Der Charme der 1950er-Jahre-Architektur
Metalltüren mit Glaseinsatz, klar strukturierte Häuserfronten, Skelettkonstruktionen mit farbigen Putzelementen: Die Rheydter Innenstadt ist wegen ihrer Architektur heute ein Denkmal. Viele Wohnungen müssen modernisiert werden.
Das Haus an der Rheydter Harmoniestraße gab den Experten Rätsel auf: Warum hat es Balkone? Warum hat es einen Rücksprung? Und warum verfügt es über Säulen, die vom Boden bis zum Dach ragen? Dieses architektonisch eigenartige Gebäude grenzt an das Wohn- und Geschäftshaus des früheren Tabakwarenhändlers Paul Wallraf, das mit seiner Stahlskelettkonstruktion ein Prototyp für das Konzept des Architekten und Stadtplaners Alfons Leitl ist. Er konnte den Experten keine Antwort geben – Leitl starb 1975. „Und dann hat man in alten Unter- richtet Schumacher. Doch wie plant und wie baut man eine neue Stadt?
Es mutet heute kurios an, dass es ein Architekturjournalist war, der den Auftrag bekam. Und der bei allen drängenden Wohnproblemen dann auch noch die Freiheit hatte, strategisch denken und planen zu können. Bis Herbst 1947 ordnete Alfons Leitl in einem Generalbebauungsplan das gesamte Rheydter Stadtgebiet, legte fest, wo Wohnen, Verkehr und wo es zentrale Plätze in der Innenstadt geben sollte. Der Rheydter Stadtrat erließ 1949 ein Ortsstatut mit Geschosszahlen und Geschosshöhen. Leitls Vorgaben und das Statut wurden wegweisend für andere Städte: Das NRW-Wiederaufbaugesetz von 1950 bekam die „Lex Rheydt“.
Die Hauptstraße wurde zum Musterprojekt der Leitl’schen Formelsprache, die streng geometrisch angeordnet war. Die von ihm bevorzugten Bautechniken waren zu dieser Zeit supermodern: Skelettkonstruktionen, Flachdächer, klar gegliederte Hausfronten. Die Vor- und Rücksprünge, die sogenannte Kammbebauung, führte dazu, dass sich zwischen den in die Straße ragenden Haupthäusern und den dreigeschossigen Zwischenstücken – leider schummelten sich auch zweigeschossige Elemente dazwischen – kleine Plätze ergaben. Es entstand eine Straße, die deswegen viele Jahre lang als Einkaufsstraße einen hohen Stellenwert besaß. Farbige Putzelemente an den Häusern sorgten für optische Reize, das Wallraf-Haus an der Ecke Haupt-/Harmoniestraße war lange ein Hingucker in der Rheydter City.
Auch an anderen Stellen taucht diese 1950er-Architektur mit den strukturierten Häuserfronten auf: am Atlantishaus, an den Gebäuden entlang von Garten- und Limitenstraße, am Marktplatz. Letzterer sollte im Leitl’schen Konzept die Verbindung von Alt (Rathaus, Kommandantur, Hauptkirche, der Übergang in die Brucknerallee) und Neu sein. Leitl hätte die alten Gebäude am liebsten versteckt, das Rathaus wollte er sogar abreißen lassen, was der Stadtrat verhinderte. Das ehemalige Straßendorf Rheydt steht dank dieser Architektur heute für die 1950er Jahre. In dieser Komplexität gibt es sie nur noch in Frankfurt und Kassel. Vor einer Herausforderung stehen Planer und viele Eigentümer: Sie müssen die Häuser innen modernisieren – ohne ihren äußeren Charakter zu zerstören.