Darauf haben sich Union und SPD geeinigt
Das Wichtigste: Soli-Abschaffung für 90 Prozent der Bürger, mehr Kindergeld, mehr Rente – und eine restriktive Flüchtlingspolitik.
BERLIN (RP) Union und SPD haben nach einem 24-stündigen Verhandlungsmarathon auch in den am meisten umstrittenen Fragen zu Steuern, Zuwanderung und Rente einen Durchbruch erzielen können. Nun muss ein SPD-Parteitag am 21. Januar noch zustimmen, damit offiziell Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden können. Zur Mitte der Wahlperiode wollen die Parteien überprüfen, inwieweit „aufgrund neuer Entwicklungen weitere Vorhaben vereinbart werden können“, heißt es in dem 28 Seiten langen Sondierungsbeschluss. Dabei hoffen die Parteien darauf, dass ihnen bis 2021 durch ein höheres Wirtschaftswachstum als heute ein noch größerer als der Finanzspielraum von 45 Milliarden Euro zur Verfügung stehen wird. Steuern und Abgaben Union und SPD wollen in dieser Wahlperiode – voraussichtlich ab 2021 – den Solidaritätszuschlag für etwa 90 Prozent der Soli-Zahler abschaffen und sie so um zehn Milliarden Euro im Jahr entlasten. Geplant ist die Einführung einer Einkommensfreigrenze: Wer als Single mehr als etwa 60.000 Euro im Jahr verdient, soll den Soli komplett weiterbezahlen müssen. An der Freigrenze soll es noch eine Gleitzone geben, um Härten abzufedern. Damit hat sich die SPD weitgehend durchgesetzt, die Steuerentlastungen nur für untere und mittlere Einkommen zulassen wollte. Die Union erreichte im Gegenzug, dass der Spitzensteuersatz nicht angehoben wird. Auch insgesamt sollen keine Steuern erhöht werden. Allerdings soll die Abgeltungsteuer von pauschal 25 Prozent auf Zinsen abgeschafft werden, was bei wieder steigenden Zinserträgen im Einzelfall zu Mehrbelastungen führt. Geringverdiener mit bis zu 1300 Euro im Monat werden durch Senkung der Sozialbeiträge entlastet. Investitionen Insgesamt wollen Union und SPD knapp 1,4 Billionen Euro bis 2021 ausgeben. Im Rahmen des auf 45 Milliarden Euro definierten verfügbaren Finanzspielraums haben die drei Parteien prioritäre Maßnahmen festgelegt, die sie auf jeden Fall anpacken wollen. Für die Wohnungsbauförderung fallen vier Milliarden Euro mehr an, davon zwei für die steuerliche Förderung der Bauherren. 1,5 Millionen Wohnungen sollen bis 2021 neu gebaut werden, derzeit sind es nur 300.000 pro Jahr. Der Immobilienerwerb von Familien soll staatlich gefördert werden, allerdings findet sich das von der Union geforderte Baukindergeld nicht im Programm. In Digitalisierung und Ausbau des Breitbandnetzes sollen zwölf Milliarden Euro fließen, die aus Versteigerungserlösen für Mobilfunk-Lizenzen kommen. Zur Förderung ländlicher Räume will die Koalition zwölf Milliarden mehr ausgeben. Nur
Kindergeld wird um zehn Euro (2019) und um weitere
15 Euro (2021) pro Kind erhöht
Arbeitslosenbeitrag zwei Milliarden Euro mehr und damit deutlich weniger als von der Union gefordert soll es für Verteidigung und Entwicklungshilfe geben. Damit wird das Nato-Ziel, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, klar verfehlt. Familien Für Familien soll es bis 2021 insgesamt zwölf Milliarden Euro mehr als bisher geben. Darunter fällt auch die von der Union geforderte Erhöhung des Kindergelds in zwei Schritten Mitte 2019 und Anfang 2021 um insgesamt 25 Euro, für die dann ab 2021 jährlich 3,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen werden. Union und SPD planen zudem ein Maßnahmenpaket gegen Kinderarmut. Zur Entlastung einkommensschwacher Familien soll der Kinderzuschlag erhöht werden. Innen und Verbraucherschutz Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern erhalten jeweils 7500 zusätzliche Stellen. Die Parteien wollen einen „Pakt für den Rechtsstaat“schließen. Bestandteil dieses Pakets soll die Schaffung von mindestens 2000 neuen Stellen in der Justiz der Länder sein. Die Unterbesetzung 8000 neue Stellen
in der Pflege
Solidarrente für Geringverdiener zehn Prozent über
Grundsicherung mit Richtern und Staatsanwälten soll nicht mehr der Grund dafür sein, dass Strafverfahren zu viel Zeit beanspruchen. Für Verbraucher wird eine Sammelklage eingeführt, damit sie ihre Rechte gegenüber Konzernen wie VW künftig besser durchsetzen können. Flüchtlinge Eine „Spanne von 180.000 bis 220.000“Flüchtlingen im Jahr soll künftig nicht überschritten werden. Davon sollen die Rückführungen und freiwilligen Ausreisen abgezogen werden. Die SPD hat damit das Unionsziel von bis zu 200.000 Migranten um zehn Prozent leicht nach oben verschoben. Allerdings ist sie im Gegenzug bereit, den Familiennachzug bei den subsidiär Geschützten weiter auszusetzen. Höchstens 1000 Angehörigen pro Monat wird der Nachzug ermöglicht, und das auch nur unter vier weiteren Bedingungen: Bei Ehepaaren muss die Ehe vor der Flucht geschlossen worden sein, es dürfen keine schweren Straftaten begangen worden sein, Gefährder dürfen nicht nachziehen, und es darf auch keine kurzfristige Ausreise zu erwarten sein. Die Maghreb-Staaten und alle anderen Staaten mit einer Anerkennungs- Soli wird für alle mit Jahreseinkommen bis 60.000 Euro abgeschafft 15.000 neue Stellen für innere Sicherheit quote unterhalb von fünf Prozent werden zu sicheren Herkunftsländern erklärt, um Asylverfahren zu beschleunigen. Alle Flüchtlinge sollen zunächst in zentralen Einrichtungen untergebracht werden. Rente Die SPD konnte ihr Anliegen durchsetzen, das heutige Rentenniveau von 48 Prozent bis 2025 gesetzlich festzuschreiben. Allerdings geht auch der aktuelle Rentenversicherungsbericht davon aus, dass dieses Niveau bis 2024 ohnehin gehalten wird. Zudem soll es eine vor allem von der SPD gewünschte Rente für Geringverdiener geben. Statt Solidarrente soll sie nun Grundrente heißen. Wer 35 Jahre lang Beiträge gezahlt, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, soll im Ruhestand über zehn Prozent mehr Geld verfügen als jene, die sich immer auf die Sozialsysteme verlassen haben. Allerdings gibt es eine Bedürftigkeitsprüfung: Bezieher müssen Vermögen und Einkommen offenlegen. Zudem soll die von der Union geforderte Rentenkommission eingesetzt werden, die die Zukunft über 2025 hinaus planen soll. Bei der Erhöhung der Mütterrente gibt es einen kleinen Erfolg für die CSU:
Flüchtlingszuzug wird auf maximal 220.000
pro Jahr begrenzt Erhöhung der Mütterrente Frauen mit drei oder mehr vor 1992 geborenen Kindern sollen pro Kind einen weiteren Rentenpunkt erhalten. Allein dies dürfte drei Milliarden pro Jahr zusätzlich kosten. Alle Rentenpläne sollen von den Beitragszahlern finanziert werden. Gesundheit/Pflege Die von der SPD geforderte Bürgerversicherung und die damit verbundene Abschaffung der privaten Krankenversicherung ist vom Tisch. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen künftig wieder einen gleich hohen Anteil an der Beitragslast für die Krankenkassen entrichten, indem die paritätische Finanzierung wieder eingeführt wird. Tarifsteigerungen für Klinikpersonal sollen über die Kassen refinanziert werden. 8000 neue Stellen in der Pflege sollen geschaffen werden. Auch die Bezahlung in der Altenpflege soll besser werden. Arbeit Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird voraussichtlich ab 2019 um 0,3 Prozentpunkte gesenkt. 150.000 Langzeitarbeitslose sollen künftig besser qualifiziert werden. Es wird ein Recht auf befristete Teilzeit in Betrieben mit mehr als 45 Mitarbeitern eingeführt. Die von der SPD geforderte Abschaffung von Arbeitsverträgen mit sachgrundloser Befristung wird es nicht geben. Bildung Dafür sind Mehrausgaben von insgesamt knapp sechs Milliarden Euro geplant. Das Kooperationsverbot im Grundgesetz, wonach der Bund den Kommunen finanziell nicht helfen darf, wird abgeschafft. Europa Es soll in Europa weiterhin keine finanzielle Solidargemeinschaft geben. Allerdings sollen sich Deutschland und Frankreich als „Innovationsmotor“verstehen und da vorangehen, wo die EU mit ihren 27 Mitgliedstaaten nicht handlungsfähig ist. Unternehmen wie Apple und Amazon sollen die Staaten der EU künftig nicht mehr gegeneinander ausspielen können. Dazu soll ein neuer Grundsatz eingeführt werden: Das Land des Gewinns ist auch das Land der Besteuerung. Auch die Finanztransaktionssteuer soll zum Abschluss gebracht werden. Union und SPD erklären ihre Bereitschaft, mehr Mittel Deutschlands für die EU aufzubringen. Eine gestärkte Eurozone soll den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln. Klimaschutz Union und SPD wollen die „Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 so schnell wie möglich schließen“. Damit wird eingestanden, dass das Klimaziel 2020 nicht mehr erreichbar ist. Eine Kommission soll Maßnahmen erarbeiten, wie der Klimaschutz beschleunigt werden kann. Sie soll auch einen Plan zur Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung einschließlich der sozialen Begleitmaßnahmen im Ruhrgebiet und in der Lausitz erarbeiten. Nordrhein-Westfalen Die schwarzgelbe Landesregierung gerät in ein Dilemma. Sie hatte den Wählern im Koalitionsvertrag üppige Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer versprochen, die im Wesentlichen der Bund bezahlen soll. Das Sondierungspapier sieht aber lediglich einen neuen gesetzlichen Rahmen vor, der den Ländern solche Freibeträge ermöglicht. Von einer Finanzierungsbeteiligung des Bundes ist dort nicht die Rede. Einem Gutachten zufolge würden die versprochenen Freibeträge in NRW zu Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe führen. Geht es nach dem Sondierungspapier, muss Schwarz-Gelb also entweder ein zentrales Wahlversprechen kassieren oder massive Mehrbelastungen im Landeshaushalt hinnehmen. NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) sagt: „Sondierungsergebnisse sind keine Koalitionsvereinbarungen. Der Bund muss sich finanziell beteiligen. Das wird noch zu verhandeln sein.“