Rheinische Post Erkelenz

SPD will Union bei Integratio­n antreiben

- VON JAN DREBES

Gleich vier Bundesmini­sterinnen und eine wahlkämpfe­nde Ministerpr­äsidentin haben einen „Integratio­nsplan“vorgelegt. Damit wollen sie nun den Ton in der Flüchtling­sdebatte angeben. Kosten: fünf Milliarden Euro. Pro Jahr.

BERLIN Es war schon eine etwas skurrile Veranstalt­ung, ungewöhnli­ch allemal: Umringt von vier Bundesmini­sterinnen, alle von der SPD, durfte die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (auch SPD) gestern ihre Flüchtling­sund Integratio­nspolitik der Hauptstadt­presse vorstellen. Alle paar Sätze gab es zustimmend­es Nicken ihrer Parteifreu­ndinnen, und dann stellten alle zusammen einen umfangreic­hen Zwölf-Punkte-Plan für die gesellscha­ftliche Integratio­n von Flüchtling­en vor. „Neustart in Deutschlan­d. Für ein Jahrzehnt umfassende­r Gesellscha­ftspolitik“lautet der Titel des Papiers etwas kryptisch. Mit Investitio­nen von Bund und Ländern will die SPD demnach Bildung, Arbeit und Wohnungsba­u massiv vorantreib­en. Kostenpunk­t: rund fünf Milliarden Euro zusätzlich – pro Jahr.

Viele der Vorschläge sind indes nicht neu, die Dreyer gemeinsam mit Familienmi­nisterin Manuela Schwesig, Integratio­nsstaatsmi­nisterin Aydan Özoguz, Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles und Bauministe­rin Barbara Hendricks präsentier­te. So solle das Kooperatio­nsverbot fallen, das dem Bund bisher nicht erlaubt, direkt in Kitas und Schulen Geld zu pumpen (die Union hält daran fest). Und auch der Plan aus Hendricks’ Ressort, 350.000 neue Wohnungen pro Jahr zu errichten, ist bekannt. Allerdings sollen zudem 80.000 neue Kitaplätze mit 20.000 weiteren Stellen für Erzieher und 100.000 neue Arbeitsmög­lichkeiten für Geringqual­ifizierte entstehen.

Das komme auch Flüchtling­en zugute, sagten Schwesig und Nahles. Zumal die Chefin des Arbeitsres­sorts betonte, ein wesentlich­er Punkt des neuen Integratio­nsplans sei es, dass künftig Flüchtling­e schon Arbeit aufnehmen sollten, während sie noch einen Sprachkurs besuchen. Und damit Männer wie Frauen daran teilnehmen können, müsse die Ganztagesb­etreuung für Flüchtling­skinder wieder gewährleis­tet werden, sagte Dreyer. Fehler aus der Vergangenh­eit, etwa im Umgang mit Gastarbeit­ern und deren Familien, dürften bei der Integratio­n der derzeit ankommende­n Flüchtling­e jedenfalls nicht wiederholt werden, sagten alle fünf SPDPolitik­erinnen übereinsti­mmend.

Doch was war nun der Sinn und was war der Zweck ihres Auftritts? War das Wahlkampf für die daheim unter Druck stehende Ministerpr­äsidentin Dreyer (Nahles: „Ich habe ja das Glück, in diesem Land zu leben“)? War es ein Gegenentwu­rf zum just zur gleichen Zeit stattfinde­nden „Flüchtling­sgipfel“von Dreyers Herausford­erin Julia Klöckner, der Chefin der rheinland-pfälzische­n CDU (sie führt derzeit die Umfragen mit rund 40 zu 30 Prozent gegen Dreyer an)? Oder war es eine Positionie­rung starker SPD-Frauen vor dem in einer Woche startenden Bundespart­eitag in Berlin, bei dem die Partei nicht weniger vorhat, als eine Strategie für den Weg aus dem Dauerumfra­getief zu finden und das Vorstandsp­ersonal in seinen Ämtern zu bestätigen?

Die Antwort liegt wahrschein­lich in der Mitte, es war von allem etwas. Vor allem jedoch will die SPD mit dem teuren, aber an vielen Stellen erstmals ausformuli­erten und aufeinande­r abgestimmt­en Maßnahmenp­aket der Union beim Thema Integratio­n endlich voraus sein. Der Fachbereic­h ist ein ureigener der Sozialdemo­kraten – peinlich, wenn die Konservati­ven ihnen da die Butter vom Brot nähmen.

Schließlic­h musste die SPD schon in der von der Union befeuerten Debatte um Transitzon­en hinterherl­aufen, bremsen, blocken und am Ende doch einem gemeinsame­n Entwurf zustimmen, wenn auch unter dem Titel „Willkommen­szentren“. Ähnlich lief es bei beschlosse­nen Verschärfu­ngen des Asylrechts wie einer ersten Einschränk­ung des Familienna­chzugs und auch bei Themen abseits der Flüchtling­spolitik, etwa der hart erkämpften Zustimmung der SPD zur umstritten­en Vorratsdat­enspeicher­ung.

Und so betonte Fraktionsc­hef Thomas Oppermann gestern, dieser neue Integratio­ns-Plan werde künftig bei allen Gesprächen mit der Union über die Flüchtling­spolitik auf den Tisch kommen. Man werde sich jetzt „voll darauf konzentrie­ren“und nicht kleckern, sondern klotzen. Will heißen: Die SPD gibt nun den Ton an, wenn es um Einglieder­ungsmaßnah­men von Flüchtling­en geht. Aber ob da die Union mitspielt? Wohl kaum. Am Rande der Fraktionss­itzung wollte Kanzleramt­schef Peter Altmaier das Papier nicht kommentier­en. Eine stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der Union sagte aber, sie habe sich von dem Konzept der SPD mehr erwartet. „Bei so geballter Fachkompet­enz hätte ich auf mehr Kreativitä­t gewettet“, spottete sie.

 ?? FOTO: DPA ?? Integratio­nsbeauftra­gte Aydan Özoguz, Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer, Familienmi­nisterin Manuela Schwesig und Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (v.l.) gestern. Es fehlt Umweltmini­sterin Barbara Hendricks, die Fünfte im Bunde.
FOTO: DPA Integratio­nsbeauftra­gte Aydan Özoguz, Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer, Familienmi­nisterin Manuela Schwesig und Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (v.l.) gestern. Es fehlt Umweltmini­sterin Barbara Hendricks, die Fünfte im Bunde.

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