Platz 6: Smiths, „How Soon Is Now?“
Identifikationshymne aller Schwermütigen: Nie klang Weltschmerz schöner.
DÜSSELDORF Wäre die Popmusik ein Haus, der englische Sänger Morrissey würde den mit roter Seide ausstaffierten Salon bewohnen. Ein an Oscar Wilde geschulter Spötter, den die Verheerungen der Adoleszenz zum Zyniker haben werden lassen. Mit den herzblutschweren Songs seiner Band The Smiths wurde er in den 80er Jahren für jene zum Helden, die sich ausgeschlossen wähnten. Er war der Grund, dass sie sich nicht mehr verzagt fühlen mussten, sondern erhaben vorkommen durften, elitär und überlegen. Weltschmerz als Ausweis von Ritterlichkeit – dafür sind sie ewig dankbar.
„How Soon Is Now?“aus dem Jahr 1985 ist ein untypischer Song für die Smiths und zugleich ihr schönster. Johnny Marrs psychedelische Gitarre am Anfang hat etwas von Voodoo, er ließ sich dazu von der deutschen Band Can inspirieren. Die Akkorde umkreisen den Hörer, wickeln ihn ein, nehmen ihn gefangen. Morrisseys Stimme schwebt über diesem Strudel, sie ist Welt und Raum enthoben. Es ist der letzte Abend auf der Titanic: Die Nacht ist tief, der Eisberg nah, und Morrissey will trotzdem möglichst viel Schönheit in die letzten Augenblicke bringen. Er, der sich selbst so oft mit seiner eigenen Kunstfigur verwechselt, klagt: „Ich bin ein Mensch, und ich will geliebt werden.“
Steven Patrick Morrissey heißt dieser Dandy, und er ist einer der wenigen Künstler, die kein Publikum haben, sondern eine Gemein- de. Er macht dem Hörer ein Angebot: Identifiziert euch mit mir oder hasst mich! „Somebody has to be me – it can’t be you.“Es geht bei den Smiths nur am Rande um die Musik, es geht um mehr: jemanden zu haben, an dem man sich ausrichtet. Einen Schutzpatron, der den Versehrungen der Welt die Erstausgabe des „Dorian Gray“entgegenhält.
Narzissen warf Morrissey zu Smiths-Zeiten, Symbol seiner exaltierten Schwermut. Seine Band produzierte überhaupt nur vier Studioalben, aber die gehören zu jenen Platten, die ich aus einem brennenden Haus retten würde. Wann beginnt endlich die Gegenwart? „Da gibt es einen Club, wo du jemanden kennenlernen könntest, der dich wirklich liebt“, heißt es in „How Soon Is Now?“. „Du gehst hin, und du stehst alleine herum. Und du gehst heim, und du willst sterben.“
Wenn sich das Leben so anfühlt, ist man doppelt froh, jemanden wie Morrissey zu haben. Info Unter www.rp-online.de/holsteins100 berichtet Leserin Julia Doppelfeld aus Duisburg, was sie mit The Smiths verbindet. Unter #holsteins100 kann man bei Twitter Vorschläge machen, eigene Listen veröffentlichen und Kommentare senden.