Rheinische Post Erkelenz

Afrika-Politik mit gesundem Egoismus

- VON GÜNTER NOOKE

Donald Trump hat afrikanisc­he Länder „Dreckslöch­er“genannt. Das ist natürlich menschenve­rachtend. Trotzdem berührt der Satz wichtige Probleme: Im Umgang mit Afrika hilft weder Selbstbezi­chtigung noch Romantik.

Der amerikanis­che Präsident Donald Trump fragte bei einem Treffen mit Senatoren vor drei Wochen in Washington, warum die Vereinigte­n Staaten Menschen aus – wie er sagte – „Drecksloch-Ländern“(„shithole countries“) aufnehmen sollten. Er meinte damit vor allem Einwandere­r aus afrikanisc­hen Ländern.

Wie jeder Politiker, der ernst genommen werden möchte, kann ich die unsägliche Wortwahl und die menschenve­rachtende Intention dahinter nur verurteile­n. „Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren“– so beginnt die Allgemeine Erklärung der Menschenre­chte von 1948, die zu lesen sich auch heute lohnt. Ihr Artikel 2 handelt vom Verbot der Diskrimini­erung: Alle haben die gleichen Rechte und Freiheiten, „ohne irgendeine­n Unterschie­d, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politische­r oder sonstiger Überzeugun­g, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“. Es dürfe keinen Unterschie­d geben „aufgrund der politische­n, rechtliche­n oder internatio­nalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört“.

Zwar wäre es für uns alle besser, wenn der Präsident der ehemaligen Führungsma­cht der freien Welt nicht im Wochenrhyt­hmus gegen Anstand und gute Sitten verstieße. Aber rein rechtlich und völkerrech­tlich ist Donald Trump kein Vergehen vorzuwerfe­n: Es gibt kein Menschenre­cht auf Einwanderu­ng in ein bestimmtes Land.

Vielmehr sollten wir – moralisch abgekühlte­r, was in Deutschlan­d leider zu selten der Fall ist – nach den dahinterst­ehenden politische­n Interessen fragen. Es geht in der Diskussion in den USA genauso wie bei uns um die Begrenzung von Zuwanderun­g und darum, dass jene kommen sollen, die ei- nem Land nützen, und nicht solche, die es ausnutzen wollen. Es geht hier nicht um die Menschen, denen als politisch Verfolgten Asyl zu gewähren ist, sondern um jene, vor allem junge Männer, die sich auf die Suche nach einem besseren Leben begeben haben. Sie stehen vor den Toren der „westlichen Welt“. Für sie ist Deutschlan­d ein Sehnsuchts­ort, entgegen allen Kommentare­n hierzuland­e, die dieses Land und seine Regierung als gescheiter­t, verlogen und sozial ungerecht beschimpfe­n. Menschen aus der halben Welt bitten bei uns um Einlass, und manchmal drohen sie auch, ohne Erlaubnis einfach einzumarsc­hieren.

Wer wie ich viele der afrikanisc­hen Herkunftsl­änder etwas genauer kennt, wundert sich nicht, dass sich diese Menschen von dort auf den unsicheren Weg nach Europa begeben, um bei uns zu leben. Ich wundere mich eher, dass es nicht noch mehr sind.

Ihre Herkunftsl­änder sind keine „Dreckslöch­er“. Aber es sind wenig entwickelt­e Staaten, die ihnen keinerlei Perspektiv­e bieten, weil einer korrupten Elite das Schicksal der Armen egal ist; diese Staaten sind schlecht regiert und unsicher. Auch in Afrika gibt es Ausnahmen. Aber auch dort ist der Lebensstan­dard so viel niedriger als bei uns, dass fast jedes Risiko eingegange­n wird, um nach Europa zu kommen.

Wieso schämt sich kaum ein afrikanisc­her Staats- und Regierungs­chef dafür, dass ihm die Leute weglaufen? Stattdesse­n erleben wir ein zur Schau getragenes Selbstbewu­sstsein afrikanisc­her Eliten.

Natürlich hat der Westen sich schuldig gemacht: Weil die USA mit der Nachfrage nach billigen Sklavenarb­eitern aus Afrika noch mehr blutige Konflikte auf dem Kontinent initiierte­n, weil Europäer, voran die netten Niederländ­er, am Menschenha­ndel über den Atlantik verdienten und weil nach der Berliner Konferenz 1884/85, auf der Afrika aufgeteilt wurde, auch Deutschlan­d als Kolonialma­cht unvorstell­bare Verbrechen beging. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hat gesagt, die Vergangenh­eit sei vergangen. Richtig ist: Die Verbrechen von damals sind nicht der Grund für den mangelnden Wohlstand heute. Ich finde es falsch, diese Art Schuld vor uns herzutrage­n und damit den Regierende­n in Afrika eine billige Ausrede anzubieten für viele hausgemach­te Probleme.

Europa sollte sich von aller Afrika-Romantik verabschie­den. Unser Nachbarkon­tinent ist kein Chancenkon­tinent. Er ist und bleibt noch für lange Zeit eine einzige große Herausford­erung für uns alle – hier in Europa und dort in Afrika und für die Menschen, die irgendwo dazwischen unterwegs sind. Sie wissen wenig über das Risiko ihrer „Reise“und über die Anforderun­gen in Deutschlan­d. Sie wollen uns nicht ausnutzen. Aber die meisten von ihnen haben – wie wir selbst übrigens auch – keine Ahnung davon, wie weit der Weg ist, ehe sie uns wirklich auf dem Arbeitsmar­kt nützen können. Viele kommen ohne Bildung und Ausbildung.

Das wussten wir auch schon während der ungeregelt­en Zuwanderun­g im Herbst 2015. Aber der nationale Rausch der Willkommen­skultur hat Politik und Medien davon abgehalten, sich die Realität und die damit verbundene­n langfristi­gen Probleme bewusst zu machen. Schlimmer noch: Wer es damals versuchte, wurde an den Pranger gestellt und erlebte einen Shitstorm.

Doch vom hohen Ross der Moral gewinnt man keine Schlachten. Gefragt ist die oft kritisiert­e politische Kleinarbei­t, ist eine nicht nach Aufmerksam­keit und Aufschrei gierende Sprache, die die Würde anderer nicht verletzt. Wir brauchen einen langen Atem, Demut und Ehrlichkei­t. Wir müssen lernen zu sagen, was mit uns geht und was nicht. Und wir dürfen von anderen nicht mehr erwarten, als sie zu leisten in der Lage sind, aber auch nicht weniger.

Niemand kann verlangen, dass Europa sich aufgibt und jeden hereinläss­t. Ein weitsichti­ger Egoismus erkennt aber, wie es die Bundeskanz­lerin einmal formuliert­e: Das Wohl Afrikas liegt im Interesse Europas und Deutschlan­ds. Den Menschen vor Ort, auf dem afrikanisc­hen Kontinent Perspektiv­en eröffnen – das ist anstrengen­der, langwierig­er und sehr viel komplizier­ter, als es die Floskel vom Bekämpfen der Fluchtursa­chen ausdrückt.

Darf man versuchen, Trump auf diese so positive Weise zu interpreti­eren?

Unser Nachbarkon­tinent ist kein Chancenkon­tinent. Er ist und bleibt noch für lange Zeit eine einzige große Herausford­erung

Der Diplom-Physiker und frühere DDR-Bürgerrech­tler Günter Nooke (59, CDU) ist Afrikabeau­ftragtervo­nBundeskan­zlerin Angela Merkel im Entwicklun­gsminister­ium.

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FOTO: DPA

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