Der Kampf um Erhards Erbe
Ludwig Erhard
1949 – 1963 Kurt Schmücker
1963 – 1966 BERLIN Der Schmerz in Wirtschaft und Union sitzt tief: Die Kanzlerin muss ausgerechnet das mächtige Finanzministerium der SPD als Preis für eine neue große Koalition überlassen. Nun versucht Angela Merkel, den Zuschlag für das Wirtschaftsministerium als großen Gewinn darzustellen. „Das Wirtschafts- und Energieministerium besetzen zu können, war jahrelang Sehnsucht von vielen“, sagte sie jüngst im ZDFInterview. Ihr Wirtschaftsminister – als Favorit gilt Merkels Vertrauter Peter Altmaier (CDU) – soll ein Gegengewicht zum möglichen neuen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) werden und an die Glanzzeiten von Ludwig Erhard anknüpfen.
„Das Wirtschaftsministerium ist das Ministerium von Ludwig Erhard. Jetzt hat es die CDU erstmals seit 1966 wieder. Das ist eine Riesenchance für die CDU, endlich wieder den ordnungspolitischen Kompass auszupacken“, sagt Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. „Künftig kön- Helmut Schmidt
1972 Karl Schiller 1966 – 1972 Otto Graf Lambsdorff 1977 – 1982 1982 – 1984 Hans Friderichs
1972 – 1977 nen wir über das Wirtschaftsministerium mehr marktwirtschaftliche Akzente in der konkreten Europapolitik setzen.“
Ludwig Erhard ist als Vater der Währungsreform, die den Deutschen die Mark brachte, und erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik legendär. Er verstand sein Haus als ordnungspolitisches Gewissen der Adenauer-Regierung und warb unermüdlich für die Soziale Marktwirtschaft. Seine Schule war der Ordoliberalismus: Hier hat der Staat nur die Aufgabe, einen Ordnungsrahmen für freien Wettbewerb zu schaffen, den Rest regelt der Markt. Alfred Müller-Armack, der Erfinder des Begriffs Soziale Marktwirtschaft, war Leiter von Erhards Grundsatz-Abteilung.
Erhard nutzte die Entnazifizierungspolitik der Alliierten, um Juristen aus dem Vorgänger-Amt gegen reformhungrige Ökonomen auszutauschen. Die „Brigade Erhard“setzte in Fraktion und Ministerium seine Visionen um und „kompensierte dadurch Erhards unzweifelhafte Defizite als Behördenleiter“, wie die Adenauer-Stiftung schreibt.
Der Minister mit Zigarre kämpfte (wenn auch vergeblich) gegen die Einführung der dynamischen Rente durch Adenauer. Er schuf das „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“und gründete das Bundeskartellamt. „Wohlstand für alle und Wohlstand durch Wettbewerb gehören untrennbar zusammen“, war Erhard überzeugt. Ausgerechnet der Bundesverband der Industrie (BDI), Martin Bangemann
1984 – 1988 Manfred Lahnstein
1982 Jürgen Möllemann
1991 – 1993 Helmut Haussmann
1988 – 1991 der in Sonntagsreden gerne den Wettbewerb hochhält, lehnte die Fusionskontrolle lange ab. Noch bei der Feier zum 80. Geburtstag soll Erhard die BDI-Vertreter eigenhändig von der Gästeliste gestrichen haben, wird als Anekdote erzählt.
Auch zwei Sozialdemokraten gelten als starke Erhard-Nachfolger: Karl Schiller, der zusammen mit Finanzminister Franz-Josef Strauß (CSU) die Wirtschaftspolitik der ersten großen Koalition bestimmte und die erste Nachkriegs-Rezession meisterte. Und Helmut Schmidt: Als der Hamburger 1972 das Finanzministerium übernahm, gab man ihm als Morgengabe die wichtige Geldund Kredit-Abteilung mit. Keinem Wirtschaftsminister gelang es seither, diese zurückzuholen. G20-Gipfel und Euro-Politik sind bis heute Sache des Finanzministers.
Später gehörte das Wirtschaftsressort zu den Erbhöfen der FDP – Günter Rexrodt
1993 – 1998 Werner Müller
1998 – 2002 Wolfgang Clement
2002 – 2005 unabhängig davon, mit wem sie koalierte. Otto Graf Lambsdorff hatte als „Markt-Graf“dem Haus noch etwas Glanz verliehen, bevor er wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Martin Bangemann, Helmut Haussmann und Günter Rexrodt galten als schwache Minister. Von ihnen blieb wenig – von Bangemann vor allem ein späterer Skandal, als er vom Amt des EU-Kommissars für Telekommunikation direkt zum Telefonica-Konzern wechselte.
Als Oskar Lafontaine (SPD) 1998 Finanzminister wurde, schnitt er die volkswirtschaftliche Abteilung aus dem Wirtschaftsressort und holte sie in sein Haus. Das galt als zweiter großer Aderlass. War unter Erhard das Wirtschaftsministerium noch Steuerungszentrale für das große Ganze, degradierte Lafontaine es zum Haus für Mittelstand. Bis heute ist das Finanzministerium das ökonomische Machtzentrum.
Ein Zwischenhoch erlebte das Haus unter Wolfgang Clement (SPD), der es als Superministerium für Wirtschaft und Arbeit führen durfte. Ohne diese Umorganisation hätte Gerhard Schröder seine Agenda 2010 nie durchsetzen können, sind Begleiter überzeugt. Wäre die Arbeitsmarktpolitik damals im Sozialministerium geblieben, wo sie heute wieder ist, gäbe es noch immer Arbeitslosenhilfe statt Hartz IV.
Nach dem Regierungswechsel 2005 versank das Haus unter Michael Glos fast in der Bedeutungslosigkeit. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) Michael Glos 2005 – 2009 Karl-Theodor zu Guttenberg
2009 Rainer Brüderle
2009 – 2011 Philipp Rösler
2011 – 2013 führten Deutschland durch die schwere Wirtschaftskrise 2008. Der Müllermeister aus der CSU, den Edmund Stoiber in das Amt gedrängt hatte, blieb stumm. „Schlaftablette auf zwei Beinen“, nannte ihn der Grünen-Politiker Fritz Kuhn. Das vielleicht Einzige, was von Glos bleibt, ist, dass er eine Erhard-Büste im Ministerium aufstellen ließ.
Auch die späteren Minister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und Philipp Rösler (FDP) machten mit vielem Schlagzeilen, aber nicht mit ordnungspolitisch klarer Kante.
Unter Sigmar Gabriel wurde das Haus wieder mächtiger. Aber der Sozialdemokrat nutzte es eher als Neben-Kanzleramt denn als Hüter des Wettbewerbs, sagen Beobachter. Die Ordnungspolitik blieb wieder mal auf der Strecke: Gabriel machte per umstrittener Ministerlaubnis den Weg frei für die Übernahme der Kaiser’s-Märkte durch Edeka. Seine Nachfolgerin Brigitte Zypries (die erste Frau im Amt) vergab die Air-Berlin-Bürgschaft, die prompt verloren ging. Den aufrechten Ökonomen im Haus war das alles ein Graus. Dass Gabriel die Grundsatzabteilung ins räumliche Abseits, nach Moabit, verlagerte, galt ohnehin als Symbol.
Für die Frage, wie mächtig der neue Wirtschaftsminister ist, spielt auch die Energieabteilung eine Rol- Sigmar Gabriel
2013 – 2017 Brigitte Zypries
2017 – le. Die war unter Gabriel durch Übertragung von Kompetenzen aus dem Umweltministerium aufgewertet worden. Rainer Baake (Grüne) macht seither als Staatssekretär die Energiepolitik für die Groko. Kundig, aber eben grün. Er gilt als Schrecken der Stromkonzerne, insbesondere von RWE. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) soll deshalb auf seine Ablösung dringen. Altmaier dagegen soll mit Baake gut können. In jedem Fall gilt: „Die Union muss aufpassen, dass der neue Minister nicht der Grüßonkel der Wirtschaft wird“, heißt es in Berlin.
„Mit den Ressorts Finanzen sowie Arbeit und Soziales haben sich die Sozialdemokraten einen umfangreichen Einflussbereich sichern können, der sehr ausgabenrelevant ist“, warnt Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer. Der Wirtschaftsminister stehe nun in der Verantwortung, üppiges Geldverteilen ebenso zu vermeiden wie Entscheidungen, die die Sozialabgaben erhöhen oder die Arbeitsflexibilität einschränken. Auf das Haus als Zwischengrätscher setzt auch Eckhardt Rehberg, ChefHaushälter der Unionsfraktion: „Die wesentlichen wirtschafts- und finanzpolitischen Dinge werden im Finanz- und Arbeitsministerium entschieden, das ist schon richtig. Aber das Wirtschaftsministerium hat überall ein Mitspracherecht.“
Angela Merkel
Die Union muss der SPD das Finanzministerium überlassen. Nun will die Kanzlerin einen starken CDU-Wirtschaftsminister als Gegengewicht aufbauen. Er soll an Erhards Zeiten anknüpfen. „Das Wirtschaftsministerium besetzen zu kön
nen, war jahrelang Sehnsucht von vielen“