Sahin bringt Dortmund nach vorn
Der Mittelfeldspieler ist die zentrale Figur beim 2:0 gegen Hertha BSC. Er bereitet ein Tor vor, das zweite schießt er selbst.
DORTMUND Bislang war die Geschichte von Nuri Sahin und seinem rechten Fuß schnell erzählt. Der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund braucht ihn, damit er das Gleichgewicht halten kann. Und er nimmt ihn gelegentlich zu Hilfe, wenn es um einen einfachen Pass, das Stoppen des Balls oder eine Rettungsaktion geht. Für die schwierigeren Dinge hat er seinen linken Fuß. Dem vertraut er die weiten Pässe, die Flanken, die Freistoß-Ausführung, die Torschüsse an. Normalerweise. Am Samstag wurde dieser Teil der Fußball-Geschichte neu geschrieben. Da schmetterte er den Ball mit rechts per Dropkick zu einem Tor des Monats ins Netz von Hertha BSC. Und nicht nur sein Trainer Peter Bosz staunte. „Wenn er schon mit rechts trifft, dann hat er Selbstbewusstsein“, sagte der Holländer.
Davon konnten sich gut 80.000 Fans im ehemaligen Westfalenstadion überzeugen. Sahin war, was frühere Sachverständige der Sportsprache den „Dreh- und Angelpunkt“des Dortmunder Spiels genannt hätten. Er legte Pierre-Emerick Aubameyang den Ball zur 1:0Führung auf, und er erzielte mit seinem gewaltigen Schuss den Treffer zum 2:0-Endstand. Zwischendurch organisierte er die Aktionen seiner Mannschaft, über ihn lief alles.
Das war auch so geplant. „Er war unser Mann“, sagte Bosz. Der Coach wollte, dass Sahin im zentralen Mittelfeld alle Freiheiten zur Entfaltung seiner großen Spielintelligenz bekommt. Deshalb sollten ihn die Mitspieler suchen, und deshalb legte Bosz die Taktik rundherum auf Tempo an. Mit dem sogenannten Gegenpressing, der nahezu unverzüglichen Rückeroberung des Balls nach Fehlpässen, war er „zufrieden, mit dem Ergebnis auch, mit unserem Ballbesitzspiel noch nicht“.
Es ging ihm einfach nicht schnell genug, während Publikum und zahlreiche Experten bereits die ersten Lobeshymnen über die gelungene Umsetzung des „Bosz-Styles“an- stimmten. „Es ist nicht der BoszStyle“, knurrte der Niederländer, „es soll der Style von Borussia Dortmund sein. Dafür müssen wir mehr Tempo mit dem Ball haben.“Eine Forderung, die sich aus der Grundhaltung der meisten Gegner in Dortmund ergibt. Auch Hertha baute ein massives Defensiv-Bollwerk auf, das Dortmund vor allem in der ersten Hälfte nur selten anbohren konnte. Da waren dem Trainer die Kombinations-Ansätze zu langsam. „Das kann besser“, stellte er mit holländischem Idiom fest.
Dass es besser kann, zeigten Passagen des zweiten Durchgangs, als Gonzalo Castro und Mario Götze an Sahins Seite mehr und schneller liefen. Das ergab Räume, die wieder- um Sahin mit seinen Pässen füllte. Dass er selbst nicht zu den Sprintern gehört, fiel nicht ins Gewicht. Er machte den Ball schnell.
Das sind Qualitäten, die ihn als einstiges Wunderkind, das mit 16 in die Bundesliga kam, schon auszeichneten. Sie schienen allerdings zuletzt nicht mehr sonderlich gefragt. Bosz’ Vorgänger Thomas Tu- chel stellte den in der Mannschaft sehr beliebten Türken aufs Abstellgleis. Er demütigte ihn beim Pokalfinale, als Sahin nicht mal ins Aufgebot berufen wurde, obwohl er in den Wochen davor gute Form nachgewiesen hatte.
Für Sahin war im Sommer „ein Punkt in meiner Karriere erreicht, an dem es darauf ankommt. Ich bin bald 29, ich will nicht der Beste oder der Wichtigste sein. Ich muss nur das Gefühl haben, dass ich gebraucht werde“. Dieses Gefühl gaben ihm die Vereinsfunktionäre und der neue Trainer. Nur darum blieb Sahin. Sein Sommerprogramm: „Arbeiten, arbeiten, arbeiten – und dann genießen. Denn ich merke, dass ich mein Niveau wieder erreicht habe.“Man muss sich Nuri Sahin heute als glücklichen Menschen vorstellen.
Freibriefe werden ihm allerdings nicht ausgestellt. Ob er weiter diese Rolle spielen werde, wurde Bosz gefragt. „Das“, sagte der neue Coach ohne falsche Rührung, „hängt davon ab, wie er spielt und welche Spieler ich zur Verfügung habe.“Demnächst kommt Julian Weigl zurück, der sicher ein ernsthafter Mitbewerber um die Position des freien Mittelfeldmannes auf der sogenannten Sechs ist. Zumindest vorerst gilt aber das Wort des Trainers: „Momentan sind wir sehr zufrieden mit Nuri Sahin.“Momentan, hat er gesagt.