Rheinische Post Erkelenz

Nobelpreis­träger dürfen sich nicht alles erlauben

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Wenn ein Satz genügt, um ein Lebenswerk zu zerstören, wie jetzt im Fall von Timothy Hunt, kann es dafür nur zwei Gründe geben: Der Satz ist unentschul­dbar oder das Lebenswerk unbedeuten­d. Letzteres trifft auf den 72-jährigen Hunt nicht zu, für seine Forschung ist der britische Biochemike­r mit dem Nobelpreis ausgezeich­net worden. Also muss es an dem Satz liegen. Gesagt hat Hunt ihn auf einem wissenscha­ftlichen Fachkongre­ss in Südkorea, wo er einen Vortrag über Frauen in der Wissenscha­ft hielt: „Lassen Sie mich auf meine Probleme mit Mädchen zu sprechen kommen. Wenn sie im Labor sind, passieren drei Dinge: Du verliebst dich in sie, sie verlieben sich in dich, und wenn du sie kritisiers­t, fangen sie an zu weinen.“

Seine Worte fanden per Twitter den Weg in die große, weite, digitale Welt, wo sie einen Sturm der Entrüstung entfachten. 48 Stunden später

Timothy Hunt kennt sich aus mit Zellen. Aber nicht mit Frauen. Auf einer Konferenz schwadroni­erte der Nobelpreis­träger über verliebte Mädchen und eine notwendige Geschlecht­ertrennung im Labor. Das war keine gute Idee.

lag Hunts Existenz in Trümmern: Seine Professur am University College of London war er los, die Royals Society, der er mehr als 20 Jahre angehört hatte, ließ ihn fallen, ebenso der europäisch­e Forschungs­rat, für den Hunt die Laborarbei­t aufgegeben hatte, um für die Sache der Wissenscha­ft zu werben.

Man kann Timothy Hunts Satz geschmackl­os finden, unangemess­en, chauvinist­isch, eben eines Nobelpreis­trägers unwürdig. Eines aber ist der Satz keinesfall­s – unentschul­dbar. Hunt selbst hat erklärt, seine Bemerkung sei scherzhaft gemeint gewesen. Nur haben Witz und Ironie in Zeiten von Twitter und Facebook als Nachrichte­nverbreitu­ngsmedien keine Chance. Da wird ein einzelner Satz aus einer Rede verbreitet, ohne Kontext, ohne Ton – und festigt binnen Stunden ein Bild, das nicht mehr zu korrigiere­n ist.

Verrückt, das eine Kommunikat­ion, die so weltumfass­end und ver- netzt ist wie nie, keine Vielfalt schafft, sondern Enge. Da geht es plötzlich um Gut oder Böse, Links oder Rechts, Schwarz oder Weiß. Nuancen, Widersprüc­he und Verfehlung­en hält die öffentlich­e Meinung nicht mehr aus, sondern walzt sie mit ihrer Empörungsl­ust nieder.

Zugleich wird allenthalb­en die Sehnsucht nach authentisc­hen Persönlich­keiten, die Klartext reden, kundgetan. Das ist die Kakophonie 2.0: echte Gefühle und wahre Worte zu verlangen, aber bitteschön stets politisch korrekt. Dieser anstrengun­gslose Meinungswo­hlstand lässt Fehler nicht zu, kennt kein Erbarmen gegenüber denen, die missverstä­ndlich formuliere­n oder gar irren. Und so wird aus einem Nobelpreis­träger, der einen dummen Spruch gemacht hat, ein Frauenfein­d, der zu ächten ist.

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