KULTURTIPPS
Überraschungen auf der Raketenstation Weltbürger am Klavier: Paul Badura-Skoda Kluge und von Schirach bereden die Welt
Kunst Buntes Laub statt Kirschblüte. Der Herbst an sich ist schon eine Attraktion der Raketenstation, wo die Natur nur Schönes bereitet. Die Institutionen nicht minder, Abstraktion ist in hohem Maße angesagt. In der Langen Foundation hat sich das Künstlerduo „FORT“ausgebreitet, rätselhafte Tierhütten, eine erhobene Faust stehen für die brüchige Ordnung zwischen Alltäglichem und Mystischem. Thomas Schütte hat den Bildhauerkollegen Anthony Caro ausgebreitet, im Jahr 2013 gestorben, Wegbereiter der abstrakten Skulptur, nach Calder der Erste, der Farbe in die Skulptur brachte. Technisches Material, Stahl, Gitter, Stangen, verbaute Caro zu Dingen im Raum, die ihm so wichtig waren wie ein Mensch, den er zum Maßstab erhob. Er nahm der Skulptur den Sockel. Dominant die rote „Aurora“gleich am Eingang, und in den Vitrinen der Ausstellung lässt sich das Formenvokabular studieren. abo Klassik Im Alphabet tauchen die beiden eingedeutschten Fremdwörter für übermächtige Leitsterne, für Lichtgestalten, für Wegweiser und Leuchttürme gleich hintereinander auf: Instanz und Institution. So kann man im Bereich der Klaviermusik den österreichischen Pianisten Paul Badura-Skoda bezeichnen. Er wurde im Jahr 1927 geboren und ist gottlob noch so lebendig und vergnügt, dass er vor einigen Tagen vor seinem 90. Geburtstag einen restlos ausverkauften Klavierabend im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins gab. Und was spielte er? Die drei letzten Beethoven-Sonaten. Mit 90!
Paul Badura-Skoda war und ist einer, der sich im Schatten berühmterer Kollegen sehr gut eingerichtet hat. Er war halt nicht so telegen wie andere, er hatte keine riesige Plattenfirma im Hintergrund, er betrieb sehr gern musikwissenschaftliche Studien – und da sein Repertoire vor allem aus Werken seiner Lieblingsmeister Haydn, Mozart, Schubert und Beethoven bestand, fehlte bei seinen Konzert manchmal der Aspekt des Thrillers, des Nervenkitzels, des Hochleistungssports. Gewiss, er hat die großen Klavierkonzerte von Chopin und Tschaikowski aufgenommen, er war auch ein exzellenter Schumann-Interpret, Sachbuch Was für ein schönes, großes, kleines Buch ist dieser Band! Und was für ein gelungener Titel: Denn „Die Herzlichkeit der Vernunft“trifft genau jenen Ton, den die beiden Gesprächspartner beherzigten – die Schriftsteller und Denker Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge. Es geht um die Fragen der Zeit, also auch um Terror und Recht und Gesetz; aber eben auch Kleist, Sokrates und Voltaire. Was für ein kluger, vor allem inspirierter wie inspirierender Dialog ereignet sich da zwischen beiden. Immer lesenswert, nie einschüchternd oder eitel. In diesem kleinen Buch werden so viele Themen angesprochen und sind so viele Gedanken versammelt, wie es manche auf 1000 Seiten nicht vermögen. Dieses Gespräch ist nicht ziellos, aber ein Ende oder gar eine Art „Ergebnis“kann es dennoch nicht finden. Wie sagt von Schirach doch am Schluss sehr freundlich: „Unsere Zukunft ist offen, lieber Herr Kluge.“Unbedingt lesen. los doch wenn er die Wahl hatte, beschäftigte er sich mit der Musik, bei der er sich am besten auskannte: der Wiener Klassik. Diese Zuneigung hat nicht nur geografische, sondern auch biografische Gründe: Der Pianist ist seit 66 Jahren mit der Musikwissenschaftlerin Eva Badura-Skoda verheiratet, die auf Wiener Klassik spezialisiert ist.
Jetzt hat die Sony zwei wichtige Boxen von Paul Badura-Skoda, die früher bei Eurodisc erschienen waren, in neuer Auflage auf den Markt gebracht: die Gesamtaufnahmen der Klaviersonaten von Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Schubert. Badura-Skoda ist auch hier nicht der Protagonist des Spektakulären, doch ist seine Art, Musik zu erzählen, wunderbar ebenmäßig, stilsicher, frei von Eitelkeiten. Er schält sozusagen den Kern jedes Stücks heraus; seine pianistische Kompetenz tritt nie in den Vordergrund, sondern bleibt eine hilfreiche Dienerin auf dem Weg, die Wunder zweier Weltmeister zu ergründen. Wolfram Goertz