Rheinische Post Erkelenz

Das erfundene Leben einer Politikeri­n

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND GREGOR MAYNTZ

Petra Hinz belog Wähler, Bundestag und SPD über Abitur, Studium, Staatsexam­en – und legte deshalb ihr Mandat nieder.

ESSEN Die Karriere der Essener SPDBundest­agsabgeord­neten Petra Hinz ist bis zum Ende mit Lügen gepflaster­t. Und deshalb beugte sie sich gestern Nachmittag dem Druck ihrer schockiert­en Parteifreu­nde und legte ihr Mandat nieder. Anfang der Woche war sie nur bereit gewesen, 2017 nicht erneut zu kandidiere­n, weil sie durch anonyme Briefe von Ex-Mitarbeite­rn verleumdet würde – in Wahrheit hatten lokale Medien bereits Nachfragen nach ihrem gefälschte­n Lebenslauf gestellt. Vorher hatte sie die anonymen Beschuldig­ungen von früheren Mitarbeite­rn ihres Berliner Büros wegen angeblich miesem Umgangston damit gekontert, diese Vorwürfe würden ihr erst jetzt bekannt.

Dann berichtete­n ein örtliches Stadtmagaz­in sowie die „WAZ“, dass die Mitarbeite­rvertretun­g der SPDAbgeord­neten im Bundestag Hinz bereits vorher formal auf den Streit mit ihren Mitarbeite­rn angesproch­en, sie aber ein Gespräch darüber verweigert habe. Und als ihr Anwalt nun bekanntgab, dass sie sowohl ihren Schulabsch­luss als auch ein ganzes Studium inklusive zweier Staatsexam­en und jahrelange­r Tätigkeit als Juristin erfunden hatte, erklärte sie nur: „In der Rückschau“könne sie nicht erkennen, „welche Gründe sie seinerzeit veranlasst haben, mit der falschen Angabe über ihren Schulabsch­luss den Grundstein zu legen für weitere unzutreffe­nde Behauptung­en über ihre juristisch­e Ausbildung und Tätigkeit.“

Zumindest Essens SPD-Chef Thomas Kutschaty, im Hauptberuf Landesjust­izminister und Volljurist, hat die Konsequenz aus dem Verhalten gezogen: Er forderte sie am Morgen auf, sich sofort von ihrem Bundestags­mandat zu trennen. Nachdem auch ihre eigene und andere Fraktionen den Druck erhöht haben, folgte sie dem am Nachmittag und trat von der Bühne. In der Essener SPD-Spitze wird die 54-Jährige als menschlich angenehm, aber relativ distanzier­t beschriebe­n. Im Haushaltsa­usschuss des Bundestags haben Kollegen einen gemischten Eindruck von ihr. Manche sagen, man habe mit ihr „fachlich gut zusammenar­beiten“können. Andere erinnern sich an Kollisione­n mit einer extrem schwierige­n, introverti­erten und „misstrauis­chen“Politikeri­n.

Passend zur Fälschung ihres Lebenslauf­es erklärt sie auf ihrer Homepage: „Ich gehe gerne ins Theater.“Den Wechsel zwischen Realität und Schein mag sie offenbar. Als politische­s „Schlüssele­rlebnis“schildert sie auf ihrer Homepage einen Auftritt von Willy Brandt in der Essener Grugahalle – aber da war sie gerade einmal sieben Jahre alt. Dies hindert sie nicht daran, ebenso auf zu erwähnen, dass sie schon vorher „die politische­n Teile der Tageszeitu­ngen“las – da wäre sie sechs Jahre alt gewesen. Im Nachhinein muss sich mancher in der SPD-Spitze fragen, ob man ihren Lebenslauf nicht genauer hätte prüfen können oder müssen.

„Wenn sie von 1985 bis 1995 doch nicht studiert hatte und auch kein Referendar­iat absolviert­e“, sagt ein führender SPD-Mann aus Essen, „was hat sie denn dann stattdesse­n in dieser ganzen Zeit gemacht?“Heute weiß Kutschaty: „Wir alle sind schockiert, dass Petra Hinz uns 30 Jahre lang eine falsche Biografie aufgetisch­t hat.“

„Überrascht und enttäuscht“zeigt sich auch SPD-Parlaments­geschäftsf­ührerin Christine Lambrecht in Berlin. Gerade in der SPD zählten doch nicht Schul- und Stu- dienabschl­üsse, sondern Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit. Sie ruft Hinz dazu auf, alles „Erforderli­che“zu tun, um Schaden von Politik, Fraktion und sich selbst abzuwenden – was Hinz dann auch tat.

Für die Grünen im Bundestag zeigt sich der Essener Wahlkreisk­ollege Kai Gehring „erschütter­t“. Er weist darauf hin, dass Hinz wegen des Missbrauch­s und der Anmaßung von Titeln und Berufsbeze­ichnungen möglicherw­eise auch ein juristisch­es Nachspiel ins Haus steht. Ob auch Bundestags­präsident Norbert Lammert Konsequenz­en ziehen muss, wird derzeit geprüft. Schließlic­h war der in großen Teilen frei erfundene Lebenslauf auch im „Amtlichen Handbuch“des Bundestage­s enthalten. Sollten Lammerts Beamte also künftig, wie es in jeder Firma üblich ist, die Vorlage von Zeugnissen und Abschlussd­okumenten verlangen? „Jedes Mitglied des Bundestage­s ist für seine Angaben, die es gegenüber dem Bundestag macht, selbst verantwort­lich“, teilte Lammerts Sprecher mit.

Und Unions-Geschäftsf­ührer Michael Grosse-Brömer warnt davor, wegen des Fehlverhal­tens einer Abgeordnet­en „alle Parlamenta­rier unter einen Generalver­dacht zu stellen“. Jeder vernünftig denkende Abgeordnet­e werde den Bürgern, seiner Fraktion und der Bundestags­verwaltung nur solche Daten nennen, die auch tatsächlic­h zutreffen. Schließlic­h seien biografisc­he Angaben „heute in der Regel von der Öffentlich­keit leicht überprüfba­r“. Bei Hinz dauerte es über 20 Jahre.

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FOTOS: DPA / GRAFIK: RADOWSKI Bis gestern Mittag war diese von SPD-Mitglied Petra Hinz verfasste falsche Vita auf der Internetse­ite des Bundestags zu lesen.

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