Dividenden sprudeln – wo sind die Anleger?
Aktieninvestoren profitieren von der robusten Wirtschaftsentwicklung. Doch viele deutsche Anleger sind immer noch nicht dabei. Experten machen Mut, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Denn es rentiert sich.
Und wieder verraten aktuelle Zahlen ein erstaunliches Phänomen, das Finanzprofis seit Jahren beobachten: Unternehmensgewinne sprudeln, doch Privatanleger investieren statt in Aktien hohe Summen in unrentable Geldanlagen. Dirk Günthör, Direktor Regionalmarkt der Stadtsparkasse Düsseldorf, bringt das Phänomen prägnant auf den Punkt: „Die Deutschen sparen viel und arbeiten fleißig – aber mit ihrem Geld gehen sie in puncto Geldanlage nicht gleichermaßen um.“
Die Hintergründe: In diesem Jahr schütten allein die größten deutschen Konzerne, die im Leitindex Dax notiert sind, 34,8 Milliarden Euro an Dividenden aus, zehn Prozent mehr als im bereits guten vergangenen Jahr. Gleichzeitig sind in Deutschland die privaten Geldvermögen um 280 Milliarden Euro auf 5,8 Billionen Euro gestiegen. Die Sparquote beträgt konstante zehn Prozent – seit Jahren.
Klingt alles gut – aber: Der durchschnittliche Zuwachs des Vermögens beträgt magere 1,2 Prozent. „Selbst das erreichen die wenigsten“, analysiert Günthör. Denn von den 5,8 Billionen Euro parken 2,5 Billionen in bar oder auf Giround Festgeldkonten. „Geldmarktnahe Nichtanlagen“nennt Günthör diese Investments. Denn für sie gibt es nur magere Zinsen.
Zugleich zieht die Inflationsrate doch so allmählich an. Aktuell liegt sie bei etwa 1,6 Prozent. Im März hatten Lebensmittelpreise sogar 2,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt. Für dieses Jahr rechnet Günthör insgesamt mit einer Preisentwicklung von 1,5 bis zwei Prozent. „So viel schaffen die Sparer mit konservativen Anlagen nicht“, beschreibt der Finanzexperte das Dilemma.
Warum verharren viele Anleger in dieser Starre? „Wir leben in einer Zeit des ängstlichen Aufschwungs“, erklärt Günthör, „die Wirtschaft brummt, die Aktien sind gestiegen, aber viele fragen besorgt: Was passiert, wenn die Börsen abrutschen?“Der Sparkassenexperte redet in keinster Weise der Leichtsinnigkeit das Wort: „Es gibt viele Risiken – angefangen bei den geopolitischen Unsicherheiten.“Politische Konflikte, Handelsbarrieren, hohe Verschuldung auch von Wachstumsstaaten wie China – Günthör fallen eine Menge solcher Risiken ein. Die für deutsche Anleger größten sieht er zum einen im Euro-Dollar-Verhältnis. Sollte der Euro stark steigen, schadete dies der Exportwirtschaft. Das zweite Risiko für die Börsen: Wenn die Notenbanken in zu schnellen Schritten die Zinsen auf ein historisch normales Niveau hieven, ziehen Investoren Geld aus den Aktienmärkten.
„All diese Risiken gehören dazu, und man muss sie beobachten. Aber man muss auch fragen: Welche Chancen gibt es?“, betont Günthör. Zum Beispiel die Chance, dass die Notenbanken mit einer moderaten Zinspolitik und besonnenen sowie gut kommunizierten sanften Rückkehr zur Normalität in der Zinspolitik Turbulenzen an den Börsen verhindern. Und vor allem: dass die Wirtschaft vermutlich weiter wächst.
Was sollen Sparer daraus schließen? „Sie sollten sich zuallererst gut beraten lassen“, empfiehlt der Experte. In einer solchen Beratung steht die Vermögensstrukturierung im Mittelpunkt. Zunächst geht es darum, die Anlagebedürfnisse und Zeithorizonte zu klären. Welches Risiko verträgt der Anleger – wenn Börsen einmal schwanken? Wann wird welches Geld gebraucht und wofür?
Nachdem dies geklärt ist, geht es darum, das anzulegende Geld gut zu verteilen. „Die richtige Mischung macht den Erfolg aus“, sagt Günthör. In die Betrachtung gehört auch eine eigene, selbst genutzte Immobilie und die Altersvorsorge. Für Notfälle sollten liquide Mittel bereitliegen, als Reserve dient auch das gute, alte Sparbuch. Stufenweise kann der Sparer dann in rentablere Anlagen gehen. Hier steigen die Risiken, aber ebenfalls graduell. So gibt es zum Beispiel Zertifikate, die drei Prozent Zinsen bringen, solange ein Aktienindex wie der Euro Stoxx um nicht mehr als 50 Prozent fällt. Das wäre aber schon ein drastischer Einbruch.
Wer den Aktienmärkten mehr zutraut, kann auch Aktienfonds kaufen und zur Abrundung bei bewusster Einschätzung der Risiken auch Einzeltitel. Als sehr wichtig erachtet Günthör die Einrich- tung eines Sparvertrages. Denn damit kann sich der Sparer sogar vor Kursschwankungen schützen: Bei einem gleichbleibenden regelmäßigen Sparbetrag kauft man ja mehr Wertpapiere, wenn sie gerade im Kurs gefallen sind, aber nicht zu viele, wenn die Kurse gerade sehr hoch stehen. Und Sparpläne auf Aktienfonds können übrigens auch Kleinsparer einrichten – das geht schon ab 25 Euro im Monat.
Sparer haben also viele Möglichkeiten, der „Realzinsfalle“zu entgehen, wie Günthör das Spannungsverhältnis von Niedrigzinsen und Inflationsrate nennt. Zu Aktieninvestments gebe es derzeit wenig Alternativen. Viele Marktbeobachter gehen davon aus, dass die Zinsen auf absehbare Zeit, voraussichtlich bis Mitte des nächsten Jahrzehnts, nicht so weit steigen werden, dass sie aus der Realzinsfalle führen. „Nur Mut also“, rät Günthör, „aber nicht ohne gute Beratung!“
„Risiken gehören dazu – aber man muss auch fragen: Welche Chancen
gibt es?“