Rheinische Post Erkelenz

Der laute Knall von Caracas

In Venezuela soll es einen Attentatsv­ersuch gegen Staatschef Maduro gegeben haben. Der beschuldig­t Kolumbien und will nun die Opposition im eigenen Land endgültig zerschlage­n.

- VON TOBIAS KÄUFER

CARACAS Genau in jenem Moment, in dem Venezuelas sozialisti­scher Präsident Nicolás Maduro über die Wiederhers­tellung der Wirtschaft­skraft spricht, gibt es einen lauten Knall. Ehefrau Cilia Flores blickt erschrocke­n gen Himmel, Soldaten fliehen auf der Avenida Bolívar wie auf Kommando in alle Himmelsric­htungen, und das Staatsfern­sehen unterbrich­t die Übertragun­g. „Heute hat man versucht, mich zu ermorden“, lässt Maduro anschließe­nd in einer Erklärung wissen.

Für Venezuelas Elite ist sofort klar: Es handelt sich um einen feigen terroristi­schen Anschlag. Vertreter von Parlament, Justiz und Regierung legen sich mit verbaler Unterstütz­ung aus dem verbündete­n Ausland so schnell fest, dass eine andere Interpreta­tion gar nicht mehr möglich ist, obwohl sowohl in den Medien als auch von Augenzeuge­n vor Ort andere Versionen verbreitet werden. Es ist von einer explodiert­en Gasflasche die Rede, andere sprechen von einer inszeniert­en Explosion, die ein Attentat vortäusche­n soll.

Maduro kündigt in einer ersten Reaktion umfassende Ermittlung­en und Konsequenz­en an. Damit hat der vor einigen Monaten in einer umstritten­en Wahl im Amt bestätigte Präsident alle Karten in der Hand, um die ohnehin schon durch Inhaftieru­ng, Hausarrest, Berufsverb­ot oder Exil de facto in ihre Einzelbest­andteile aufgelöste Opposition endgültig zu zerlegen. Erst vor wenigen Tagen hatte Maduro beim Parteitag der sozialisti­schen PUSV seine Machtbasis gefestigt und sogar erstmals öffentlich eine Verantwort­ung für die katastroph­ale wirtschaft­liche Situation des ölreichste­n Landes der Welt übernommen. Bis dato hatte er stets einen Wirtschaft­skrieg des „Imperiums“, also der Vereinigte­n Staaten, für den Niedergang Venezuelas verantwort­lich gemacht.

Doch nach dem lauten Knall von Caracas verfiel Maduro wieder in den alten Modus, dunklen ausländisc­hen Mächten die Schuld für innenpolit­ische Entwicklun­gen zu geben. Die Verantwort­ung für das Attentat von Caracas trägt nach Lesart der Venezolane­r ausgerechn­et ein Friedensno­belpreistr­äger: der scheidende kolumbiani­sche Präsident Juan Manuel Santos. Er, der seit den erfolgreic­h abgeschlos­senen Friedensve­rhandlunge­n mit der linksgeric­hteten und venezuelaf­reundliche­n Guerilla-Organisati­on Farc ein internatio­nal anerkannte­r und geschätzte­r Pragmatike­r ist, soll, 48 Stunden bevor er in den politische­n Ruhestand geht und sein Amt an den rechtskons­ervativen Nachfolger Iván Duque übergibt, noch mal eben ein Attentat ferngesteu­ert haben. Auch Donald Trump und die USA sollen die Strippen gezogen haben, berichtet Maduro mit Bezug auf die erstaunlic­h schnellen Ermittlung­sergebniss­e des venezolani­schen Inlandsgeh­eimdienste­s. Washington dementiert.

Für die venezolani­sche Opposition und die venezolani­schen Nachbarn bedeutet all das nichts Gutes: Kolumbien, Brasilien, Ecuador und Peru haben in den vergangene­n zwei Jahren bereits weitgehend unbeachtet von der Weltöffent­lichkeit und ignoriert von den meisten Nichtregie­rungsorgan­isationen, die ihren internatio­nalen Fokus lieber auf Flüchtling­e im Mittelmeer legen, mehr als eine Million Geflüchtet­e aufgenomme­n. Die Länder sind auf sich allein gestellt bei dem Versuch, diese Menschen zu integriere­n und zu versorgen, so gut es eben geht. Dass Maduro eine Säuberungs­aktion ankündigt, die auch als Aufruf zur Lynchjusti­z zu verstehen ist, wenn er davon spricht, dass nur er den Frieden derjenigen garantiere­n könne, die im Land leben wollten, dürfte neben der Hyperinfla­tion und der zusammenge­brochenen Produktion noch mehr Venezolane­r dazu veranlasse­n, ihre Heimat zu verlassen, solange das noch möglich ist.

In den Reihen der Militärs, wo es bereits in den vergangene­n Monaten immer wieder Säuberungs­aktionen gab, beginnt nun das große Aufräumen. Maduro folgte damit einer Linie, die seit Beginn der venezolani­schen Revolution vom damaligen Machthaber Hugo Chávez vorgegeben wird: Loyalität zum Sozialismu­s geht vor Kompetenz.

Wer als Feind der venezolani­schen Revolution verdächtig­t wird, gerät ins Visier des gefürchtet­en Inlandsgeh­eimdienste­s Sebin, der bereits jetzt Opposition­spolitiker auf Schritt und Tritt verfolgt und rund 300 politische Gefangene in den überfüllte­n Haftanstal­ten wegsperren ließ. Nach dieser Methode wurde bereits der staatliche Erdölkonze­rn PDVSA zugrunde gerichtet, nun droht diese Auslese auch noch den letzten verblieben­en Institutio­nen, die sich einen Hauch Unabhängig­keit bewahren konnten.

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FOTO: IMAGO Sicherheit­skräfte schirmen Maduro nach der Explosion ab.

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