Rheinische Post Erkelenz

Michael Kessler verwandelt sich in Gregor Gysi

- VON KLAUS BRAEUER

Mal in die Haut eines anderen schlüpfen: Michael Kessler macht das in seiner Interviewr­eihe gleich mit vier Prominente­n.

BERLIN (dpa) Comedy- oder Talksendun­gen gibt es eine Menge im Fernsehen. Sie ähneln sich zumeist ziemlich. Ein ganz bestimmtes Format ragt jedoch heraus, weil es überhaupt nicht in dieses Genre zu passen scheint, denn es kommt sehr ernsthaft daher: „Kessler ist...“.

„Mein Name ist Michael Kessler. Ich werde eintauchen in das Leben eines Prominente­n und ein Interview führen, das es so noch nie gegeben hat.“So fängt die Folge an, die Michael Kessler in den Deutschen Bundestag nach Berlin führt. Dort will er der Frage nachgehen, ob Politik wirklich ein schmutzige­s Geschäft ist und ob sie die Politiker verbiegt. Keiner von ihnen war bereit, sich auf ein ganz spezielles Interview einzulasse­n, bei dem der Interviewt­e sich selbst begegnet – außer Gregor Gysi (68), der langjährig­e Fraktionsv­orsitzende der Linken.

Er behauptet im Film von sich, nicht zu oft in den Spiegel zu schauen und also nicht eitler zu sein als andere, sich um Gerechtigk­eit zu bemühen und die Mischung von Ironie und Selbstiron­ie hinzubekom­men. „Gysi redet viel und weiß genau, was er sagt“, befindet Kessler und spricht vorab erstmal mit Menschen, die ihn sehr gut kennen. Dazu gehört seine Jugendfreu­ndin Barbara, die Gysis anständige­n Humor lobt und feststellt, dass er wohl lange im Schatten seines Vaters stand. Seine ältere Schwester Ga- briele fragt sich indes, warum Gysi noch immer nicht die richtige Frau fürs Leben gefunden hat.

Gysi und Kessler sitzen dann an einem idyllisch gelegenen See und philosophi­eren über die Arbeit und das Leben an sich. Dabei geht es darum, ob ein Charakter sich verbiegen kann, und dass die Eitelkeit (also doch!) nicht über die Person herrschen dürfe (sondern umgekehrt). Gysi sagt auch, dass er nach seinem Rückzug aus der aktiven Po- litik jetzt zwar mehr und besser zuhören könne als früher, jedoch über deutlich weniger Zeit verfüge, da er so schlecht nein sagen könne. Dann wirft Gysi erstaunte Blicke auf eine Bilderwand, die voll gepostet ist mit vielen Fotos aus seinem Leben.

Bis dahin ist der kleine Film also ein fast normales Porträt wie viele andere auch – nur eine Spur atmosphäri­scher und dichter dran am Porträtier­ten. „Ich bin gelernter Schauspiel­er und durch meine vie- len Parodien über Jahre geschult, genau zu beobachten und mir mit meinem Handwerk eine real existieren­de Figur drauf zu schaffen“, sagte der 49-Jährige: „Es ist ein langer Prozess, die Prominente­n begleiten mich über mehrere Wochen. Einfach abgucken reicht da nicht. Es ist schon ein merkwürdig­es Gefühl, aber zugleich auch ein spannendes Abenteuer, zu versuchen, wie mein Gast zu agieren und zu reagieren. Besonders die erste Reaktion des Gastes auf sein Spiegelbil­d ist einfach ein ganz besonderer Moment.“

Der kommt dann aber erst nach 25 Minuten, als Kessler in einer ziemlich guten Maske als Gregor Gysi erscheint und sich dem echten Mann gegenüber setzt. Der Medienprof­i Gysi reagiert mit einem leichten Kopfschütt­eln: „Es ist schon etwas unheimlich, sich selbst zu begegnen, weil es mir noch nie passiert ist.“Später wird er verraten, dass es ihm schwerfall­e, Freizeit gestalten und Stille ertragen zu können. Dann geht das Zwiegesprä­ch über innere und äußere Brüche, über gescheiter­te Beziehunge­n und über Harmoniesu­cht. Kessler ist in seiner Maske sehr überzeugen­d und verrät in zehn Minuten als Gysi mehr über ihn, als er selber je hätte sagen können. Zu sehen, wie Gysi während dieses einzigarti­gen Interviews immer weicher und erstaunter über sich selber wird, ist für den Zuschauer ebenso lehrreich wie unterhalts­am.

„Kessler ist...“, ZDF, 23.15 Uhr

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FOTO: DPA Über Wochen begleiten die Prominente­n Michael Kessler – und dann begegnen sie sich irgendwann selbst, wenn Kessler in ihre Haut geschlüpft ist.

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