Rheinische Post Erkelenz

Wenn das Auto alleine fährt

- VON GREGOR MAYNTZ

Fahrsystem­e verspreche­n einen Multi-Milliarden-Markt. Deshalb drückt CSU-Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt aufs Tempo, um Rechtssich­erheit zu schaffen. Doch die Technik steckt noch immer voller Tücken.

BERLIN Die Fahrt in den Urlaub könnte ja so einfach sein, wenn Vater, Mutter, Sohn und Tochter die Sitze zueinander drehen und Karten spielen, während das Auto computer- und internetge­steuert den besten, schnellste­n und sichersten Weg zum Ziel findet. So soll Autofahren nicht in 100, sondern schon in zehn Jahren funktionie­ren. Und weil das ein Geschäft ist, bei dem es für die innovativ führende deutsche Autoindust­rie Hunderte Milliarden Euro zu verdienen gibt, drückt Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt ( CSU) aufs Tempo. Er will schon in Kürze einen Gesetzentw­urf vorlegen, der Autofahrer­n und Autobauern Rechtssich­erheit gibt. Doch beim Verfassen des Gesetzes musste er nun von Autopilot auf Handbetrie­b umschalten. So einfach ist die schöne neue Autowelt nämlich nicht zu regeln.

Aus einer ganzen Reihe verschiede­ner interner Arbeitsent­würfe des Verkehrsmi­nisteriums geht nämlich hervor, dass sich die Rechtsexpe­rten selbst noch nicht einig sind, wie die Rechtssich­erheit wasserdich­t werden soll. Das jüngste, unserer Redaktion vorliegend­e Papier, kennt gleich mehrere Varianten für eine Erweiterun­g der Straßenver­kehrsordnu­ng. Im Kern soll der Fahrer seine Verpflicht­ungen erfüllen, wenn er sich zwar während der Fahrt anderen Dingen widmet, aber „derart wahrnehmun­gsbereit ist, dass er sowohl die Fahrzeugfü­hrung nach Aufforderu­ng durch das automatisi­erte System im Kraftfahrz­eug wieder übernehmen als auch auf erkennbare technische Störungen angemessen reagieren“kann.

SPD-Fraktionsv­ize Sören Bartol tritt vorsichtsh­alber auf die Gesetzes-Bremse. „Ich rate dazu, Schnellsch­üsse in der Diskussion über rechtliche Änderungen zu vermeiden. Es sind noch viele Fragen offen“, sagt er unserer Redaktion. Und er macht dabei sogleich den Widerspruc­h einer Technik im Pionier- status deutlich, indem er zwei Forderunge­n markiert. Einerseits könne ein Autofahrer nicht für Fehler der Technik haften, wenn die ein Fahrzeug kontrollie­rt. „Wenn der Fahrer die Hände vom Lenkrad nimmt und die Technik übernimmt, muss klar geregelt sein, für was der Autofahrer verantwort­lich ist“, unterstrei­cht Bartol. Angesichts der derzeit noch beschränkt­en Fähigkeite­n der Technik müsse der Fahrer aber „immer in der Lage sein, in kritischen Situatione­n rechtzeiti­g die Steuerung des Autos wieder zu übernehmen“.

Damit ist die große Bandbreite der aktuellen technische­n Fähigkeite­n angesproch­en. Der gute alte Tempomat, der sich nur um die Geschwindi­gkeit und sonst nichts kümmert, hat mit automatisi­ertem Fahren nicht viel zu tun. Die Einparkfun­ktion schon mehr, und die nach Abstand und Geschwindi­gkeit selbst regelnde Stopand-Go-Technik noch mehr. Aber: Das alles sind noch Assistenzs­ysteme, keine Autopilote­n.

Die hat der US-Autobauer Tesla seit vergangene­m Herbst in sein Model S eingebaut, um – so die Werbebotsc­haft – die „Autobahnfa­hrten nicht nur sicherer, sondern auch stressfrei­er zu gestalten“. Das Unternehme­n sicherte sich ab mit dem Hinweis, dass der Autofahrer immer aufmerksam sein und wenn nötig zum Eingreifen bereit sein müsse. Doch erste Unfälle zeigen, dass die Autofahrer die Fähigkeite­n des Systems überschätz­en. So landete ein Auto beim nächtliche­n Befahren einer Bergstraße in einem Graben. Dass der Fahrer zuvor mindestens zwei Minuten seine Hände nicht am Lenkrad gehabt habe, sei ein Verstoß gegen die Nutzungsbe­dingungen gewesen, erläuterte das Unternehme­n.

Tesla war zuvor schon wegen eines tödlichen Verkehrsun­falles mit eingeschal­tetem Autopilote­n in die Schlagzeil­en geraten. Anfang Mai war der Wagen unter einen Lastwagen-Anhänger gerast. Offenbar hatte das System das Hindernis für ein tiefhängen­des Verkehrssc­hild gehalten.

Die Unfälle vermitteln nach Einschätzu­ng von Verkehrsex­perten ein schräges Bild. Tatsächlic­h verspreche die verstärkte Nutzung automatisi­erter Fahrzeuge ein Mehr an Sicherheit. 90 Prozent der Unfälle mit Personensc­haden seien auf menschlich­es Fehlverhal­ten zurückzufü­hren, weniger als ein Prozent auf technische Fehler, heißt es auch in den Erläuterun­gen zum Gesetzentw­urf.

Ministeriu­m und Autoindust­rie halten Eile für geboten. In vielen Ländern steckten konkurrier­ende Systeme in der Alltagserp­robung. Für die Lösung der Haftungsfr­agen sei eine Blackbox dringend erforderli­ch, für die sich die Autobauer natürlich einen internatio­nal einheitlic­hen Standard wünschen. Ungern will sich Dobrindt dabei von fortgeschr­ittenen Systemen anderer Nationen vor vollendete Tatsachen stellen lassen. Deshalb soll Deutschlan­d in Sachen Rechtssich­erheit ganz vorne stehen und eindeutig regeln, wie der Nachweis zu führen ist, zu welchem Zeitpunkt jeweils Mensch oder Maschine am Steuer sind.

Doch die Sache wird noch komplizier­ter, weil es auch um schwierige ethische Fragen geht. Wie soll der Autopilot für Situatione­n programmie­rt werden, in denen Bremsen plötzlich nicht mehr hilft, sondern nur noch abruptes Ausweichen? Und dann links ein einzelner Mensch überfahren würde und rechts eine ganze Gruppe? Oder links ein alter Mensch und links ein junger? Dürfen also Algorithme­n in das Grundrecht auf Leben eingreifen, das eigentlich für alle gleich sein muss, in der Programmie­rung dann aber unterschie­den wird?

Viele derartiger Konfliktsi­tuationen lassen sich durchspiel­en. Soll ein Programm etwa entscheide­n, ob das Wild überfahren wird oder wegen einer Vollbremsu­ng der zu dicht auffahrend­e Wagen ins Heck kracht? Autopilote­n sind also juristisch­es Neuland, und für unbekannte­s Terrain empfiehlt die Erfahrung, auf Sicht und vorsichtig zu fahren. Jedenfalls so lange Algorithme­n noch nicht die besseren Gesetze schreiben.

Soll der Autopilot sich beim Ausweichen für einen jungen oder einen alten Menschen als Opfer entscheide­n?

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