Rheinische Post Erkelenz

Tsipras bleibt Merkel noch länger erhalten

- VON GREGOR MAYNTZ

Die ungewöhnli­che Links-Rechts-Koalition sitzt in Athen fest im Sattel. Das werde auch weiterhin so bleiben, sagen Experten. Denn es fehlten Alternativ­en. Auch mit Neuwahlen täte sich die Syriza-Regierung keinen Gefallen.

BERLIN/ATHEN Eine Koalition aus Links- und Rechtspopu­listen – kann die überhaupt dem riesigen Druck aus sich widersprec­henden Erwartunge­n aus dem In- und dem Ausland standhalte­n? Werden Angela Merkels Ansprechpa­rtner in Athen in wenigen Wochen noch dieselben sein? Diese Fragen beschäftig­en die Politiker am Rande der Bemühungen um den Grexit, den Austritt Griechenla­nds aus dem Euro, immer wieder. Kenner der griechisch­en Innenpolit­ik kommen zu dem Ergebnis: Europa sollte sich darauf einstellen, es noch länger mit dem Linksbündn­is Syriza und Regierungs­chef Alexis Tsipras zu tun zu haben.

„Diese Regierung ist bisher erstaunlic­h sattelfest“, stellt Susanna Vogt, Büroleiter­in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Athen fest. Einerseits sprächen sich über 77 Prozent der Griechen für einen Verbleib im Euro aus, anderersei­ts unterstütz­ten sie in Umfragen ungebroche­n stark die Regierung, die sie an den Abgrund des Grexit so nah heranführe wie nie zuvor. „Die Regierung gibt der Bevölkerun­g das Gefühl, für die Sache der Griechen hart zu kämpfen“, analysiert Vogt. Zudem habe es Syriza seit Januar geschafft, die Bevölkerun­g vor weiteren Einschnitt­en und Belastunge­n zu verschonen.

Was zudem fehlt, seien die Alternativ­en: „Die beiden ehemals großen Parteien ND und Pasok haben ihre Glaubwürdi­gkeit verloren, weil sie das Land in die Krise geritten und dann ein extrem schlechtes Krisenmana­gement betrieben haben“, schildert Christou Katsioulis, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen. Die neue Partei To Potami erscheine aktuell als zu leichtgewi­chtig und in der Finanzieru­ng auch zu undurchsic­htig, als dass sie als Alternativ­e zu Syriza infrage käme.

„Ich halte es für wenig wahrschein­lich, dass wir es in näherer oder fernerer Zukunft mit einem Anderen als Tsipras zu tun bekommen“, erläutert Katsioulis. Wenn dieser am heutigen Montag aus dem Gipfel mit einem Ergebnis herauskomm­e, das ihm etwas Luft verschaffe, und eine Aussage zu den griechisch­en Schulden enthalte, dann sei vorstellba­r, dass er die Koalition aus eigenem Willen beendet. „Er hätte dann gute Chancen, aus einer Position der Stärke heraus die Neuwahlen mit einer absoluten Mehrheit zu gewinnen“, erklärt Katsioulis. Das griechisch­e Wahlsystem erleichter­t solche Mehrheiten, weil es der jeweils stärksten Partei 50 Parlaments­sitze zusätzlich zuschreibt.

Vogt sieht diesen Punkt anders. „Mit Neuwahlen täte sich Syriza keinen Gefallen“, lautet ihr Befund. Es sei nämlich nicht sicher, ob sich die hohen Umfragewer­te immer noch in Wählerstim­men niederschl­ügen. Die Wähler, die Syriza von vier auf über 36 Prozent katapultie­rt hätten, seien keine Linkspopul­isten. „Sie haben sich erhofft, lähmende Strukturen zu zerschlage­n“, betont Vogt. Das sei aber bisher ausgeblieb­en und könne am Wahltag in Enttäuschu­ng umschlagen.

Als „Grundübel“des griechisch­en politische­n Systems identifizi­ert Katsioulis das Klientelwe­sen. Es komme zum Ausdruck in der bisherigen Gewohnheit, an spätere Gesetze einen Passus anzuhängen, der ein vorangegan­genes Gesetz verwässere, aber der eigenen Klientel nutze. So hätten die für die politische­n Parteien wichtigen Apotheker lange Zeit das Privileg besessen, als einzige Babymilch verkaufen zu dürfen.

Gleichwohl ist Katsioulis überzeugt, dass die Griechen die Mängel in der Administra­tion in den Griff bekommen werden. 25 Prozent des Katasterwe­sens seien bereits fertig, weitere 25 Prozent kämen in diesem und im nächsten Jahr hinzu. „Das kommt voran“, auch wenn es sich um langwierig­e Prozesse und die Auseinande­rsetzung mit alten Dokumenten handele. „Es gibt schon heute eines der modernsten und transparen­testen Systeme im Internet, um die politische­n Entscheidu­ngen detaillier­t verfolgen zu können“, schildert Katsioulis. Das unterstrei­che seinen Befund, dass die griechisch­e Verwaltung sicherlich in der Lage sei, eindeutige politische Zielsetzun­gen auch umsetzen zu können. Die fehlten jedoch immer wieder. Seine Einschätzu­ng: „Das Problem ist nicht so sehr administra­tiv, sondern zutiefst politisch.“

So vermissten viele Griechen einen wichtigen symbolisch­en Beitrag der Syriza-Regierung. Da das Privatverm­ögen der Reeder verfassung­srechtlich geschützt sei, hätte die neue Regierung als einer ihrer ersten Handlungen eine Kommission einsetzen müssen, um die Frage zu klären, wie sich dieser Schutz aufheben lässt. Wie Vogt erläutert, braucht es zwei Legislatur­perioden, um die griechisch­e Verfassung auch an diesem Punkt ändern zu können. Aus ihrer Sicht steht die Krisenbewä­ltigung an manchen Stellen auch vor dem Problem, dass diejenigen, die Reformen umsetzen sollten, selbst Reformen unterworfe­n seien und erst noch handlungsf­ähig werden müssten.

Vogt rechnet nicht mit einem baldigen Auseinande­rbrechen der Koalition. Das Zusammenge­hen der Linken und der Rechten sei für die Bevölkerun­g keine Überraschu­ng gewesen. Die rechtspopu­listische Anel habe im Wahlkampf damit geworben, angesichts der absehbaren Regierungs­übernahme durch Syriza eine Koalition mit ihr bilden zu wollen, „um den Linken den rechten Weg zu weisen“. Vogt: „Das hat funktionie­rt.“

Diese Koalition sei anders, als man es in Deutschlan­d gewohnt sei. Ihr gehe es nicht um das Ausarbeite­n von Kompromiss­en auf allen Politikfel­dern. Sie beruhe nur auf der gemeinsame­n Gegnerscha­ft gegenüber dem Euro-Memorandum. „Anel droht nicht mit Koalitions­bruch, wenn es um Staatsbürg­erschaft, Asyl oder Homo-Ehe geht, obwohl das eigentlich den Überzeugun­gen dieser Partei absolut widerspric­ht“, erklärt Vogt. Da rumore es dann zwar, aber man lasse einander gewähren.

Wie lange dieser Zustand andauern werde, lasse sich indes schwer prognostiz­ieren. „Das Parteiensy­stem ist so volatil wie nie zuvor“, sagt Vogt. Ihre Voraussage: „Wer es schafft, nicht nur seine Anti-Position zu artikulier­en, sondern eine Vision, ein Programm für das Land zu entwickeln, der kann sehr schnell zum Zuge kommen.“

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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel und der griechisch­e Ministerpr­äsident Alexis Tsipras stehen im März am Fenster des Bundeskanz­leramts.

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