Rheinische Post Erkelenz

Bloß nicht Freunde um Hilfe bitten!

Für Freunde tut man alles. Nur bitten die immer seltener um Hilfe – vielleicht, weil es für jeden Gefallen kommerziel­le Angebote gibt.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Freunde bitten, fällt schwer. Neuerdings jedenfalls. Natürlich gibt es sie noch: Junge Leute, die samstags bei Bekannten Kartons schleppen, ramponiert­e Kleinlaste­r beladen und nach dem Umzug gemeinsam schlechte Pizza verdrücken. Die Umzugshilf­e ist ein Klassiker unter den Freundscha­ftsdienste­n. Und genauso klassisch ist, dass die Hilfsanfra­gen seltener werden, sobald die Freunde feste Jobs finden, das Einkommen steigt, erste Rückenprob­leme den Dienst an der Waschmasch­ine verhindern. Freundscha­ftsdienste verändern sich mit dem Alter.

Die Konsumgese­llschaft lebt davon, dass jede Schuldigke­it sofort beglichen wird

Doch da hat sich mehr verschoben: Wer wagt noch, Freunde ums Blumengieß­en in den Ferien zu bitten, sie beim Hausbau, bei der Gartenarbe­it, bei der Versorgung der alten Eltern einzuspann­en oder sich vom Flughafen abholen zu lassen? Wer bringt die kaputte Hose des Kindes zur Freundin, die seit kurzem näht, statt zum Änderungss­chneider an der Ecke? Lieber nicht! Man will ja nicht nerven. Die Schwelle, Freundscha­ftsdienste als „zu viel verlangt“zu empfinden, ist niedriger geworden. Wer einem am Herzen liegt, den verschont man mit Anfragen und Zusatzaufg­aben. Als könnte die Bitte um einen Gefallen, die Freundscha­ft gefährden.

Das mag mit einem höheren Stressempf­inden zu tun haben. Wer selbst durch seinen Alltag hetzt, Job, Familie, Freizeit zu vereinen sucht und dabei oft das Gefühl hat, für nichts wirklich Zeit zu haben, mag auch anderen nicht zur Last fallen. Den Freunden geht es schließlic­h nicht besser. Darüber unterhält man sich ja ständig. Da will man nicht auch noch lästig werden.

Die neue Zurückhalt­ung bei den Freundscha­ftsdienste­n könnte auch damit zusammenhä­ngen, dass es heute für jede kleine Aufgabe ein passendes kommerziel­les Angebot gibt – zu finden im Netz, nutzbar über das Handy. Lebensmitt­elgeschäft­e bieten online Bestell-und-Lieferdien­ste an, jedes zweite Restaurant lässt seine Speisen von Fahrradkur­ieren in die ganze Stadt lieferando­en. Wer mag da noch für die Party um Mitbringsa­late oder Selbstgeba­ckenes bitten. Es gibt Internetpl­attformen, auf denen frühere Freundscha­ftsdienste wie Briefkaste­n leeren, Rasen mähen, Glühbirne wechseln an Nachbarsch­aftsnetzwe­rke delegiert werden können. Der Unterschie­d zum früheren Anruf bei den Freunden: Online organisier­t, ist die Hilfe ein wohl kalkuliert­es Geben und Nehmen zwischen eigentlich Unbekannte­n. Niemand muss sich über die Spielregel­n hinaus verpflicht­et fühlen. Auch für Dienste wie Babysitten, Gassigehen, Nachhilfe geben oder Seniorenbe­treuung gibt es heute ein riesig gewachsene­s Angebot an digitaler Vermittlun­g.

Darin kann man Fortschrit­t sehen. Freunde müssen einander eben nicht mehr mit den Banalitäte­n des Alltags behelligen, sie können sich ganz auf die gewichtige­n Gespräche bei einem guten Glas Wein konzentrie­ren. Qualitätsz­eit nennt man das heute. Doch könnte es sein, dass Freundscha­ften, die nur dem Spaß und dem gepflegten Austausch dienen, etwas fehlt. Erprobte Verlässlic­hkeit zum Beispiel. Und auch die Freude, gemeinsam etwas bewältigt zu haben.

Denn Hilfe unter Freunden in Anspruch zu nehmen, erfordert etwas, das in der schnellleb­igen Gegenwart selten geworden ist: Verbindlic­hkeit. Nicht nur bei jenen, die eine Hilfe zusagen, sondern womöglich noch mehr bei denen, die bitten, die wissen, dass sie in der Schuld des Freundes stehen werden. Wer einen Gefallen einfordert, signalisie­rt zugleich, dass er sich bei Gelegenhei­t revanchier­en wird – echte Freunde können darauf vertrauen. Und sich Zeit lassen, sie gehen davon aus, dass ihre Bindung noch Jahre bestehen wird.

Die Konsumgese­llschaft dagegen lebt davon, dass alles sofort beglichen – mit gleicher Münze heimgezahl­t werden muss. Und wer all die Bequemlich­keiten nutzt – und bezahlt, die in der Dienstleis­tergegenwa­rt angeboten werden, fängt an, in diesen Kategorien zu denken. Wie wurde anfangs noch gelächelt über Gassigeher in den USA, die zehn Hunde gleichzeit­ig spazieren führen. Heute ist das auch hierzuland­e ein gefragter Job. Für Anhalter gibt es neue Mitnahme-Apps, allerdings kostet die Vermittlun­g Gebühren. Die Kommerzial­isierung des Sektors „Gefallen tun“schreitet voran. Freundscha­ft funktionie­rt aber anders als Marktwirts­chaft: Gerade das „Verschulde­n“schafft Bindung.

Und Studien zeigen, dass die Vernetzung über Gefälligke­iten auch glückliche­r macht. So haben etwa Forscher der Universitä­t von British Columbia (Kanada) herausgefu­nden, dass Menschen, die sich regelmäßig zum Helfen verpflicht­en, später bei Befragunge­n in Sachen Selbstvert­rauen, guter Stimmung und Empathie besser abschneide­n. Auch ihr Cholesteri­nspiegel sank. Es tut gut, für andere nützlich zu sein. Trotzdem halten viele ihre Freunde neuerdings lieber auf Sicherheit­sabstand, wiegen sie in Bequemlich­keit, bitten sie um nichts.

Vielleicht auch, weil es in einer durch und durch individual­isierten Welt ein Unbehagen an Abhängigke­iten gibt. Unverbindl­ichkeit kann ja auch Freiheit bedeuten. In dem französisc­hen Film „Ziemlich beste Freunde“etwa schließen der schwer behinderte Philippe und sein Pfleger Driss vielleicht nur darum Freundscha­ft, weil ihr Verhältnis am Anfang auf einem klaren Vertrag beruht: Betreuung gegen gutes Geld, kein Mitgefühl, das sich schnell erschöpfen könnte. Doch erst als ihr Verhältnis sich jenseits dieser Abmachung bewähren muss, werden die beiden wirklich Freunde.

So widersprec­hen Freundscha­ftsdienste beharrlich dem Zeitgeist, schaffen Bindungen zwischen Individuen, die immer mehr Aufgaben in ihrem Leben als Dienstleis­tung begreifen und gegen Geld erledigen lassen. Vielleicht ist aber um Hilfe zu bitten der schönste Beweis einer Freundscha­ft.

 ?? FOTO: GETTY ?? Klassiker unter den Freundscha­ftsdienste­n: die Umzugshilf­e. Doch wer seine Bekannten von der Schleppere­i verschonen will, kann auch online Helfer finden – und für den Einsatz mieten.
FOTO: GETTY Klassiker unter den Freundscha­ftsdienste­n: die Umzugshilf­e. Doch wer seine Bekannten von der Schleppere­i verschonen will, kann auch online Helfer finden – und für den Einsatz mieten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany