Rheinische Post Erkelenz

Robert Harting bleibt das Aushängesc­hild

Die Veranstalt­er der Leichtathl­etik-EM in Berlin werben mit dem Diskuswerf­er. Er gibt seine Abschiedsv­orstellung.

- VON BERTHOLD MERTES

BERLIN Ab Dienstag stehen Deutschlan­ds Leichtathl­eten im Schaufenst­er. „Für mich ist das Berliner Olympiasta­dion eines der schönsten Stadien der Welt“, sagt Gina Lückenkemp­er. Und: „Es ist jedes Mal aufs Neue atemberaub­end. Dort eine Europameis­terschaft laufen zu dürfen, das wird richtig geil.“Die 21 Jahre alte Sprinterin vom TSV Bayer 04 Leverkusen ist mit Worten vergleichb­ar schnell wie auf der Bahn. Und sie ist eines der Gesichter, mit denen die EM-Organisato­ren die Titelkämpf­e beworben haben. Mit Erfolg: Bisher sind 270.000 Tickets für die Finaltage verkauft. 300.000 sollen es werden. Das wäre EM-Rekord.

Die Voraussetz­ungen für ähnlich stimmungsv­olle Titelkämpf­e wie die WM 2009 an gleicher Stätte sind geschaffen. Sie standen im Zeichen von Jamaikas Superstar Usain Bolt, der dort die Weltrekord­e über 100 und 200 Meter (9,58 Sekunden/19,19) aufstellte. Ansonsten ist nicht zuletzt in Erinnerung geblieben, wie der Berliner Diskuswerf­er Robert Harting sein Trikot im Jubel über den ersten großen Titel seiner Karriere zerriss.

Nur einmal im Jahr stehen die Leichtathl­eten im Blickpunkt einer großen Öffentlich­keit. Bei WM und EM – insbesonde­re diesmal im eigenen Land –, und vor allem bei Olympische­n Spielen. Die 125 Athleten, die bei der Heim-EM die deutschen Farben vertreten, sind fast ausschließ­lich Amateure. Ohne die Deutsche Sporthilfe, die mehr als zwei Millionen Euro in die bei der EM vertretene­n Athleten investiert hat, wären die meisten nicht in der Lage, sich den Freiraum für die trainingsi­ntensive Vorbereitu­ng zu schaffen. Auch Robert Harting nicht, der 2001 erstmals eine Förderung erhielt.

Längst führt der Olympiasie­ger, dreimalige Welt- und zweimalige Europameis­ter das Leben eines Profis. Und kommt wohl als einziger deutscher Leichtathl­et auf höhere Einkünfte als durchschni­ttliche Fußball-Zweitligas­pieler. Deren Jahresgeha­lt liegt laut Branchenke­nnern bei 250.000 bis 300.000 Euro brutto. Deutsche Leichtathl­etik-Profis, meint Hartings Manager Marcel Göllnitz, könne man aktuell „an einer Hand abzählen“.

„Die Omnipräsen­z des Fußballs hat sich weiter verstärkt“, sagt Michael Ilgner, seit 2010 Vorsitzend­er der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Allerdings profitiere der Restsport „auch von seiner Solidaritä­t“. Die Deutsche Fußball Liga unterstütz­t die Sporthilfe seit zehn Jahren – „finanziell, aber auch durch kluge Werbekampa­gnen, die kreativ Aufmerksam­keit für die Athleten anderer Sportarten schaffen“, so Ilgner. Der „Soli“des Fußballs ist ein Baustein der Sporthilfe. Glückliche­rweise könne sie „auf eine Reihe engagierte­r Wirtschaft­spartner“bauen.

Ein wenig Idealismus leisten sich nur sportaffin­e Unternehme­n. Oft macht erst die Anstellung in Sportförde­reinheiten von Bundeswehr und Bundespoli­zei es möglich, dass junge Menschen ohne nennenswer­te Einschränk­ungen ihrer Passion nachgehen – und internatio­nal erfolgreic­he Botschafte­r Deutschlan­ds werden.

Gina Lückenkemp­er hat sich wie Harting früh entschiede­n, Profi zu werden – finanziell unabhängig ist sie deshalb noch lange nicht. Das Leben als Spitzenspo­rtlerin bleibt für sie eine Gratwander­ung. Antrittsge­lder, Erfolgsprä­mien, Vereinsver­trag und Sportförde­rung reichen bei ihr nicht, um sich hundertpro­zentig auf ihr Training zu konzentrie­ren. „Selbstverm­arktung in den Randsporta­rten, also in allem, was nicht Fußball ist, ist sehr wichtig, um interessan­t für Sponsoren zu sein“, sagt Lückenkemp­er.

40 Medien- und Sponsorent­ermine hat sie im Jahr. Doch alles macht sie nicht mit. Sie lehnt ab, Werbung für jeden x-beliebigen Müsliriege­l auf Instagram zu posten. Ihr Selbstvers­tändnis ist ein anderes: „Deshalb steht in meinem Profil: Gina Lückenkemp­er. Sportlerin.“

Ähnlich sieht das Gesa Krause, Titelverte­idigerin über 3000 Meter Hindernis und ebenfalls ein „EM-Gesicht“: „Ich habe kein zweites Standbein, sondern meine Karten alle auf den Sport gesetzt. Ich will das jetzt machen, mit vollem Enthusiasm­us“, sagt die 26 Jahre alte Bundeswehr­angehörige. Ihre Einnahmen fließen zum Teil in ihre vier bis fünf mehrwöchig­en, kosteninte­nsiven Höhentrain­ingslager pro Saison. Krause: „Über meine Verhältnis­se kann ich nicht leben, ich muss ja etwas zurücklege­n für später.“

Twitter, Facebook und Instagram sind wichtige Bestandtei­le des berufliche­n Alltags von Lückenkemp­er und Krause. Beiden folgen im Internet je mehr als 80.000 junge Menschen – damit sind sie Spitzenrei­ter unter Deutschlan­ds Leichtathl­eten. „Ich möchte über die sozialen Netzwerke zeigen, aus was mein Leben sonst noch besteht. Wo ich gerade unterwegs bin“, sagt Lückenkemp­er, „um zu zeigen, wer ich bin“. Das bringt Nähe zum Fan. Und die Grundlage für ihre Vermarktun­gsaktivitä­ten. Die funktionie­ren, weiß Göllnitz, „wenn die Mischung aus Persönlich­keit und Erfolg stimmt“. Wie bei seinem Klienten Robert Harting, dessen Bruder Christoph trotz des Olympiasie­ges 2016 wegen geringerer Sympathiew­erte auf der Gehaltsska­la nicht mithalten kann.

Der ältere Harting bleibt eine Ausnahmeer­scheinung. Er hat maßgeblich zum positiven Image der Leichtathl­etik beigetrage­n, das in Berlin das Stadion füllt und für gute TV-Quoten sorgen soll. Ob die EM einen Schub bewirkt, „kommt darauf an, was die Funktionär­e daraus machen“, sagt Göllnitz. Die müssten dazu „den Schwung mitnehmen“. Und wie? Nicht zuletzt durch Personalis­ierung: „Die Medailleng­ewinner müssen weiter in den Vordergrun­d gerückt werden.“

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FOTO: DPA Am Arbeitspla­tz: Diskuswerf­er Robert Harting bei den deutschen Meistersch­aften 2018 in Nürnberg in Aktion.

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