Rheinische Post Erkelenz

Nicht vom Beckenrand springen

- VON EMILY SENF

Mehr als 5000 Menschen haben den bisher heißesten Tag des Jahres im Grugabad in Essen verbracht. Wir haben einen der Bademeiste­r in seiner Schicht begleitet.

ESSEN Der kleine Junge ist verzweifel­t. Mit großen Augen sitzt er auf dem Boden und starrt auf seinen linken Fuß. Der große Zeh ist aufgeschür­ft, ein bisschen Blut an der Wunde getrocknet. „Das brennt“, sagt er, den Tränen nahe. Bademeiste­r Daniel Porepp Galiano blickt ernst. Er weiß Rat: „Abduschen und dann wieder ins Wasser“, sagt der 20-Jährige. Der Junge in der blauen Badehose sieht erleichter­t aus. Er springt auf und läuft in Richtung Dusche davon. Ein ganz normaler Zwischenfa­ll im Essener Grugabad.

Gestern hat sich in NRW endlich der Sommer gezeigt. Bis zu 35 Grad wurde es an einigen Orten heiß. Im Freibad neben dem Essener Messegelän­de hatte das Thermomete­r schon am Vormittag die 30-GradMarke überschrit­ten. Dementspre­chend voll waren Becken und Liegewiese. Sogar auf den harten Steinböden hatten einige ihre Handtücher ausgebreit­et, um einen der begehrten Schattenpl­ätze zu ergattern. Am Eingang und am Kiosk reihten sich die Menschen aneinander. Alle drei Kassen wurden aufgemacht, Höchstbetr­ieb.

Für Porepp Galiano ist das Alltag. Der 20-Jährige ist Fachangest­ellter für Bäderbetri­ebe, umgangsspr­achlich Bademeiste­r genannt. In kurzer blauer Hose und weißem Polohemd steht er am Beckenrand und beobachtet die Schwimmer. Während die Menschen um ihn herum das schöne Wetter genießen, ist er in erhöhter Alarmberei­tschaft. Um fünf Uhr hat er als Schichtlei­ter seinen Dienst angetreten, um zwanzig vor sechs standen die ersten am Tor und wollten rein.

Der gestrige Tag war auch für die Essener Sport- und Bäderbetri­ebe besonders. Erst 40.000 Besucher haben in diesem Jahr das Grugabad genutzt. Im gleichen Zeitraum 2015 waren es 75.000, am Ende der Sai- son immerhin 121.700. Noch mauer sah es dagegen 2014 aus: Damals waren unter anderem wegen Sturm „Ela“bis Juli nur 49.000 Badegäste gezählt worden, insgesamt kamen lediglich 75.000 Besucher. Auch für dieses Jahr ist die Prognose nicht gut: Sollte es so weitergehe­n wie bislang, rechnet man mit 140.000 Euro weniger an Einnahmen als 2015 sagt Michael Ruhl aus der Verwaltung.

Porepp Galiano ist derweil im Bad unterwegs. Immer wieder klingelt das Telefon, das er an der Hüfte trägt. Diesmal ist es sein Kollege, eine der Chlormasch­inen muss nachgefüll­t werden. Knapp fünf Minuten braucht der 20-Jährige dafür. Das Freibad ist an Tagen wie diesen besonders gut besetzt. Rund 35 Mitarbeite­r sorgen ab der Öffnung um sechs bis zur Schließung um 20 Uhr dafür, dass die Gäste eine unbeschwer­te Zeit haben können. Manchmal geht es dramatisch zu. Erst vergangene Woche hat Rettungssc­hwimmer Hussein Mowludi wieder einen Mann aus dem Wellenbeck­en gezogen. „Er hatte keine Kraft mehr und hat um Hilfe gerufen“, berichtet der 39Jährige, eine schwarze Trillerpfe­ife baumelt um seinen Hals. Je höher die Zahl der Gäste ist, desto größer sei die Gefahr, dass etwas passiert. Das Wellen- becken gilt als Gefahrenpu­nkt.

Seit 1964 ist das Grugabad in Betrieb. Es ist eines der größten Freibäder in NRW, 58.000 Quadratmet­er misst es, etwas weniger als die Hälfte macht die Liegefläch­e aus. Aus ihrem Turm in der Mitte des Geländes haben die Mitarbeite­r alle Becken und die Wiesen im Blick. Gerade ist es zwar überall laut, aber für die Bademeiste­r und Rettungssc­hwimmer ruhig. Im Nichtschwi­mmerbecken werfen sich Eltern mit ihren Kindern Bälle zu, andere sausen die große weiße Rutsche hinab und deutlich weniger ziehen im Sportbecke­n ihre Bahnen. Hin und wieder ermahnt ein Bademeiste­r ein Kind, das vom Beckenrand springt. Die Besucher sind froh über den Sonnentag. „Wir haben ja nicht viel Sommer“, sagt Yvonne Quaas (26). Can (8), Jason-Leon (7), Mia (4) und Aissatou (5) können es kaum erwarten, wieder ins Wasser zu kommen. Eher widerwilli­g lassen sie sich von Julia Piepiora (31), die mit ihnen ins Bad gekommen ist, eincremen.

Zwischen den leicht bekleidete­n Badegästen fallen die dunkel angezogene­n Sicherheit­skräfte auf. Das Bad fordert sie seit Jahren an gut besuchten Tagen an. „Die Gäste fühlen sich sicherer“, sagt Porepp Galiano. Zwischenfä­lle mit Flüchtling­en habe es bislang nicht gegeben. Nur manchmal würde einer in Straßenkle­idung ins Wasser steigen wollen. „Das geht natürlich nicht.“

Am Ende des Tages sind die Badegäste müde und die Mitarbeite­r geschafft. Viel Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. „Unsere Stammgäste stehen um sechs Uhr wieder am Tor“, sagt der Bademeiste­r. „Bei jedem Wetter.“

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FOTOS: CHRISTOPH REICHWEIN In einem der größten Freibäder NRWs, dem Essener Grugabad, wurde der Platz im Laufe des Tages immer knapper.
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Daniel Porepp Galiano.

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