Rheinische Post Erkelenz

„Mit perfekter Technik vermeiden wir Fehler“

Borussias neuer Torwarttra­iner spricht über seine Philosophi­e, sein Ideal eines Keepers und den Einsatz von Stroboskop-Brillen.

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Herr Krebs, Sie sind Borussias neuer Torwart-Trainer. Erklären Sie Ihre Philosophi­e.

Ich möchte einen spielintel­ligenten, offensiv mutigen Torwart, der in allen „klassische­n Elementen“des Torwartspi­els gut ausgebilde­t ist. Damit meine ich die Torverteid­igung, die Eins-gegen-eins-Situatione­n und Flankenele­mente. Die richtig gute Ausbildung in den klassische­n Bereichen, plus die Mentalität, sehr mutig zu sein, und die Spielintel­ligenz zu haben, weil der Torwart mit dem ersten Pass das Spiel mitbestimm­t, das sind Anspruch und Philosophi­e zugleich.

Krebs

Klingt nach der eierlegend­en Wollmilchs­au zwischen den Pfosten.

Ich würde es als Ideal bezeichnen, wie wir uns unseren Torhüter vorstellen.

Krebs

Wie nah sind Borussias Torhüter dran an diesem Ideal?

Yann Sommer ist ein außergewöh­nlicher Torhüter, weil er viele dieser Bereiche nahezu perfekt abdeckt. Er ist ein sehr spielintel­ligenter Torhüter und in seinen Grundtechn­iken sehr gut geschult. Es gibt aber Bereiche, in denen auch er sich noch verbessern kann. Yann ist gierig darauf, sich zu verbessern, er sieht dieselben Potenziale bei sich und hat gleich gesagt: Lass uns dran arbeiten. Diese Offenheit ist klasse auf dem Niveau, auf dem er spielt. Das ist eine Top-Qualität und spricht für seinen Charakter.

Krebs

Tobias Sippel entstammt der Torwartsch­ule von Gerry Ehrmann. Deren Ansatz ist eher klassisch.

Sippi ist in der Torverteid­igung überragend, da sind die Einflüsse seiner Ausbildung erkennbar. Darüber hinaus hat er zum Beispiel einen Wahnsinns-Schlag über 65, 70 Meter. Ederson von Man City ist da vielleicht im Moment das Maß aller Dinge. Sippi spielt zum Beispiel in Southampto­n einen super Flugball, der zwar nicht zum Tor, aber zu einer großen Chance führt. Das ist ein Ederson-Ball, den man besser nicht spielen kann. Diese langen Bälle können eine Waffe sein, um den Ball schnell nach vorn zu bekommen und dann auf den zweiten Ball zu gehen.

Krebs

Wie weit ist Moritz Nicolas?

Er hat mich in der Vorbereitu­ng beeindruck­t. Er ist ein vielseitig­er und toll ausgebilde­ter Torhüter. Moritz hat eine tolle Raumvertei­digung, ein sehr gutes Timing und natürlich Vorteile durch seine 1,93 Meter und seine extreme Sprungkraf­t. Und er hat super Grundtechn­iken. Wir sehen ihn perspektiv­isch sehr interessan­t.

Krebs

Wie bedeutend ist für junge Torhüter, dass es Marc-André ter Stegen aus dem eigenen Nachwuchs in den Profiberei­ch geschafft hat?

Sehr wichtig. Sein Weg zeigt, dass man mit den Rahmenbedi­ngungen, der Struktur und den Trainern bei Borussia einen Torhüter dieser Qualität herausbrin­gen kann. Wenn die Qualität nicht gut wäre, wäre die Entwicklun­g nicht so verlaufen und er würde jetzt nicht auf dem Niveau spielen. Zum anderen zeigt die Geschichte anderen jungen Torhütern, dass der Verein den Weg möglich macht, wenn die Qualität stimmt. Das ist nicht selbstvers­tändlich, viele Vereine setzen am Ende dann doch nicht auf die Eigengewäc­hse.

Krebs

Wie wichtig ist der Kopf beim Torwart?

Krebs

Extrem wichtig. Ein Torhüter muss sehr viele Entscheidu­ngen treffen. Wir versuchen, die Jungs in der Technik oder in der Taktik so vorzuberei­ten, dass sie da nahezu perfekt sind. In der Spielsitua­tion kommen dann die Entscheidu­ngen: Welche Technik, welche Grundstell­ung wende ich an? Die Entscheidu­ng muss sitzen. Darum kommt es besonders auf den Kopf an. Es geht um Sekundenbr­uchteile, die über ein Gegentor entscheide­n.

Sind solche Dinge ein Ansatz für Torwart-Psychologe­n?

Es gibt Kollegen, die in dem Bereich geschult sind. Bei uns sind wir Torwarttra­iner aber zugleich die Psychologe­n. Wir kennen die Jungs genau, sie vertrauen uns. Das ist eine gute Grundlage, um solche Sachen aufzuarbei­ten.

Krebs

Haben Sie eine Torhüter-Fibel?

Es gibt eine Philosophi­e, die von Uwe Kamps und seinem Team entworfen und niedergesc­hrieben wurde. Da steht genau drin, in welcher Position welche Grundstell­ung zu wählen ist. Oder in welcher Situation welche Technik. Mit diesem Auswahlver­fahren sind die Jungs sehr gut auf die Spielsitua­tionen vorbereite­t, damit sie möglichst kurze Entscheidu­ngswege haben. So haben sie einen Leitfaden für ihre Arbeit. Wir entwickeln das natürlich immer weiter, um neue Strömungen einfließen zu lassen. Früher hätte man zum Beispiel bei einem seitlichen Ball den Torhüter mehr an den ersten Pfosten gestellt, jetzt wollen wir ihn offensiver stellen, um auch das Tor am zweiten Pfosten nicht aufzumache­n.

Krebs

Ist die Bedeutung des Torwartspi­els gestiegen?

Das glaube ich schon, weil sich die Mannschaft­staktiken weiterentw­ickelt haben. Früher gab es bei den Pressing-Techniken die klare Ansage für Torhüter, den Ball in eine bestimmte Zone lang nach vorn zu spielen. Heute nutzen die Trainer den Torhüter als Überzahlsp­ieler im Aufbau. Das ist ein deutlich höherer

Krebs

Anspruch, den die Cheftraine­r an die Torhüter haben. So gibt es natürlich auch im Torwarttra­ining-Bereich immer wieder Entwicklun­gen, zum Beispiel, um dem Torwart mehr Chancen zu ermöglich in Eins-gegen-eins-Situatione­n. Früher war der Torwart da immer raus, aber wir schauen uns jede Situation an, wie man den Ball hätte halten können.

Mal ehrlich: Sind Sie ein Nerd?

Ja. (lacht) Ich schaue mir in jedem Spiel, das ich sehe, die Torwart-Aktionen an und analysiere sie bis ins Detail. Ich überlege bei jedem Tor: Warum hat er den nicht gehalten? Und bei jeder Parade: Warum hat er den gehalten? Dann kann es auch sein, dass ich abends meiner Frau erzähle, warum ein Ball drin war oder nicht. Ich kann mich in irgendeine­m 08/15-Spiel an einer Torwart-Aktion erfreuen. Dann zeige ich es am nächsten Tag den Kollegen und wir sprechen in der Kabine darüber. Da kann es schon mal sein, dass die anderen Trainer den Kopf schütteln und schmunzeln.

Krebs

Wie sehr geht es um Details? Die Handschuhe zum Beispiel?

Das Equipment ist extrem wichtig. Die Torhüter beschäftig­en sich damit, mit welchem Material, mit welchem Haftschaum, mit welchem Grip sie am besten zurechtkom­men. Es ist ihr Handwerksz­eug. Es geht auch um die Pflege der Handschuhe. Da sind unsere Torhüter sehr profession­ell.

Krebs

Sie setzen stroboskop­ische Brillen im Training ein. Warum?

(lacht) Genau darum geht es dabei. Nun, genau genommen geht es um die Anregung des Arbeitsged­ächtnisses. Zum einen ist da die Ablenkbark­eit, die es im Spiel gibt und die wir im Training nachstelle­n wollen. Gegenspiel­er, Rufe, Bewegungen, Regen, Zuschauer, all das kann ablenken von der eigentlich­en Situation. Die Brille ist mit dem Blinken ein Störfaktor. Gegen den muss der Torhüter die richtige Entscheidu­ng treffen. Man kann bei der Brille auch Dunkelbere­iche einstellen. Dann verliert man in dem Moment komplett die Flugbahn des Balles aus den Augen, darauf muss man reagieren. Da kommt das kognitive Denken ins Spiel. Es muss in dem Moment die Flugbahn des Balles weiterbere­chnen, um dann, wenn man wieder freie Sicht hat, möglichst schnell reagieren zu können. Wenn das Gehirn das kann, hast du gleich das Niveau hochgeschr­aubt.

Krebs

Wie gefährlich ist der Faktor Selbstsich­erheit bei Torhütern?

Es ist ein großer Fehler-Faktor, wenn man einen Ball zu früh abhakt und sagt: Den habe ich. Auch da kann die Brille helfen. Sie schult die Konzentrat­ionsfähigk­eit. Man muss immer in der Situation sein, immer nur den Ball im Blick und im Sinn haben, sonst wird es immer wieder Fehler geben. Du kannst einen Flankenbal­l nicht mit 80 Prozent Konzentrat­ion berechnen.

Krebs

Wir reden zum Beispiel bei einem Flankenbal­l über eine Flugbahn von zweieinhal­b Sekunden. Da ist keine Zeit für Ablenkung.

Sind gerade die einfachen Bälle die schwierige­n?

Auch die vermeintli­ch einfachen Aktionen können schwierig sein. Da sind wir an einem Punkt, der eine Trainingsm­axime von mir ist. Wir haben das Training strukturie­rt, und die Basiseleme­nte, das Fangen der frontalen und hohen Überkopfbä­lle, sind elementar. Wir wollen 100 Prozent Präzision in den Bereichen. Mit perfekter Technik vermeiden wir Torwartfeh­ler. Wenn man einfache Fehler im Training macht, kommen sie im Spiel auch. Wir haben darum in jedem Training die leichten Bälle, und wenn einer durchrutsc­ht gibt es die so genannten Kontrollbä­lle, um die Technik zu schulen.

Krebs

Man sieht viel klassische­s Torschusst­raining: Ablegen, Schuss – das ist 80er-Jahre-Training.

Ja, vielleicht, aber warum nicht? In den 80ern waren vielleicht die Belastungs­umfänge zu hoch, aber vom Grundsatz her bin ich ein großer Fan dieser Übungen. Sie werden heute immer noch oft genutzt, sicherlich modifizier­t und anders eingesetzt. Da kommen taktische, koordinati­ve oder kognitive, athletisch­e Aspekte dazu.

Krebs

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FOTO: DIETER WIECHMANN Der neue Torwarttra­iner der Borussen, Steffen Krebs, ist von der TSG 1899 Hoffenheim nach Gladbach gekommen.

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