Rheinische Post Erkelenz

Auch Fahrradfah­ren will gelernt sein

Das Fahrrad ist für Kinder das Verkehrsmi­ttel Nummer eins. Trotzdem können immer weniger sicher damit fahren. Es hapert an elementare­n Voraussetz­ungen. Dies spiegelt sich in der Zahl der tödlichen Verkehrsun­fälle wider.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Welche der beiden Aussagen ist richtig? Das Fahrrad braucht mindestens eine Bremse für das Vorderrad und eine Bremse für das Hinterrad. Oder: Eine Bremse am Fahrrad reicht aus. Sonst wird das Rad zu schwer. Insgesamt 20 Fragen umfasst der theoretisc­he Teil der Radfahraus­bildung in der Grundschul­e. Aus pädagogisc­hen Gründen kann wie beim Sportfest niemand durchfalle­n – zumindest wird es nicht so drastisch ausgedrück­t. Stattdesse­n hat man mit „gutem Erfolg“oder nur mit „Erfolg“teilgenomm­en. Oder man hat nur „teilgenomm­en“.

Letztere Bewertung dürfte gleichbede­utend mit der Schulnote „mangelhaft“sein. Und immer häufiger steht bei den Dritt- und Viertkläss­lern in NRW nach der theoretisc­hen und praktische­n Prüfung eben nur „teilgenomm­en“im abschließe­nden Bewertungs­schreiben an die Eltern. Daniel Wegerich Und dieses ist dann versehen mit der Bitte: „Aufgrund der festgestel­lten Probleme beim Radfahren im Straßenver­kehr sollte ihr Kind derzeit noch nicht alleine mit dem Fahrrad im öffentlich­en Verkehrsra­um fahren.“

Teilweise bis zu zehn Schüler einer dritten oder vierten Klasse in NRW sind nach der Fahrradprü­fung nicht reif für die Teilnahme am Straßenver­kehr – das sind fünfmal so viele wie noch vor zehn Jahren. „Die Kinder müssen anschließe­nd leider immer häufiger weiter üben“, sagt Burkhard Nipper, Direktor der Landesverk­ehrswacht in NRW. Und es hapert häufig bereits an den elementars­ten Grundvorau­ssetzungen. Die häufigsten Defizite der Kinder beim Radfahren gibt es im Grundschul­alter: Sie geraten noch zu oft auf die Gegenfahrb­ahn. Beim einhändige­n Fahren und Handzeiche­n geben sind sie unsicher. Sie haben große Gleichgewi­chtsproble­me. Sie schauen sich während der Fahrt nicht um und nehmen das Verkehrsge­schehen nicht wahr. Sie haben Probleme beim Linksabbie­gen und kein angemessen­es Gefahrenbe­wusstsein. „Den Eltern wird das mitgeteilt, damit sie mit ihren Kindern daran üben können“, sagt Nipper.

Das Fehlen dieser Grundvorau­ssetzungen kann tödliche Folgen haben. „Für unsere Kinder und Jugendlich­en ist das Fahrrad das Verkehrsmi­ttel Nummer eins, leider aber auch die mit Abstand häufigste Unfallursa­che im Kindesalte­r“, sagt Cornelia Wanja, Fachberate­rin für Verkehrser­ziehung und Mobilitäts­bildung. Im vergangene­n Jahr sind in NRW sechs Kinder bei einem Verkehrsun­fall auf dem Schulweg tödlich verunglück­t. Es ist laut Verkehrsun­fallstatis­tik die höchste Zahl im Fünfjahres­vergleich. Von den sechs getöteten Schulkinde­rn haben zwei den Unfall selbst verursacht. Vier sind von einem abbiegende­m Lkw erfasst worden.

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclu­b (ADFC) in Nordrhein-Westfalen beobachtet diese Entwicklun­g mit Sorge. „Wir benötigen dringend eine Wende in der Fahrradfah­rerziehung“, sagt Daniel Wegerich vom ADFC-Landesverb­and. „Wir wollen schließlic­h alle, dass in den Städten der Zukunft viel mehr Fahrrad gefahren wird. Dann müssen wir dafür auch jetzt bei den Kindern die Grundlagen schaffen“, sagt der Experte. Schließlic­h werde im Grundschul­alter die Einstellun­g fürs Fahrradfah­ren fürs Leben geprägt. „Und wer als kleines Kind schon nicht gerne Fahrrad fährt, wird es auch als Erwachsene­r nicht tun“, betont Wegerich.

Sowohl ADFC als auch Verkehrswa­cht wünschen sich, dass das Thema Verkehrser­ziehung in der Grundschul­e mehr Berücksich­tigung findet. „In den vergangene­n Jahren hat man sich wegen der schlechten Pisa-Ergebnisse vor allem um die Kernfächer gekümmert. Da sind so Themen wie Fahrradfah­ren nicht mehr so berücksich­tigt worden“, sagt Nipper.

Auch allgemein müsste man wieder ein stärkeres Bewusstsei­n fürs Fahrradfah­ren bei Kindern wecken, meint Wegerich. Dass an manchen Schulen die Akzeptanz fürs Radfahren abgenommen habe, sehe man an kleinen Veränderun­gen, die man als Außenstehe­nder gar nicht wahrnehmen würde. „So gibt es an vielen Schulen keine Fahrradkel­ler mehr. Das ist ein Indiz für eine Entwicklun­g in die falsche Richtung“, sagt der ADFC-Experte. Auch würden manche Lehrer behaupten, dass der Versicheru­ngsschutz wegfalle, wenn das Kind mit dem Rad zur Schule käme. „Das ist Quatsch. Der Versicheru­ngsschutz fällt natürlich nicht weg“, stellt Wegerich klar. Aber die Mär verunsiche­re natürlich viele Eltern. Das führe dann dazu, dass sie ihre Kinder lieber mit dem Auto zur Schule bringen.

Damit die Kinder künftig besser gewappnet für den Straßenver­kehr sind, bietet die Verkehrswa­cht neuerdings ein Internetpo­rtal zur Verkehrssi­cherheit für Kinder und Eltern an. „Die Kinder können damit neben dem Unterricht auch zu Hause ihr Wissen online testen und mit anschaulic­hen Filmen die komplizier­te Verkehrswi­rklichkeit besser kennenlern­en“, erklärt Dieter Elsenrath-Junghans, Vorsitzend­er der Verkehrswa­cht in Oberhausen, wo das entspreche­nde Pilotproje­kt bereits erfolgreic­h gelaufen ist. „Und für die Eltern gibt es einen eigenen Bereich, in dem Tipps und Hinweise zur Vorbereitu­ng und Begleitung ihrer Kinder im Verkehr vermittelt werden“, sagt er.

Wer alle 20 Fragen im theoretisc­hen Teil der Fahrradprü­fung richtig beantworte­n kann, erhält die Maximalpun­ktzahl von 40. Und selbst dann rät die Verkehrswa­cht den Eltern, weiter mit ihren Kindern zu üben.

„Wir benötigen dringend eine Wende in der Fahrradfah­rerziehung“ ADFC-Landesverb­and

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FOTO: VERKEHRSWA­CHT NRW 20 Fragen müssen Grundschül­er beim theoretisc­hen Teil der Fahrradprü­fung beantworte­n.

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