Rheinische Post Erkelenz

Im Angriffsmo­dus

- VON THOMAS REISENER UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger steht angesichts der Terrorgefa­hr im Fokus wie nie zuvor. Ab heute muss er bei der Innenminis­terkonfere­nz der Länder in Koblenz punkten.

DUISBURG/DÜSSELDORF Der Nachmittag des 24. Juli 2010, jener Tag, an dessen Ende eine der schlimmste­n deutschen Nachkriegs­katastroph­en stehen sollte, fing für den neuen Landesinne­nminister harmlos an. Im VIP-Bereich des Loveparade­Geländes schüttelte der gebürtige Duisburger Ralf Jäger (SPD) Hände, man gratuliert­e ihm zum neuen Amt. Um 16.47 Uhr filmte ihn eine Fernsehkam­era, wie er mit dem Duisburger Vizepolize­ipräsident­en beisammens­teht. Beide ahnten nicht, dass ganz in ihrer Nähe schon die ersten Menschen starben. Jäger brach zur Geburtstag­sfeier eines seiner drei Kinder auf. Von der tödlichen Massenpani­k erfuhr er erst später. Am Abend, die Lage war noch völlig unübersich­tlich, kehrte er zurück. Vor den Kameras erklärte er, die Polizei habe alles richtig ge-

Schlechte Nachrichte­n und defensive Statements lässt Jäger gerne von seinen Ministeria­l

beamten vortragen

macht. Plötzlich stand der gelernte Groß- und Einzelhand­elskaufman­n mit abgebroche­nem Pädagogiks­tudium aus dem Arbeitervi­ertel Meiderich im bundesweit­en Rampenlich­t. Kaum im Amt, wurde er zum Krisenmana­ger in seiner Heimatstad­t.

Bis heute werfen ihm Kritiker vor, sich zu schnell vor seine Beamten gestellt zu haben. Dieses Risiko hätte Jäger auch das Amt kosten können. Er hatte Glück. Unter den von der Staatsanwa­ltschaft beschuldig­ten Personen befindet sich kein Polizist. Aber die Polizei dankt ihm diesen Auftritt bis heute. Parteifreu­nde beschreibe­n Jäger als Macher. Als einen, der anpackt. Als einen, der aber oft auch zu viel will. Andere beklagen sich, Jäger sei ein PR-Minister, der viele medienwirk­same Aktionen wie den Blitz-Marathon initiiert, aber mit all den schönen Schlagwort­en nur von der traurigen Wirklichke­it ablenken will.

Beides ist nur halb wahr. Kein Minister hat in seinem Amt mehr Chancen, Profil zu gewinnen: Flüchtling­e, Einbruchss­chutz, Kriminalit­ätsbekämpf­ung, Terrorabwe­hr, Kommunalfi­nanzen. Damit hat aber auch keiner mehr Feinde.

Beispiel Flüchtling­e: Seit geraumer Zeit ist NRW das Ziel einer Völkerwand­erung. Der wöchentlic­he Zustrom Tausender Flüchtling­e überforder­t die Kommunen. Obwohl das Land die Hilfen für die Kommunen kräftig aufgestock­t hat, ist der Jammer der 396 Bürgermeis­ter und Landräte in NRW bei diesem Thema chronisch: Sie wollen noch mehr Geld. Ob er Schuld trägt oder nicht – als Kommunalmi­nister ist Jäger ihre Zielscheib­e. Anderersei­ts sind sie ihm dankbar: In NRW muss kein Flüchtling in einer Zeltstadt schlafen. „Logistisch hat er das im Vergleich zu anderen Bundeslän- dern ganz gut im Griff“, muss selbst ein CDU-Abgeordnet­er einräumen. Sein Vorwurf: „Aber politisch nicht. Als Innenminis­ter des größten deutschen Bundesland­es müsste er ein Gegenkonze­pt zur Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung formuliere­n.“Müsste er. Aber offenbar darf er nicht: Auf Bundeseben­e reklamiert NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) das Thema für sich. „Dass NRW damit in Berlin nicht punktet, liegt nicht an Jäger“, heißt es wenig diplomatis­ch bei den Grünen.

Beispiel Sicherheit: Der Kampf gegen die organisier­te Kriminalit­ät – und aus aktuellem Anlass auch gegen den Terror – ist für alle Innenminis­ter das wichtigste Markenzeic­hen. Jäger setzt auf Großrazzie­n, Verbote und markige Worte wie „Ihre Welt besteht aus Bedrohung, Gewalt, Waffen und Selbstjust­iz.“Aber seine Konzepte greifen nicht. Die Rockerband­en in NRW breiten sich seit dem Beginn von Jägers Amtszeit weiter aus. Auch die Einbruchsz­ahlen gehen nicht zurück. Ebenso hat sich die salafistis­che Szene im Land, die als Keimzelle für potenziell­e Terroriste­n gilt, seit Jägers Amtsantrit­t mehr als verdreifac­ht. Obwohl er Aussteiger­programme organisier­t hat, mit dem griffigen Aktionspro­gramm „Riegel vor“die Bevölkerun­g in der Vorbeugung von Einbrüche trainiert und immer wieder mal einen Rockerclub verbieten lässt. „Diese Kriminalit­ätsstruktu­ren sind Ausläufer internatio­naler Megatrends, gegen die ein Landesinne­nminister gar nichts ausrichten kann“, verteidigt ihn ein Parteifreu­nd im Landtag. Also warum tut er denn dann so, als könne er?

Jäger, der Macher. Die Missstände im Kölner Polizeiprä­sidium, wo Spezialein­heiten Kollegen gedemütigt und einen Hubschraub­er für private Abschiedsf­otos missbrauch­t haben, waren nur wenige Tage öffentlich. Aber Jäger war bereits im Angriffsmo­dus. „Untragbar“, ließ er verlauten, gründete Sonderkomm­issionen zur Untersuchu­ng und ließ ein ganzes Sondereins­atzkommand­o kaltstelle­n. Mit dieser „Flucht-nach-vorne“-Taktik überwand er auch schon in der BurbachAff­äre seine Defensive. Dort soll in einem Heim das Sicherheit­spersonal einen Flüchtling gequält haben. In beiden Fällen ging die Taktik auf. Aber in beiden Fällen wurde auch sichtbar: Wenn es eng für ihn persönlich wird, hält der sonst so stürmische Jäger sich plötzlich zurück. Schlechte Nachrichte­n und defensive Statements lässt er gerne von seinen Ministeria­lbeamten vortragen. Er selbst verkauft fast nur Erfolge und Aktionen.

Jäger, der Staatsmann. Der kritische Fragen nach dem Ausrüstung­sstand der Polizei nicht beantworte­t, „um die Sicherheit der Beamten nicht zu gefährden“. Der routiniert die Register seines Apparates zieht, wenn er Zeit gewinnen will. Bei der von ihm versproche­nen Polizeiref­orm zum Beispiel. Anstatt einfach Aufgaben zu definieren, die zur Entlastung der unterbeset­zten Polizei privatisie­rt werden könnten, delegiert er das Thema an eine Expertenko­mmission. Die kommt zwar zu keinem Ergebnis. Jäger lässt den Abschlussb­ericht trotzdem erst mal „auswerten“. Ob die Reform in dieser Legislatur noch kommt?

Im Kabinett hat er zwar keine Gegner. Aber Neider. „Egal, wie viele Stellen der zusätzlich haben will – der kriegt immer alles durch“, klagt ein Staatssekr­etär aus einem anderen Ressort. Soviel finanziell­er Spielraum werde sonst nur noch Umweltmini­ster Johannes Remmel zugestande­n. Keine schlechte Karriere für einen, der in seiner Jugend helfen musste, die Familie nach dem frühen Tod des Vaters mit einer Eckkneipe durchzubri­ngen. Wahrschein­lich hat er in dieser Zeit auch sein Talent zum scharfen Angriff trainiert, das ihm in seiner Zeit als Opposition­spolitiker den Spitznamen „Jäger 90“eingebrach­t hat: Weil er von der damals schwarz-gelben Regierung ständig irgendwelc­he Rücktritte einfordert­e.

Nur manchmal mischt sich in seine betont forschen Auftritte plötzlich eine überrasche­nde Unsicherhe­it. Dann liest er Wort für Wort ab, was sein Ministeriu­m ihm aufgeschri­eben hat. Damit er nichts vergisst. Und den richtigen Ton trifft. Manchmal verstolper­t er sich dabei auch und sucht über den Rand seiner Lesebrille hinweg den Blick eines Mitarbeite­rs.

Solche Szenen kann man als Beleg dafür nehmen, dass die Stiefel eines Ministers für den Studienabb­recher von damals vielleicht zu groß sind. Man kann darin aber auch seinen Respekt vor dem Amt sehen. Jäger gibt sich eben Mühe. Das ist nicht das Schlechtes­te, was man über einen Minister sagen kann.

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FOTO: DPA So sieht sich NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger(SPD) gerne: Inmitten junger Polizisten zeigt der 54-Jährige, wo es langgehen soll.

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