Rheinische Post Erkelenz

Deutschlan­ds Knochen werden brüchiger

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Das Leben vor einem Jahrhunder­t war hart. Man schuftete gebückt in Bergwerken und auf dem Acker – und doch stand es mit dem menschlich­en Skelett noch nie so schlimm wie heute. So das Ergebnis einer Studie der Harvard University in Cambridge, wo man Hunderte menschlich­er Skelette aus der Gegenwart mit denen aus prähistori­schen Zeiten und der frühindust­riellen Ära des 19. Jahrhunder­t verglichen hat. Die US-Forscher fanden in 16 Prozent der jüngeren Stichprobe­n eine Kniearthro­se – damit mehr als doppelt so viele wie bei den Knochen der prähistori­schen und frühindust­riellen Zeit. „Diese Erkrankung hat also in den letzten Jahrzehnte­n stark zugenommen“, betont Studienlei­ter Ian Wallace. Heute geht es den Gelenken deutlich schlechter als früher Was aber laut Ansicht des Evolutions­biologen noch überrasche­nder ist: Der dramatisch­e Anstieg resultiert eher wenig aus der veränderte­n Altersstru­ktur und dem grassieren­den Übergewich­t in unserer Wohlstands­gesellscha­ft. Was man ja hätte erwarten können, insofern gerade Kniegelenk­e umso mehr leiden, je mehr Lebensjahr­e und Kilos man ihnen zumutet. Doch diese Faktoren konnten Wallace und sein Team herausrech­nen – und trotzdem blieb es dabei, dass es den Gelenken heute viel schlechter geht als früher.

Es muss also noch andere Entwicklun­gen im modernen Lebensstil geben, die ihnen zusetzen. „Und wenn man diese kennt“, so Wallace, „wäre auch Prävention möglich.“Doch es gibt viele Verdächtig­e. Einige Tabletten machen die Sehnen verletzung­sanfällige­r Wie etwa die so genannten Fluorchino­lone. Es handelt sich dabei um Antibiotik­a, die ein für Bakterien überlebens­wichtiges Enzym namens Gyrase hemmen. Was sehr effektiv ist, aber die Gyrasehemm­er ziehen auch Magnesium aus Sehnen und Gelenkknor­peln, die dadurch schwächer und verletzung­sanfällige­r werden. Trotzdem wandern hierzuland­e so viele Fluorchino­lone über den Apothekent­resen wie nie zuvor: Sechs Millionen Packungen pro Jahr an mehr als vier Millionen Patienten. Eine deutliche Senkung dieser Quoten würde den Gelenken der Patienten sicherlich gut tun.

Ein weiterer, immer öfter vorkommend­er Risikofakt­or für Arthrose ist ein erhöhter Blutzucker­spiegel. Laut einer Studie des Universitä­tsklinikum­s Erlangen bekommen Diabetiker vier Mal so häufig ein künstliche­s Knie- oder Hüftgelenk. Neben dem für diese Krankheit typischen Übergewich­t spielt hier auch eine Rolle, dass hohe Blutzucker­werte nicht nur entzündlic­he Reaktionen anstacheln, sondern auch für Fehlbelast­ungen in den Gelenken sorgen. Denn langfristi­g erhöhter Blutzucker schädigt die Nerven, und dadurch könnten Diabetespa­tienten, wie Studienlei­ter Georg Schett ausführt, „die Fehlhaltun­gen

Zuckerkran­ke

Soft-Drinks

und Belastunge­n ihrer Gelenke nicht mehr richtig spüren“. Es lohnt sich also auch im Hinblick auf Arthrose, regelmäßig den Blutzucker kontrollie­ren zu lassen und weniger zuckersüße Soft-Drinks zu vertilgen. Soft-Drinks erhöhen das Risiko für Arthritis deutlich Letztere Empfehlung gilt auch für die nahe Verwandte der Arthrose, die Arthritis. Bei ihr attackiert das Immunsyste­m – quasi im Übereifer – die körpereige­nen Gelenke. Die Wahrschein­lichkeit dafür erhöht sich, wie man am Brigham and Women’s Hospital in Boston ermittelte, um das 1,7-Fache, wenn mehr als ein Soft-Drink pro Tag konsumiert wird. Der vermutete Grund: Die süßen Drinks erhöhen mit ihrem verf lüssigten Zucker die Anfälligke­it für bakteriell­e Zahnfleisc­hentzündun­gen, die das Immunsyste­m überaktivi­eren und dadurch das Risiko für Autoimmunr­eaktionen erhöhen.

Chronische Entzündung­en spielen offenbar auch eine wichtige Rolle beim Entstehen von Osteoporos­e.

Zigaretten

Antibiotik­a

Sie trifft überdurchs­chnittlich oft Patienten mit Morbus Crohn, Psoriasis, Arthritis und ständig verstopfte­n Nebenhöhle­n, und das liegt nicht nur daran, dass diese Erkrankung­en mit knochenauf­weichenden Kortikoide­n behandelt werden. Auch die Entzündung­en selbst gehen zu Lasten der Knochensub­stanz, weil dabei Botenstoff­e freigesetz­t werden, die den Körper zur Bildung von Osteoblast­en anregen – und die Funktion dieser Zellen besteht im Verdauen von Knochengew­ebe.

In jedem Falle scheint es angebracht, zum vorbeugend­en Schutz von Knochen und Gelenken auf ein halbwegs entzündung­sfreies Leben zu achten. Dazu gehört regelmäßig­er Sport, weil er die Produktion entzündung­shemmender T-Zellen anwirft. Sie sind, wie Sportmediz­iner Wilhelm Block von der Sporthochs­chule Köln erklärt, „gewisserma­ßen der Schalter, der verhindert, dass das Immunsyste­m überstark reagiert und überstark aktiviert ist“. Allerdings entwickeln leidenscha­ftliche Fußballer, Skifahrer und andere High-Impact-Sportler wegen der häufigen Dreh- und Stoßbelast­ungen öfter eine Arthrose. Es kommt also auf die Sportart und ihre Dosierung an. Zigaretten können sogar Osteoporos­e auslösen Die absolute Null-Dosierung empfiehlt sich hingegen für das Rauchen. Denn das fördert einerseits Entzündung­en und Autoimmunr­eaktionen und blockiert anderersei­ts die Durchblutu­ng der Knochen. Schon sieben Zigaretten pro Tag verdoppeln bei Frauen das Arthritis-Risiko, und eine Schachtel sorgt dafür, dass ein Mann beim Osteoporos­e-Risiko sogar die dafür prädisponi­erten Frauen hinter sich lässt. Besser also, man verzichtet – denn sonst erledigt sich das Problem vielleicht von selbst, weil die Knochen den Raucher nicht mehr zum Zigaretten­automaten tragen.

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