„Missbrauch jahrelang vertuscht“
Der Missbrauchsbeauftragte kritisiert die Bistümer für mangelnde Aufklärung.
BERLIN Zwischen dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und der katholischen Kirche ist es zu einem offenen Streit über die Qualität der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch gekommen. „Über Jahre und Jahrzehnte wurde sexuelle Gewalt an Kindern in kirchlichen Einrichtungen vertuscht, bagatellisiert und unter den Teppich gekehrt“, sagte Johannes-Wilhelm Rörig den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Rörig kritisierte zugleich eine Studie der Kirche, die den Missbrauch vergangener Jahrzehnte aufklären soll. Leider hätten nicht alle Bistümer hierfür ihre Archive geöffnet, beklagte Rörig.
Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, seit 2010 Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs, wehrte sich. „Woher Herr Rörig die Information nimmt für seine Behauptung, dass nicht alle Bistümer dazu ihre Archive geöffnet hätten, entzieht sich meiner Kenntnis“, sagte Ackermann.
Die 2016 begonnene Studie soll im September bei der Vollversammlung der Bischöfe in Fulda vorgestellt werden. Die Grundlagen der Studie sind öffentlich im Netz einsehbar. Nicht alle Diözesen arbeiten auch die jüngere Vergangenheit auf. Von 27 Diözesen öffnen 18 alle Akten von Priestern, die im Jahr 2000 noch lebten. Neun Diözesen stellen nur jene Akten von Priestern zur Verfügung, die 1946 noch lebten, darunter auch das Bistum Essen. Zudem können die federführenden Wissenschaftler nicht selbst auf die Akten zugreifen, vielmehr schicken sie Fragebögen an die Kirchenarchive.
Mit seiner Kritik stieß Rörig dennoch auf wenig Resonanz. „An der Studie der katholischen Kirche möchte ich keine Kritik üben, solange sie nicht veröffentlicht ist“, sagte Heiner Keupp, Psychologieprofessor und Mitglied der unabhängigen Aufarbeitungskommission.
Grundsätzlich sieht aber auch Keupp Defizite bei der katholischen Kirche im Umgang mit ihrer Vergangenheit. Er fordert eine von den Kirchen unabhängige Untersuchung und betont: „Die Kirchen – die evangelische und die katholische – verhalten sich wie die Autoindustrie. Sie geben immer nur dann etwas zu, wenn es ihnen bereits nachgewiesen wurde.“Der Experte fordert, die Kirchen müssten ihre eigene Geschichte aufarbeiten und die dunklen Stellen aus eigenem Antrieb ausleuchten. „Diese Aufgabe steht den Kirchen noch bevor.“
Die Debatte um die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche war erneut nach Berichten aus den USA aufgebrochen. Eine Studie im Staat Pennsylvania hatte zutage gefördert, dass sich über 300 Priester an 1000 Kinder vergangen haben sollen. Der Vatikan reagierte entsetzt.