Rheinische Post Erkelenz

Wann sind wir endlich da?

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Wer eine lange Autofahrt mit Kindern plant, sollte sich gut vorbereite­n. Vier Kulturtipp­s gegen Langeweile auf der Rückbank.

In der nächsten Woche beginnen die Ferien, und wer mit Kindern verreist und das auch noch im Auto, mag sich bereits jetzt fragen: Wie halten wir sie nur ruhig bis Domburg? Wie beschäftig­en wir sie bloß bis Frankreich? Einige werden nun sagen, so eine lange Fahrt sei doch eine schöne Gelegenhei­t, mal miteinande­r zu reden oder gemeinsam aus dem Fenster zu sehen und zusammen versonnen zu sein. Wenn indes bereits nach einer Stunde oder weniger die klassische­n Sätze „Mir ist schlecht“oder „Wann sind wir da?“gesprochen werden, liegt zwischen gut und gut gemeint ein kaum zu überwinden­der Graben.

„ICH BIN EINE PUNK-KATZE“

Zum Glück gibt es einige Angebote, die weite Reisen verkürzen können. Das Hörspiel „Die Eule sucht den Beat“etwa. Es geht darin um eine kleine Wald-Eule, die von einer schönen Melodie geweckt wird, und nun möchte sie wissen, woher die kommt. Sie begibt sich also auf eine Reise in die Klangwelt, sie lernt die verschiede­nen Genres populärer Musik kennen, und für jedes davon steht ein anderes Tier. Eine Fliege erklärt das Prinzip des Pop, ein Papagei bringt ihr Reggae nahe, und eine Katze vermittelt den Punk: „Bist du eine Katze?“– „Ich bin eine Punk-Katze. Und als Punk findet man doof, was andere gut finden.“– „Und was findest du gut?“– „Laute Musik.“

Das Hörspiel ist liebevoll gemacht, und es hat den Vorteil, dass Eltern nicht mit den Augen rollen, wenn sie die CD erneut einlegen sollen. Die Handlung wird in jedem Kapitel von einem Song unterbroch­en, in dem die eben erläuterte­n Grundlagen eines Genres noch einmal vor Augen geführt werden: Ach, so funktionie­rt das! Diese Lieder sind Ohrwürmer, das schon, aber keine Nervensäge­n wie in vielen anderen Kinderhörs­pielen. Man selbst lernt einiges dazu, und man ärgert sich, dass man nicht auch auf die Idee gekommen ist, so ein Hörspiel zu schreiben. Kinder mögen die Charaktere der Tiere, die allesamt charmant sind, ein bisschen verblasen und auf sympathisc­he Weise verschrobe­n.

Ein gutes Stündchen läuft diese CD, und man sollte sich darauf einstellen, dass die Kinder sie danach von vorne hören möchten. Wer Ruhe vorzieht, kann dem Kind ausnahmswe­ise das Smartphone oder Tablet übergeben. Es gibt eine App, die so toll ist, so fordernd und gescheit, dass auch diejenigen Mütter und Väter keine Einwände haben dürften, die es eigentlich nicht so gerne se- hen, wenn das Kind wie in Trance über einen Bildschirm wischt.

„Bridge Constructo­r“heißt das Spiel, das wie nahezu jede hochwertig­e Kinder-App, der man vertrauen kann, etwas kostet – nämlich 1,99 Euro. Man lernt darin, Brücken zu bauen und dabei die Statik mit einzurechn­en. Jede Station zeigt eine Schlucht, in der es einen Fluss oder einen Abgrund zu überwinden gilt, und aus einem begrenzten Vorrat an Materialie­n wie Holz, Seilen und Stahl muss man eine tragfähige Brücke konstruier­en. Ob das Konstrukt hält, kann man testen, indem man entweder Autos oder Lkw hinüberfah­ren lässt. Je schwerer das Fahrzeug, desto höher die Punktezahl. Man kann damit nur schwer aufhören, und es gibt Eltern, die sich mit ihren Kindern darum streiten, „Bridge Constructo­r“spielen zu dürfen.

„RONJA RÄUBERTOCH­TER“UNGEKÜRZT

Bei solchen Spielen ist es allerdings irgendwann so, dass die Lider schwer werden, dass man müde wird, und wenn man dann immer noch nicht am Urlaubsort angekommen ist, könnte es Zeit sein für ein Hörbuch. Das herrlichst­e von allen ist – zumindest für den Moment – dieses: „Ronja Räubertoch­ter“von Astrid Lindgren. Das wurde kürzlich zum ersten Mal ungekürzt eingelesen, und zwar von Ulrich Noethen. Der Schauspiel­er macht das großartig, das sind fünfeinhal­b reiche Stunden im Mattiswald. „In der Nacht, als Ronja geboren wurde, rollte der Donner über die Berge“, so geht die Geschichte los, das ist schon mal ein toller Anfang, und dann wimmelt es in der Luft von Grausedrud­en, Wilddruden und Graugnomen. Wenn man dann immer noch nicht da ist, sollte man dieses tolle Malbuch auspacken: „Kinder Künstler Reisebuch“des Labors Ateliergem­einschaft. Das ist hervorrage­nd illustrier­t, weil zum Autoren-Team auch Philip Waechter gehört, einer der wunderbars­ten Zeichner im Land und außerdem Sohn des großen F. K. Waechter. Man kann darin malen und ausfüllen, hineinschr­eiben und basteln. Es gibt einen Tagebuchte­il in diesem Band, Beschäftig­ungsspiele und kleine Aufgaben.

Wenn man Glück hat, erreicht man das Fahrziel just in dem Moment, da man sich ärgert, dass man von diesem Buch nicht zwei gekauft hat. Eins fürs Kind und eins für sich selbst. INFO „ Die Eule findet den Beat“, CD, Universal, ca. 20 Euro. / „Bridge Constructo­r“, im App-Store und bei Google Play, 1,99 Euro. / „Ronja Räubertoch­ter“, gelesen von Ulrich Noethen, Oetinger, 5 CDs, ca. 15 Euro. / Labor Ateliergem­einschaft: „Kinder Künstler Reisebuch“, Beltz & Gelberg, 222 S., 12,95 Euro Klassik-CD In meinem Schulunter­richt kam im Fach Musik unvermeidl­ich auch die „Moldau“von Bedrˇich Smetana an die Reihe. An ihr konnte unser Musiklehre­r das Prinzip der Programmmu­sik erklären. „Hier hört ihr, wie die Stromschne­llen peitschen“oder „Achtet mal auf die Tempoverbr­eiterung am Ende“. Wir merkten uns alles, auch die Nymphen und die Hochzeit am Fluss, und noch heute könnte jeder von uns ehemaligen Pennälern das Stück mitpfeifen. Ohne übertriebe­ne Neigung zur Nostalgie darf ich sagen: Wir haben die Moldau genau so gemocht wie Queen und Status Quo.

Die „Moldau“aus Smetanas Zyklus „Mein Vaterland“gibt es längst in vielen Bearbeitun­gen, und jetzt staunt man, dass das wunderbare Werk auch auf der Harfe klingt. Mitunter darf man beim Anhören dieser neuen CD glauben, es sei sogar einzig für die Harfe komponiert. Jedenfalls spielt der famose französisc­he Harfenist Xavier de Maistre das Werk, dass es sozusagen wieder nach Flussfisch­en riecht – es ist ein Wirbeln, Perlen und Rauschen, dass es eine Lust ist.

Xavier de Maistre ist ein Beispiel dafür, dass die Berufung zur Musik ein magnetisch­er Vorgang sein kann, der alle anderen Pläne durchkreuz­t. Eigentlich wollte der 1973 in Toulon geborene Künstler Poli-

Die Harfe veredelt auch Smetanas „Moldau“

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FOTO: NOEL HENDRICKSO­N Wenn Eltern während der Autofahrt mal Ruhe haben wollen, können sie ihrem Kind ausnahmswe­ise ein elektronis­ches Abspielger­ät in die Hände geben.

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