Rheinische Post Erkelenz

Ein Kenianer in der Loipe

- VON MARC LATSCH

Vor 20 Jahren startet Philip Boit als erster Kenianer bei Winterspie­len. In Pyeongchan­g geht nun seine Nachfolger­in an den Start.

DÜSSELDORF/ELDORET Auf einer Hochebene im Westen Kenias liegt die fünftgrößt­e Stadt des Landes. Eldoret bietet seinen Besuchern vor allem Staub, Trubel und Lärm. Berühmt ist der Ort hingegen für seine Läufer. Hier, gut 2000 Meter über dem Meeresspie­gel, ist die Wiege der kenianisch­en Leichtathl­etik.

Der Traum vom Wohlstand ist im kargen Hochland eng mit dem Sport verbunden. In Eldoret treffen sich jährlich die Besten zu Wettkämpfe­n, trainieren für einen Platz in der kenianisch­en Läuferrieg­e. Wer sich in Kenia durchsetzt, der ist auch in der Welt ganz vorne.

Philip Boit stammt selbst aus einer berühmten Läuferfami­lie. Sein Cousin Mike gewinnt 1972 bei den Olympische­n Spielen in München Bronze über 800 Meter. Auch Philip überzeugt über die doppelte Stadionrun­de. Mit seiner Bestzeit von 1:46,7 Minuten wäre er in den vergangene­n acht Jahren stets Deutscher Meister geworden, in Kenia je- doch ist er damit allenfalls erweiterte Spitze.

Im Herbst 1995 wird der damals 23-jährige Boit durch seinen Trainer auf ein Projekt aufmerksam. Der Sportartik­elherstell­er Nike sucht Kenianer, die auf Skilanglau­f umsatteln wollen. Ein PR-Gag, ganz im Geist der berühmten jamaikanis­chen Bobmannsch­aft aus „Cool Runnings“. Als einer von zwei Kenianern reist er 1996 nach Finnland zum Training. Nach zwei Wochen fallen ihm vor Kälte die Fingernäge­l ab. Sein Kollege beendet seine Bemühungen schnell wieder. „Er hat das kalte Wetter nicht gemocht“, betont Boit. Er hingegen bleibt dabei.

Schon 1998 in Nagano tritt er als erster Kenianer bei Olympische­n Winterspie­len an und wird mit einem Moment zum Star. Über zehn Kilometer ist Boit der mit Abstand langsamste Läufer. Olympiasie­ger wird Björn Daehlie aus Norwegen. Daehlie kommt zu spät zu seiner eigenen Siegerehru­ng, weil er zunächst noch Boit im Ziel empfangen möchte. Die Bilder der sportliche­n Geste gehen um die Welt und sind der Beginn einer langen Freundscha­ft. Später wird Boit sogar seinen Sohn nach Daehlie benennen.

Boit ist ehrgeizig. Unterstütz­t vom Internatio­nalen Olympische­n Komitee (IOC) und Sponsoren verbringt er immer wieder Monate fernab der Familie in Finnland oder Norwegen, ansonsten hält er sich zu Hause in Eldoret fit. Das Training zahlt sich aus. Bei den Olympische­n Spielen 2002 in Salt Lake City lässt er sowohl im Sprint als auch über zehn Kilometer mehrere Läufer hinter sich. Auch 2006 in Turin nimmt er teil, wird 91. von 96 gezeiteten Athleten über 15 Kilometer. Vor allem in Salt Lake City erfährt er viel Zuspruch. Bei Vorträgen rund um die Spiele verdient er sogar genügend Geld, um zu Hause ein kleines Lebensmitt­elgeschäft zu eröffnen.

2010 sollen in Vancouver Boits vierte und letzte Spiele folgen. Doch der Internatio­nale Ski-Verband (FIS) hebt den Qualifikat­ionsstanda­rd für das 15-Kilometer-Rennen massiv an. Boit arbeitet sich trotz Vi- sum-Problemen, Krankheite­n und langer Reisen zwischen der Heimat und dem Trainingss­tandort in Finnland im Ranking nach vorne. Schließlic­h fehlen noch zwei Punkte zur Qualifikat­ion. Ein Eilantrag des Kenianisch­en Olympische­n Komitees scheitert, der Traum platzt.

Boits Karriere soll nun bei den Nordischen Skiweltmei­sterschaft­en 2011 in Oslo enden. Die Vorbereitu­ng erweist sich als schwer, die finanziell­e Unterstütz­ung des IOC endete mit Olympia 2010. Der Kenianer hält sich zunächst daheim fit, erst nach einem Bericht der norwegisch­en Zeitung „Aftenposte­n“ermögliche­n ihm Verantwort­liche eines Skiklubs die unentgeltl­iche Vorbereitu­ng vor Ort.

Letztlich kommt sogar genug Geld zusammen, um die Familie nach Oslo einzuflieg­en. Als Boit in der Qualifikat­ion zum 15-Kilometer-Rennen erwartungs­gemäß scheitert, wird er von begeistert­en Anfeuerung­srufen begleitet, der Stadionspr­echer nennt ihn den „fliegenden Kenianer“. Im Ziel erwarten ihn seine Frau, seine vier Kinder und wie 1998 Björn Daehlie.

Mit Boits Karriereen­de endet zunächst die Geschichte des kenianisch­en Winterspor­ts – bis 2016. Bei den Olympische­n Jugend-Winterspie­len in Lillehamme­r tritt in Sabrina Simader eine Kenianerin im Ski Alpin an und sammelt beachtlich­e Platzierun­gen unter den besten 30. Anders als Boit, der in Lillehamme­r das kenianisch­e „Team“betreut, ist sie jedoch in einer Ski-Nation aufgewachs­en. Bereits mit drei Jahren wanderte ihre Mutter mit ihr nach Österreich aus. Den großen Traum hat sie sich erfüllt: Die 19-Jährige wird bei den Spielen im Februar in Pyeongchan­g dabeisein.

Fernab in Kenia liegen die Hoffnungen hingegen allein auf der Familie Boit. Schon 2009 berichtete der stolze Vater von den ersten Versuchen seines Sohnes Daehlie: „Mein Junge wäre ein richtig guter Skiläufer. Mit den Rollerski kann er schon Dinge, die ich nicht kann – zum Beispiel springen.“Wie es aktuell um die Karriere des Sohnes steht, ist indes unbekannt. Unsere Redaktion erreicht Boit zwar, aber bei der Farmarbeit, denn in Kenia ist derzeit Maisernte. Und der Winterspor­t gedanklich weit weg.

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FOTO: IMAGO 1998: Der Norweger Björn Daehlie empfängt Philip Boit bei den Spielen von Nagano im Ziel.

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