Der erste Schritt zurück
Über ein Jahr fiel Josip Drmic wegen einer Verletzung aus. Jetzt macht Mönchengladbachs Stürmer den Comebackversuch. In der vierten Liga.
MÖNCHENGLADBACH Zwischen Sao Paulo und dem Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt liegen 9838 Kilometer. Und zwischen dem WMAchtelfinale im Stadion der Corinthians und einem RegionalligaSpiel im Rheydter Grenzlandstadion liegen Welten.
Josip Drmic (25) kennt jetzt beide Welten. Vor gut drei Jahren spielt er mit der Nationalmannschaft der Schweiz beim Weltturnier in Brasilien in der Runde der letzten 16. Die Eidgenossen verlieren unglücklich gegen Argentinien, das den Treffer durch Angel di Maria zwei Minuten vor dem Ende der Verlängerung erzielt. Drmic, der Mittelstürmer, steht 82 Minuten auf dem Platz. Er ist 21 Jahre, und seine Karriere folgt einem geraden Weg – nach oben.
Im Herbst 2017 läuft Drmic ins besagte Grenzlandstadion ein. Er trägt die Nummer 24, und er gehört zum U-23-Team von Borussia Mönchengladbach neben Nachwuchsspielern, Talenten, solchen, die ihre Karriere noch vor sich haben. Auf der Tribüne sitzen gut 200 Zuschauer. 281 nennt der Stadionsprecher, er hat wahrscheinlich Balljungen, Ordner, Sanitäter und Ersatzspieler mitgerechnet.
Die zweite Mannschaft der Borussia spielt gegen den SC Verl, das ist nicht gerade ein Gegner aus dem bunten Bilderbuch des Fußballs. Sie verliert die Viertliga-Partie mit 0:3. Es steht 0:1, als Drmic ausgewechselt wird.
Für ihn ist es der nächste Versuch, wieder in den Profisport zurückzukehren. Zwei schwere Knieverletzungen haben ihn zusammengerechnet mehr als ein Jahr zum Zuschauen verurteilt. Deshalb sagt er: „Ich habe es genossen, es war eine Riesenfreude, wieder auf dem Platz zu stehen.“Als er den Rasen verlässt, lächelt er sogar ein bisschen. Ganz leise. Auf der Tribüne sagt Olaf Marschall, früher ein bedeutender Torjäger, heute Scout beim Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern: „Früher hat er die Dinger ordentlich reingemacht.“Früher.
Im Sommer 2014 schätzen die Experten den Marktwert des Stürmers Josip Drmic auf zwölf Millionen Euro. Für eine Ablösesumme von gut sieben Millionen Euro wechselt er vom 1. FC Nürnberg zum Bundesligisten Bayer Leverkusen. 17 Tore hat er für den „Club“erzielt, und er glaubt, dass es am Rhein noch besser wird. „Du kommst zu einem Verein, wo du denkst, jetzt geht es weiter bergauf“, erklärt er im Rückblick dem Internetdienst Mannschaftsbus.de, „doch auf einmal schaust du nur noch zu.“
Am Leverkusener Mittelstürmer Stefan Kießling kommt er einfach nicht vorbei. Sein Glück: Bei Borussia Mönchengladbach glauben sie an seine Qualitäten. Zehn Millionen Euro bezahlen sie Bayer 2015 für den Wechsel des Schweizers. Vor allem Trainer und Landsmann Lucien Favre hat sich um Drmic bemüht. Doch nach fünf Bundesliga-Niederlagen wirft Favre den Job hin. Bei dessen Nachfolger André Schubert spielt Drmic keine Rolle. Der Stür- mer akzeptiert das sogar. „Die Mannschaft hat ein Spiel nach dem anderen gewonnen. Dann bist du außen vor.“
Drmic lässt sich an den Hamburger SV ausleihen. Er will vor allem wieder spielen. Er beteuert: „Wenn du als Fußballer nicht spielen kannst, dann ist das, als würde dir jemand die Welt wegnehmen.“Drmic ist nicht mal 24, als ihm die Welt schon wieder weggenommen wird. Ein schwerer Knorpelschaden im Knie wirft ihn buchstäblich um. Sechs Einsätze hat er für den Ham- burger SV gehabt, als besserer Pflegefall kehrt er zu Borussia Mönchengladbach zurück.
Es folgen die Einsamkeit des Aufbautrainings, Sonderschichten im Fitnessraum, Arztbesuche, neue Hoffnung. Im vergangenen Winter fährt er mit ins Trainingslager der Borussia. Er ist wieder auf dem Platz, und man muss sich Josip Drmic als einen glücklichen Menschen vorstellen – auch wenn seine Körpersprache immer eher das Traurige verheißt, wenn er mit leicht hängendem Kopf und gebeugtem Rücken dahertrabt. Er ist ein Bewegungs-Melancholiker.
Der nächste Rückschlag trifft ihn mit voller Wucht. Wieder stellen die Ärzte einen Schaden im Knie fest, Drmic wird operiert, fehlt seinem Klub erneut 168 Tage am Stück. Und es wird laut über das Karriere-Ende nachgedacht. Nur der Spieler macht da nicht mit. „Erst wenn ich nicht mehr hätte laufen können, hätte ich mich nach Alternativen zum Fußballspielen umgesehen“, erklärt er dem Schweizer „Blick“.
Er findet einen Mann, der ihm mit „alten Heilmethoden hilft“. Den Namen verrät er nicht. Immerhin hat der es so weit gebracht, dass sein Patient nun wieder mit der Mannschaft von Borussia Mönchengladbach trainiert.
Es sei „eine Belohnung für den ganzen Weg, der hinter mir liegt“, findet er, als er mit den Kollegen im Trikot auf dem Platz steht, auch wenn es nur die vierte Liga ist. Die Umgebung blendet er aus. Sie hat so gar nichts vom schönen Schein des Profifußballs. Aus den Lautsprechern plärren zwar die üblichen Vereinsliedchen vor dem Anpfiff. Aber es ist niemand da, der sie mitsingt. Während die Mannschaften auf den Rasen kommen, sind mindestens so viele Gäste noch an der Pommes-Bude hinter der Tribüne wie Zuschauer im Stadion.
Es ist der übliche Publikumsmix von Regionalligaspielen mit Beteiligung der Nachwuchsmannschaft eines Bundesligisten. Ein paar Ver- wandte sind gekommen, FußballLiebhaber, die in der Nachbarschaft wohnen und ihren Nachmittagsspaziergang bis auf den Sportplatz verlängern, Spielerberater auf Kundensuche oder bei der Kundenbetreuung. Man kennt sich, grüßt kurz und schaut zu. Mehr nicht. Mit dem Event, das zur gleichen Zeit in den Erstliga-Stadien aufgeführt wird, hat das nichts zu tun. Es ist eher grau und nicht sehr laut.
Drmic liefert keine Leistung ab, die unbefangene Betrachter denken lassen könnte, dass da einer spielt, der mit dem Sport Millionen verdient. Ihm ist das gleich. „Wichtig ist, dass mein Knie mitgemacht hat“, versichert der 25-Jährige. Er hat den Traum von einer Rückkehr in die Glitzerwelt nicht ausgeträumt. Schon einmal – im März des Jahres – kommt er nach der ersten schweren Verletzung wieder zur Nationalmannschaft. Im WM-Qualifikationsspiel gegen Lettland schießt er als Einwechselspieler das entscheidende Tor zum 1:0. „Ein Hammergefühl“, sagt er.
Vielleicht geht ihm all das durch den Kopf, als er im Grenzlandstadion beim ersten Viertliga-Spiel seiner Karriere auf die Tribünen schaut. Vielleicht erinnert er sich daran, als er mit diesem leisen, ganz leisen Lächeln vom Platz läuft. 9838 Kilometer weit weg von Sao Paulo und dem WM-Achtelfinale.