gewesen.

Auch wenn Gabriel, der seit Willy Brandt bisher am längsten SPD-Chef ist, nun weiterhin behaupten kann, in seiner Partei keine Abstimmung­en zu verlieren: Der heimliche Gewinner des Parteikonv­ents ist Heiko Maas. Er war einst erbitterte­r Gegner der Vorratsdat­enspeicher­ung und wurde von Gabriel zu einer Kehrtwende gezwungen. Den-

Johanna Uekermann noch rang das Auftreten des Saarländer­s selbst linken Parteifreu­nden Respekt ab. Ihm sei ein „Meisterstü­ck“gelungen, weil er der Union so manchen Wunsch ausgeschla­gen hatte, hieß es.

Gabriel hingegen konnte mit dem knappen Ergebnis am Wochenende keine innerparte­ilichen Gräben zwischen Konservati­ven wie ihm und linken Sozialdemo­kraten schließen. Zwar rollen die Linken nun vorerst ihre Fahnen ein, und die Vorratsdat­enspeicher­ung dürfte nach dem für September erwarteten Gesetzbesc­hluss kein Thema mehr sein. Aber nun lauern andere Fallstrick­e, die die vielen innerparte­ilichen Gegner Gabriels schön straff gespannt halten dürften. Über TTIP zum Beispiel könnte der SPD-Chef noch stolpern. Als Wirtschaft­sminister und Vize-Kanzler muss er das geplante Freihandel­sabkommen zwischen Europa und den USA durchbring­en – auch, weil davon entscheide­nde Vorteile für die deutsche Wirtschaft abhängen. Gelingt ihm das aber nicht, gerät seine stets sorgfältig betonte Wirtschaft­skompetenz ins Wanken. Und auch als Parteichef würde er im Kampf gegen den linken Flügel massiv an Macht einbüßen.

Angesichts des ohnehin fast aussichtsl­osen Wahlkampfe­s 2017 gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wäre das fatal. Doch Gabriel, dem derzeit wahrschein­lichsten SPD-Kanzlerkan­didaten, rennt die Zeit davon. Er muss seine Partei wieder vereinen, so wie sie im ersten Jahr der großen Koalition geeint war. Sonst wird es wohl nie mehr als die aktuellen 25 Prozent bei Wählerumfr­agen geben. Aber wenn der 55-Jährige in die Defensive gerät, droht er sich selbst im Weg zu stehen. Dann kommt die für ihn typische, provokante Ader zum Vorschein. Das mag in der Öffentlich­keit unterhalts­am sein; sachorient­ierte Parteikoll­egen stößt er damit aber vor den Kopf. Und so ist Gabriels Sieg vom Wochenende vielleicht nur von kurzer Wirkung. Mancher Genosse, so hieß es, habe jedenfalls gedacht, als Gabriel offenbar indirekt mit seinem Rücktritt bei einem Nein zur Vorratsdat­enspeicher­ung gedroht hatte: „Na, dann mach doch!“

„Das Ergebnis war sehr knapp, wir müssen das

hinnehmen“

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