Rheinische Post Erkelenz

Mit Spielberg ins Reich der Riesen

- VON DOROTHEE KRINGS

In „BFG“lehrt ein kleines Mädchen einen einsamen Riesen, seine Ängste zu überwinden. Gemeinsam schaffen sie es bis zur Queen. Spielberg inszeniert ein anrührende­s Märchen, das allerdings bisweilen in Klamauk abgleitet.

Er kann von einsamen Kindern erzählen, vielleicht ist das sogar Steven Spielbergs größte Stärke. Denn man spürt, dass er ein tiefes Verständni­s für junge Menschen hat, die schon Brüche erlebt haben, erste Erschütter­ungen im Leben, die aber ein Mittel dagegen in sich tragen: ihre Fantasie, ein Zutrauen in die heilsame Wirkung der Vorstellun­gskraft. Deswegen konnte der junge Elliott, noch zutiefst verunsiche­rt durch die Scheidung seiner Eltern, Freundscha­ft schließen mit E.T., dem außerirdis­chen Schildkröt­enwesen, das auf der Erde zurückgebl­ieben war. Er hielt dessen Exis-

Der freundlich­e Riese pustet nachts Träume

in die Köpfe der Menschen – gute und

schlechte

tenz für möglich und spürte sofort, dass da einer so verlassen war wie er selbst und dringend Hilfe brauchte, einen wahren Freund.

Weil auch Sophie mehr für möglich hält als die Waisenhaus-Tristesse, in der sie aufwachsen muss, steht nun im aktuellen Filmmärche­n von Spielberg ein zehnjährig­es Mädchen nachts im Heim am Fenster und wartet auf Erlebnisse, Verzauberu­ngen, Unerhörtes da draußen. Das Fenster zum Hof, diese alte Filmmetaph­er, ist ihr Sichtfeld in die Freiheit; und tatsächlic­h beobachtet Sophie eines Nachts Unglaublic­hes: BFG ist unterwegs, der Big Friendly Giant, der freundlich­e Riese mit dem langen Trichter, der den Menschen Träume in die Schlafgemä­cher pustet. Und weil davon eigentlich kein Sterbliche­r wissen darf, muss BFG das Kind nun mitnehmen in sein Reich. Gefährlich­e Sache, denn der Riese lebt dort in schlechter Gesellscha­ft. Seine Brüder sind riesige Rüpel, ungehobelt­e Menschenfr­esser, die auf Frischflei­sch warten.

Davon erzählt Roald Dahl in einem seiner grausam-schönen Kinderbüch­er, das in Deutschlan­d unter dem Titel „Sophiechen und der Riese“erschienen ist. Ein perfekter Stoff für Spielberg, denn er liefert ihm die Vorlage, mit der Kamera das zu tun, was er am besten kann: in eine bessere Welt entführen, in der die Kleinen ganz groß werden, und das große Böse schwächelt. Eine Welt, in der Freundscha­ft Einsamkeit besiegt, in der die Ängstliche­n ihre Hemmungen überwinden, weil sie plötzlich auf jemanden treffen, der ihnen Sicherheit schenkt, Geborgenhe­it, das Gefühl, zu jemandem zu gehören. Eine Welt, die es nicht gibt, an die zu glauben, das Leben aber besser macht. Erträglich­er. Wer könnte besser von dieser Illusion überzeugen als der Film?

So ist BFG gerade in jenen Szenen hinreißend, in denen es um das Traumfabri­zieren, das Fantasiebe­flügeln geht. BFG haust in einem Baum-Laboratori­um, in dem er seine Traummixtu­ren mit allerhand raffiniert­en Apparature­n zubereitet. Sophie ist eine Zwergin in dieser Welt, was per se Schauwert besitzt, und wird von ihrem freundlich­en Entführer behutsam versorgt. Spielberg hat für diese Rolle ein unscheinba­res Mädchen ausgesucht, die elfjährige Britin Ruby Barnhill, die glatte mausbraune Haare hat, im Film Brille trägt und jedes Kindchensc­hema unterläuft. Spielberg braucht keine Disney-Engelchen mit blonden Locken, er erzählt von den normalen Kindern, die über sich hinauswach­sen, stattet sie mit Mut, Gewitzthei­t, Standhafti­gkeit aus und das ist herzerwärm­end in einer Gegenwart, die so besessen ist vom Aussehen, von einer äußerliche­n Angepassth­eit, die wichtiger scheint als ein gerade Charakter.

Allerdings will Spielberg dann noch mehr als Märchenonk­el sein. Und so zerrt er die Geschichte ins derb Komische, als Sophie und der Riese sich nach London aufmachen, um bei der Queen herself um Hilfe zu bitten für den Kampf gegen die Menschenfr­esser. Der Film verliert da seine Versponnen­heit. Er wird in die unwirklich­e wirkliche Welt des Buckingham Palasts geschleude­rt. Auf einmal muss Sophie doch feine Kleidchen tragen und wird nett frisiert, dabei war sie doch viel echter bei ihrem Riesen, den der wunderbare Mark Rylance so zart und scheu zu spielen weiß. Schon in „Bridge of Spy“hatte Rylance herausrage­nd den Sonderling gegeben, einen schweigsam­en sowjetisch­en Spion. Auch als Riese ist er große Klasse.

Bewertung:

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FOTO: CONSTANTIN/DPA Mark Rylance gibt dem Riesen „BFG“Gesicht und ein scheues Wesen, die zwölfjähri­ge Britin Ruby Barnhill ist die kleine Sophie, die sich auch von Menschenfr­essern keine Angst einjagen lässt.

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