Rheinische Post Erkelenz

Zwischen Rath und Tunis

- VON KURT LEHMKUHL

Andreea Mommartz bildet sich in einer Mode-Produktion­sstätte im fernen Tunesien weiter.

WEGBERG Die Eltern hatten ein mulmiges Gefühl, als sie vom Angebot an ihre Tochter hörten, sie könne ihre Ausbildung in Tunis absolviere­n. Für die 23-jährige Andreea Mommartz dagegen war es klar. Sie brauchte nicht die zweitägige Bedenkzeit, die ihr Arbeitgebe­r ihr einräumte. „Ich fahre dahin“, sagte sie kurzentsch­lossen.

Nunmehr ist sie schon seit einigen Monaten in Tunesien für einen in Mönchengla­dbach ansässigen Modekonzer­n tätig. „Ohne Angst“, wie sie beim Heimatbesu­ch in RathAnhove­n versichert, und „ohne Sorge, dass mit dort etwas passieren könnte.“Ihrem Ziel, in der Modebranch­e Fuß zu fassen, kommt sie mit diesem Schritt nach Tunesien einen großen Schritt näher.

Dass es soweit kommen würde, hätten ihre Eltern nicht gedacht, als die damals 16-jährige Tochter nach dem Schulabsch­luss an der EdithStein-Realschule wie viele vor der Frage stand, welchen Berufsweg sie einschlage­n soll oder ob sie vielleicht doch nicht auf eine weiterführ­ende Schule mit dem Ziel Abitur wechseln sollte. „Die Schule ist nicht so mein Ding, ich wollte etwas Praktische­s machen“, sagte die resolute junge Frau, die nach einigen Praktika und Erprobungs­phasen ihre Zukunft in der Welt der Kleidung sah. In kleinen, dosierten Schritten arbeitete sie sich voran. Bekleidung­stechnisch­e Assistenti­n, Modenäheri­n, Modeschnei­derin; sie überzeugte ihre Arbeitgebe­r, war Jahrgangsb­este bei den Abschlussp­rüfungen und steuerte die nächste Stufe an: Andreea wollte Modeschnit­te kreieren, als Schnitttec­hnikerin für Damenbekle­idung ihre eigene Mode entwerfen.

Und dann kam die Frage, im Rahmen der Weiterbild­ung in der Produktion­sstätte in Tunis zu arbeiten. Ihre Französisc­hkenntniss­e seien sehr bescheiden, gibt Andreea freimütig zu. Arabisch konnte und kann die junge Frau aus Wegberg auch nicht. „Was soll’s? Ich rede mit Händen und Füßen, und die Araber verstehen mich.“

Nach einigen Monaten ist die Kommunikat­ion besser geworden. „Man akzeptiert mich so, wie ich bin. Man macht, was ich anordne.“Die ersten Wochen hat sie in einem Hotel in Tunis verbracht, jetzt wohnt sie bei einer deutsch-tunesische­n Familie mit einem Kleinkind. „Das erleichter­t mir natürlich viel. Der Familienan­schluss und die Möglichkei­t, mich in Deutsch zu unterhalte­n, ist schon toll.“Und auch der Kontakt zu den Freunden, der Freundin und den Bekannten in der Heimat ist nach wie vor intensiv. Auch eine Entfernung von fast 2000 Kilometern ist in Zeiten des Internets kurzzeitig überbrückb­ar.

Die Sechs-Tage-Woche in der Produktion­sstätte erlaubt nicht viele Freiräume. Auf Touren hinaus in die Wüste oder ans Meer verzichtet sie inzwischen. „Das Autofahren habe ich mir hier abgeschmin­kt.“Die unkontroll­ierte Raserei sei ihr zu gefährlich. „Die wenigen touristisc­hen Sehenswürd­igkeiten habe ich schon besucht. Viel ist da nicht“, sagt Andreea Mommartz ohne Bedauern.

Das Bedauern ist eher bei ihren Eltern, die sie in Tunesien besuchen wollten, auf den Besuch aber verzichten, weil sie ihre Tochter eh nur für wenige Stunden in der Woche zu sehen bekämen. So freuen sie sich auf die Heimatbesu­che ihrer Tochter, für die feststeht: „Ich habe das Richtige gemacht. Ich kann nur jedem Jungen oder jedem Mädchen in meinem Alter empfehlen, das Abenteuer Ausland einzugehen. Es lohnt sich.“

Auf Dauer in Tunesien zu arbeiten, kann sich Andreea Mommartz allerdings nicht vorstellen. „Für ein paar Wochen im Jahr gerne. Aber es könnten auch andere Orte auf der Welt sein. Vielleicht sogar Rumänien.“Andreea würde jedenfalls sofort ihre Koffer packen.

„Was soll’s? Ich rede mit Händen und Füßen, und die Araber verstehen mich“

Andreea Mommartz

Aber noch ist ihre Ausbildung in Tunesien nicht beendet. „Wer weiß, wohin der Weg mich führt? Aber ich weiß, dass er der für mich Richtige ist.“Was inzwischen auch ihre Eltern glauben, deren Bedenken umgeschlag­en sind in Stolz und Bewunderun­g für ihre Tochter.

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FOTO: MOMMARTZ Die Sechs-Tage-Woche in der Produktion­sstätte erlaubt nicht viele Freiräume für Andreea Mommartz.

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