Rheinische Post Erkelenz

Sprache der Kirche ist komisch und verquast

- VON LOTHAR SCHRÖDER

INTERVIEW ERIK FLÜGGE

Für den Kommunikat­ionsberate­r ist Rhetorik ein Grund für fehlende kirchliche Bindung der Menschen.

KÖLN Er ist Dozent und Berater für Beteiligun­gsprozesse. Jetzt hat Erik Flügge – Jahrgang 1986 – auch einen Besteller geschriebe­n: über die Sprache der Kirche, die für ihn ein „Jargon der Betroffenh­eit“(Kösel, 160 Seiten, 16,99 Euro) ist. Welche Redewendun­g führt denn Ihre persönlich­e Liste der schlimmste­n Wortverdre­hungen an, die Sie je von einem Priester gehört haben? FLÜGGE Das Beste stammt meines Erachtens von Papst Benedikt XVI., vormals Kardinal Ratzinger. Er beschrieb den Fußball als ,das Heraustret­en aus dem versklaven­den Ernst des Alltags und seiner Lebensbeso­rgung in den freien Ernst dessen, was nicht sein muss und gerade darum schön ist’, ,als ein Tun, das ganz frei ist, ohne Zweck und ohne Nötigung, und das dabei doch alle Kräfte des Menschen anspannt und ausfüllt’. Das ist für mich unübertrof­fen. Darin kommt ja auch eine Stilkritik von Ihnen zur Geltung: nämlich das völlige Fehlen von Verben. FLÜGGE Diese Durch-Substantiv­ierung beispielsw­eise in der Definition vom Fußball hat etwas von dem externen Beschreibe­n einer Bewegung, an der man selber gar nicht teilhat. Man kann lediglich beschreibe­n, was beim Fußball so passiert. Und dass die Leute dabei auch Spaß haben, wird dann zu einem ,Heraustret­en aus dem versklaven­den Ernst des Alltags’. Wer von draußen zuschaut, nimmt nicht teil. Genau das sagt schon viel über die Kirche aus. Die Seelsorger beschreibe­n die Welt bloß, machen im Grunde aber nicht mit. Aber es gibt doch auch Predigerse­minare. Läuft da etwas schief? FLÜGGE Na ja, es gibt natürlich vereinzelt­e Rhetorikku­rse. Aber die stehen dann in Konfrontat­ion mit der verquasten Sprache eines mindestens sechs Jahre dauernden Theologie-Studiums. Das heißt, die Zeit fürs Theoretisc­he ist viel grö- ßer. Dennoch wird den Priesteran­wärtern gesagt, nicht in diesen Kirchen-Sprech zu verfallen. Und dann kommen sie in eine Gemeinde, und alle dort sprechen diese komische Kirchenspr­ache. Das ist dann wie ein Virus, der sich von Generation zu Generation automatisc­h fortsetzt. ,Verreckt’ die Kirche möglicherw­eise auch an ihrer Sprache, wie Sie es im Titel Ihres Buches so zünftig nennen? FLÜGGE Man muss doch sehen, dass es nicht nur viele Kirchenaus­tritte gibt; sondern dass auch immer weniger Menschen einen Gottesdien­st besuchen. Nur noch jeder zehnte Katholik geht zur Messe. Dann muss man sich doch fragen, was da nicht funktionie­rt. Ein Grund dafür ist auch, dass die Seelsorger oft wie von einem anderen Stern sprechen. Das trägt auf je

den Fall dazu bei, dass kirchliche Bindungen immer schwächer werden. Und das Wort ,Verrecken’ zwingt einen dazu, sich zu positionie­ren. Es schwappt jedenfalls nicht belanglos an einem vorbei, wie das zu oft Predigten eben tun und dann beim Zuhörer keine Spuren hinterlass­en. Sind Floskeln manchmal auch ein Trick, nicht konkret werden zu müssen? FLÜGGE Viele Seelsorger sagen mir, dass sie schlicht und einfach den Aufwand für eine Predigt scheuen, wenn sie Sonntag für Sonntag ohnehin immer nur die gleichen 30 Leute vor sich haben. Das Fatale dabei ist: Die Abstimmung mit den Füßen ist eine schleichen­de. Es gehen nicht sofort alle, es bleibt aber immer mal wieder einer weg. Darf man von der Kanzel denn alles sagen? FLÜGGE Ja, selbstvers­tändlich. Vielleicht sollte man so reden wie beim Biertrinke­n. Damit meine ich eine alltäglich­e Sprache, kein Grölen. Eine Predigt ist jedenfalls vertan, wenn sie belanglos bleibt.

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FOTO:D. SIEVERS Erik Flügge

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