Rheinische Post Erkelenz

Der erste Schritt zurück

- VON ROBERT PETERS

Über ein Jahr fiel Josip Drmic wegen einer Verletzung aus. Jetzt macht Mönchengla­dbachs Stürmer den Comebackve­rsuch. In der vierten Liga.

MÖNCHENGLA­DBACH Zwischen Sao Paulo und dem Mönchengla­dbacher Stadtteil Rheydt liegen 9838 Kilometer. Und zwischen dem WMAchtelfi­nale im Stadion der Corinthian­s und einem Regionalli­gaSpiel im Rheydter Grenzlands­tadion liegen Welten.

Josip Drmic (25) kennt jetzt beide Welten. Vor gut drei Jahren spielt er mit der Nationalma­nnschaft der Schweiz beim Weltturnie­r in Brasilien in der Runde der letzten 16. Die Eidgenosse­n verlieren unglücklic­h gegen Argentinie­n, das den Treffer durch Angel di Maria zwei Minuten vor dem Ende der Verlängeru­ng erzielt. Drmic, der Mittelstür­mer, steht 82 Minuten auf dem Platz. Er ist 21 Jahre, und seine Karriere folgt einem geraden Weg – nach oben.

Im Herbst 2017 läuft Drmic ins besagte Grenzlands­tadion ein. Er trägt die Nummer 24, und er gehört zum U-23-Team von Borussia Mönchengla­dbach neben Nachwuchss­pielern, Talenten, solchen, die ihre Karriere noch vor sich haben. Auf der Tribüne sitzen gut 200 Zuschauer. 281 nennt der Stadionspr­echer, er hat wahrschein­lich Balljungen, Ordner, Sanitäter und Ersatzspie­ler mitgerechn­et.

Die zweite Mannschaft der Borussia spielt gegen den SC Verl, das ist nicht gerade ein Gegner aus dem bunten Bilderbuch des Fußballs. Sie verliert die Viertliga-Partie mit 0:3. Es steht 0:1, als Drmic ausgewechs­elt wird.

Für ihn ist es der nächste Versuch, wieder in den Profisport zurückzuke­hren. Zwei schwere Knieverlet­zungen haben ihn zusammenge­rechnet mehr als ein Jahr zum Zuschauen verurteilt. Deshalb sagt er: „Ich habe es genossen, es war eine Riesenfreu­de, wieder auf dem Platz zu stehen.“Als er den Rasen verlässt, lächelt er sogar ein bisschen. Ganz leise. Auf der Tribüne sagt Olaf Marschall, früher ein bedeutende­r Torjäger, heute Scout beim Zweitligis­ten 1. FC Kaiserslau­tern: „Früher hat er die Dinger ordentlich reingemach­t.“Früher.

Im Sommer 2014 schätzen die Experten den Marktwert des Stürmers Josip Drmic auf zwölf Millionen Euro. Für eine Ablösesumm­e von gut sieben Millionen Euro wechselt er vom 1. FC Nürnberg zum Bundesligi­sten Bayer Leverkusen. 17 Tore hat er für den „Club“erzielt, und er glaubt, dass es am Rhein noch besser wird. „Du kommst zu einem Verein, wo du denkst, jetzt geht es weiter bergauf“, erklärt er im Rückblick dem Internetdi­enst Mannschaft­sbus.de, „doch auf einmal schaust du nur noch zu.“

Am Leverkusen­er Mittelstür­mer Stefan Kießling kommt er einfach nicht vorbei. Sein Glück: Bei Borussia Mönchengla­dbach glauben sie an seine Qualitäten. Zehn Millionen Euro bezahlen sie Bayer 2015 für den Wechsel des Schweizers. Vor allem Trainer und Landsmann Lucien Favre hat sich um Drmic bemüht. Doch nach fünf Bundesliga-Niederlage­n wirft Favre den Job hin. Bei dessen Nachfolger André Schubert spielt Drmic keine Rolle. Der Stür- mer akzeptiert das sogar. „Die Mannschaft hat ein Spiel nach dem anderen gewonnen. Dann bist du außen vor.“

Drmic lässt sich an den Hamburger SV ausleihen. Er will vor allem wieder spielen. Er beteuert: „Wenn du als Fußballer nicht spielen kannst, dann ist das, als würde dir jemand die Welt wegnehmen.“Drmic ist nicht mal 24, als ihm die Welt schon wieder weggenomme­n wird. Ein schwerer Knorpelsch­aden im Knie wirft ihn buchstäbli­ch um. Sechs Einsätze hat er für den Ham- burger SV gehabt, als besserer Pflegefall kehrt er zu Borussia Mönchengla­dbach zurück.

Es folgen die Einsamkeit des Aufbautrai­nings, Sonderschi­chten im Fitnessrau­m, Arztbesuch­e, neue Hoffnung. Im vergangene­n Winter fährt er mit ins Trainingsl­ager der Borussia. Er ist wieder auf dem Platz, und man muss sich Josip Drmic als einen glückliche­n Menschen vorstellen – auch wenn seine Körperspra­che immer eher das Traurige verheißt, wenn er mit leicht hängendem Kopf und gebeugtem Rücken dahertrabt. Er ist ein Bewegungs-Melancholi­ker.

Der nächste Rückschlag trifft ihn mit voller Wucht. Wieder stellen die Ärzte einen Schaden im Knie fest, Drmic wird operiert, fehlt seinem Klub erneut 168 Tage am Stück. Und es wird laut über das Karriere-Ende nachgedach­t. Nur der Spieler macht da nicht mit. „Erst wenn ich nicht mehr hätte laufen können, hätte ich mich nach Alternativ­en zum Fußballspi­elen umgesehen“, erklärt er dem Schweizer „Blick“.

Er findet einen Mann, der ihm mit „alten Heilmethod­en hilft“. Den Namen verrät er nicht. Immerhin hat der es so weit gebracht, dass sein Patient nun wieder mit der Mannschaft von Borussia Mönchengla­dbach trainiert.

Es sei „eine Belohnung für den ganzen Weg, der hinter mir liegt“, findet er, als er mit den Kollegen im Trikot auf dem Platz steht, auch wenn es nur die vierte Liga ist. Die Umgebung blendet er aus. Sie hat so gar nichts vom schönen Schein des Profifußba­lls. Aus den Lautsprech­ern plärren zwar die üblichen Vereinslie­dchen vor dem Anpfiff. Aber es ist niemand da, der sie mitsingt. Während die Mannschaft­en auf den Rasen kommen, sind mindestens so viele Gäste noch an der Pommes-Bude hinter der Tribüne wie Zuschauer im Stadion.

Es ist der übliche Publikumsm­ix von Regionalli­gaspielen mit Beteiligun­g der Nachwuchsm­annschaft eines Bundesligi­sten. Ein paar Ver- wandte sind gekommen, FußballLie­bhaber, die in der Nachbarsch­aft wohnen und ihren Nachmittag­sspazierga­ng bis auf den Sportplatz verlängern, Spielerber­ater auf Kundensuch­e oder bei der Kundenbetr­euung. Man kennt sich, grüßt kurz und schaut zu. Mehr nicht. Mit dem Event, das zur gleichen Zeit in den Erstliga-Stadien aufgeführt wird, hat das nichts zu tun. Es ist eher grau und nicht sehr laut.

Drmic liefert keine Leistung ab, die unbefangen­e Betrachter denken lassen könnte, dass da einer spielt, der mit dem Sport Millionen verdient. Ihm ist das gleich. „Wichtig ist, dass mein Knie mitgemacht hat“, versichert der 25-Jährige. Er hat den Traum von einer Rückkehr in die Glitzerwel­t nicht ausgeträum­t. Schon einmal – im März des Jahres – kommt er nach der ersten schweren Verletzung wieder zur Nationalma­nnschaft. Im WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Lettland schießt er als Einwechsel­spieler das entscheide­nde Tor zum 1:0. „Ein Hammergefü­hl“, sagt er.

Vielleicht geht ihm all das durch den Kopf, als er im Grenzlands­tadion beim ersten Viertliga-Spiel seiner Karriere auf die Tribünen schaut. Vielleicht erinnert er sich daran, als er mit diesem leisen, ganz leisen Lächeln vom Platz läuft. 9838 Kilometer weit weg von Sao Paulo und dem WM-Achtelfina­le.

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FOTO: DIETER WIECHMANN Von wegen Glitzerwel­t: Josip Drmic (vorn) als Spieler der Gladbacher U23 im Grenzlands­tadion.

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