„Die Regierung bricht bewusst EU-Recht“
INTERVIEW ANNALENA BAERBOCK
Die Grünen-Chefin zum Chaos bei fehlenden blauen Plaketten und zum Umgang mit der AfD.
Frau Baerbock, die AfD verstößt immer wieder gegen Spielregeln der Demokraten. Muss die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden? BAERBOCK Diese Partei ist definitiv nicht mehr nur eine rechtspopulistische Partei. Einige ihrer Wortführer und auch einige ihrer Initiativen im Bundestag lassen ein Weltbild durchblicken, das unsere Verfassung verachtet. Teile der AfD arbeiten eng mit Rechtsextremen zusammen. Daher ist es auch richtig, dass die Sicherheitsbehörden die Beobachtung durch den Verfassungsschutz prüfen. Was muss gegen die antidemokratischen Tendenzen unternommen werden? BAERBOCK Mit klarer Haltung und Leidenschaft für unsere Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie werben. Das heißt, nicht nur große Reden zu schwingen, sondern vor Ort im persönlichen Gespräch zu erklären, zuzuhören und auch zu streiten. Zugleich brauchen wir eine explizite Politik der Daseinsvorsorge und der sozialen Teilhabe. Wir haben in unserem reichen Land Regionen – nicht nur, aber gerade auch im Osten– , wo kein Bus fährt, kein Laden mehr existiert, es keine Hebamme und auch kein wirkliches Internet gibt. Dort fühlen sich Leute nicht nur abgehängt, sie sind es. Und wenn die Daseinsvorsorge bröckelt, dann bröckelt auch das Vertrauen in den Staat. Hilft da das neue Heimatministerium? BAERBOCK Die Stärkung von Regionen und des sozialen Miteinanders muss eine Querschnittsaufgabe der gesamten Bundesregierung werden. Es reicht nicht, dies als Unterabteilung in einem Ministerium anzusiedeln. Zumal durch das nun gewählte Innenministerium genau das Gegenteil von dem droht, was wir brauchen. Nämlich auf Abschottung zu fokussieren statt auf das Miteinander. Mir geht es darum, strukturschwache Regionen wieder zu beleben, Menschen Halt in einer globalisierten Welt zu geben und dafür zu sorgen, dass Menschen, die zu uns kommen, nicht nur ankommen, sondern bei uns auch heimisch werden. Die Regierung will keine blauen Plaketten für Diesel-Autos in den Städten. Was ist die Konsequenz? BAERBOCK Nichts Gutes. Zunächst einmal für die Betroffenen an den verschmutzen Straßen, die ja ein Recht auf saubere Luft haben. Autofahrer wiederum werden ohne blaue Plakette keine Übersicht mehr haben, in welche Stadt sie noch fahren dürfen. Jede betroffene Kom- mune muss sich alleine etwas ausdenken. Die Regierung bricht zudem bewusst EU-Recht. Die fällige Strafzahlung wird der Steuerzahler berappen müssen. Und dann ist es auch ein soziales Problem: Die Fahrverbote treffen vor allem diejenigen, die sich keinen Neuwagen leisten können, weil die Bundesregierung nicht den Mut oder den Willen hat, eine Weisung zur Nachrüstung der manipulierten Autos auf Kosten der Konzerne zu erteilen. Können die Grünen als kleinste Oppositionsfraktion zerrieben werden? BAERBOCK Über Erfolg und Misserfolg entscheiden andere Fragen als die, wann wir im Parlament reden: Wer hat die besten Ideen? Wer hält die interessantesten Reden? Wer schaut der Groko am genauesten auf die Finger? Und wer bietet insgesamt etwas Neues? Daran werden wir gemessen.