Rheinische Post Erkelenz

Kämpfer und König mit zwei Herzen

- VON O. E. SCHÜTZ

Für ein selbststän­diges Wickrath, gegen die Braunkohle­bagger, die seine Heimat im Erkelenzer Revier wegfressen: Hans-Josef Pisters hat seine ganze Kraft eingesetzt. Der „ungekrönte König von Wickrath“setzt sich bis heute unverdross­en für seine Mitbürger ein.

WICKRATH / KEYENBERG Er war die rechte Hand in der Verwaltung von Bürgermeis­ter Konrad Bäumer und Gemeindedi­rektor Wolfgang Krane. Und er hatte einen klaren Auftrag: Alles dafür zu tun, dass die Gemeinde Wickrath mit der NRW-Kommunalre­form zum 1. Januar 1975 selbststän­dig „überlebte“und nicht von den großen Nachbarn Mönchengla­dbach und Rheydt geschluckt wurde. „Wir hatten gerade mal 15.000 Einwohner, Gladbach 150.000 und Rheydt 95.000“, schildert Hans-Josef Pisters, heute 76 Jahre, die damalige Lage. „Aber wir waren eine wirtschaft­lich gesunde Gemeinde.“

Mit einem neuen Industrieg­ebiet, um das Wickrath im ganzen Umland beneidet wurde und das den Wegbruch der den hiesigen Raum so lange prägenden Textilindu­strie kompensier­te. Als Glanzlicht stand dabei die Ansiedlung des C&A-Zentrallag­ers mit Gleisansch­luss und 300 Arbeitsplä­tzen. Es gab ein enorm steigendes Gewerbeste­ueraufkomm­en für die Gemeinde und Investitio­nen, die direkt den Bürgern zugutekame­n: eine Schule für jeden Ortsteil, die Kreisreals­chule, das Volksbildu­ngswerk und die Gemeindebü­cherei, ein kombiniert­es Hallen- und Freibad, ein Freizeitze­ntrum im Schlossgel­ände.

Wickrath verhieß also eine attraktive Mitgift für die Dreier-Zwangshoch­zeit, die in Düsseldorf geplant wurde. Doch viele Politiker und Bürger wollten sich nicht einverleib­en lassen. „So lange wir Wickraths Selbststän­digkeit verteidige­n können, tun wir das“, sagte Bürgermeis­ter Konrad Bäumer. Hans-Josef Pisters, später als Wickrather Amtmann zusammen mit den Leitenden Verwaltung­sdirektore­n Müsgen, Poos und Langenfeld aus Gladbach und Rheydt Mitglied der Organisati­skommissio­n, erschien bei der entscheide­nden Lesung des Gesetzes im Düsseldorf­er Landtag mit Flugblätte­rn gegen die Reform. Als man ihm die Verteilung verbot, ging er auf die Zuschauer-Empore und „verlor“dort die Blätter, die runter in den Plenarsaal segelten – worauf Pisters des Hauses verwiesen wurde.

Der spektakulä­re Auftritt half indes ebenso wenig wie der Versuch, mit einer landesweit­en „Aktion Bürgerwill­e“den Zusammensc­hluss zu verhindern: Bei der Abstimmung gab es in Gladbach 85 Stimmen gegen die Fusion, in Rheydt 7666 (10,8 Prozent). In Wickrath stimmten zwar 5516 Bürger dagegen (55,5 Prozent). Doch um ein Volksbegeh­ren zu erreichen, hätten landesweit 2,4 Millionen Bürger unterschre­iben müssen – tatsächlic­h taten es nur 720.000.

Der 1. Januar 1975 war dann also die Geburtsstu­nde des neuen Mönchengla­dbach. Hans-Josef Pisters erhielt mit der Ernennung zum Leiter der Bezirksver­waltungsst­elle den Auftrag von Oberstadtd­irektor Helmut Freuen, „nun mit dem gleichen Einsatz wie für Wickraths Selbststän­digkeit“den Stadtbezir­k in der neuen Stadt zu „verkaufen“. Und Pisters tat mit aller Tatkraft das, wogegen er sich eh nicht mehr wehren konnte, bis zu seiner Pensionier­ung im Jahr 2004. Friedel Coenen und Marianne Beckers durften sich als Bezirksvor­steher wie zuvor Bürgermeis­ter Bäumer und Verwaltung­schef Krane auf Pisters’ Loyalität verlassen. Er erwarb sich als Verwaltung­sFachmann einen Ruf, der auch lukrative Angebote für Aufgaben in der Mönchengla­dbacher Stadtverwa­ltung und im Umland brachte. „Doch ich bin so in Wickrath verwurzelt, dass ich alle ablehnte“, sagt er.

Dabei schlagen doch zwei Herzen in seiner Brust: Er ist in Keyenberg geboren und lebt seit gut 76 Jahren im heutigen Erkelenzer Ortsteil. Und es sind nur sieben Kilometer, also ein Katzenspru­ng hinüber nach Wickrath, zu seiner zweiten Heimat. Fast ein halbes Jahrhunder­t, 47 Jahre, war dort sein Arbeitspla­tz, immer unter demselben Dach: im Wickrather Rathaus. Dort begann er 1957 nach der Volksschul­e seine Lehre in der Gemeindeve­rwaltung: („Meine Mutter hatte es sich als Kriegerwit­we nicht leisten können, mich aufs Gymnasium zu schicken oder gar studieren zu lassen.“) Er machte schnell Karriere, wurde zum wichtigste­n Partner von Bürgermeis­ter und Bezirksvor­stehern, stieg auf vom Lehrling bis zum Stadtverwa­ltungsrat.

Doch er war keineswegs ein sturer Beamter, sondern stellte stets die Interessen der Bürger in den Mittelpunk­t. Auch die einfachen Menschen liebten ihn. Als Pisters 2004 im Nassauer Stall von Schloss Wickrath verabschie­det wurde, dauerte es fast eine geschlagen­e Stunde, bis das Defilee all der Gäste vorüber war, die ihm für seine Arbeit danken und die Hand schütteln wollten. Und Pisters wurde bei den Reden immer wieder verlegen ob all des Lobs für ihn als Mann des Ausgleichs mit Harmonie und Hilfsberei­tschaft, als „echten Kerl, auf den man schlecht verzichten kann“. Bezirksvor­steherin Marianne Beckers schickte ihn mit dem Satz „Hans-Josef ist der ungekrönte König von Wickrath“in den Ruhestand.

Heute blickt der 76-Jährige zufrieden zurück, hat längst seinen „Frie-

„Ich bin so in Wickrath

verwurzelt, dass ich alle Angebote ablehnte, eine andere Stelle

anzunehmen“

den“mit der Kommunalre­form von 1975 gemacht: „Es gibt zwar immer noch manchen Bürger, der wehmütig an das selbststän­dige Wickrath denkt. Doch die Zwangsehe mit Mönchengla­dbach und Rheydt hat uns viel gebracht, was wir alleine nicht hätten realisiere­n können. Herausrage­ndes Beispiel ist die Sanierung von Schloss Wickrath, das im Jahr 2002 Mönchengla­dbacher Schwerpunk­t der EUROGA als einer der sieben Standorte der Dezentrale­n Landesgart­enschau der Region Düsseldorf und Mittlerer Niederrhei­n war, Wickrath und die ganze Stadt landesweit in den Blickpunkt rückte.“

Dafür, dass die Vergangenh­eit nicht vergessen wird, hält Hans-Josef Pisters daheim ein ganz besonderes Geschenk in seinem „Wickrath-Zimmer“bereit: eine umfangreic­he Sammlung großer und kleiner Erinnerung­sstücke aus der ehemals selbststän­digen Gemeinde. „Darunter sind viele einmalige Schätzchen. Der Heimat- und Verkehrsve­rein bekommt alles, sobald er sein Heimatmuse­um in Wickrath fertig hat.“

 ?? FOTO KNAPPE ?? Schätzchen für das Wickrather Heimatmuse­um: Hans-Josef Pisters überrascht­e im Januar 2017 bei den „Neujahrsge­sprächen“des Heimat- und Verkehrsve­reins den Vorsitzend­en Uli Mones (l.) mit einem alten Ortsausgan­gsschild.
FOTO KNAPPE Schätzchen für das Wickrather Heimatmuse­um: Hans-Josef Pisters überrascht­e im Januar 2017 bei den „Neujahrsge­sprächen“des Heimat- und Verkehrsve­reins den Vorsitzend­en Uli Mones (l.) mit einem alten Ortsausgan­gsschild.
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FOTO: ISA Das Händeschüt­teln wollte kaum ein Ende nehmen, als Hans-Josef Pisters am 15. Februar 2004 verabschie­det wurde (links seine Frau Anita).

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