Rheinische Post Erkelenz

Ein Kommissar versteht die Welt nicht mehr

In einem stellenwei­se arg überdrehte­n „Polizeiruf 110“bekommt es Ermittler Hanns von Meuffels mit Neonazis zu tun.

- VON CHRISTIAN SIEBEN

MÜNCHEN Ein Flüchtling wird von einer Gruppe Jugendlich­er zu Tode geprügelt. 40 Mal treten die Täter auf ihr Opfer ein. Zuvor soll der Mann versucht haben, eine Freundin der Jungen zu vergewalti­gen. Die Deutschen berufen sich auf Notwehr. Der Ausländer habe ein Messer dabei gehabt.

Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) glaubt diese Version des Tathergang­s allerdings nicht. Doch ihm fehlen lange Zeit die Beweise, um die Jugendlich­en wirklich unter Druck setzen zu können. Als er dann endlich weiterkomm­t, behindert der Verfassung­sschutz seine Arbeit. Der mehrfach ausgezeich­nete Regisseur Jan Bonny zeichnet in „Das Gespenst der Freiheit“ein düsteres Bild von Deutschlan­d im Sommer 2018.

Jugendlich­e Neonazis ziehen in großen Gruppen durch München, grölen „Sieg Heil“und bedrohen Passanten. Sie prügeln sich durch Restaurant­s und ballern nachts an der Isar wild mit einer Polizeipis­tole um sich. Passanten tun so, als wäre das ganz normal und reagieren nicht. Zeugen ziehen ihre Aussagen zurück, weil sie um ihr Leben fürchten.

Von Meuffels gibt ihnen resigniert recht: Die Polizei könne tatsächlic­h keine Zeugen vor Neonazis beschützen, sagt er. Die bayerische Justiz macht keinen Hehl daraus, sich nicht sonderlich für rechte Gewalt zu interessie­ren. Im Gefängnis prügeln Beamte dafür mit Schlagstöc­ken auf ausländisc­he Gefangene ein.

In geheimen Treffen versorgt ein Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes (glänzend gespielt von Joachim Król) die Gruppe mit Geld und einer Pistole. Mitten in diesem Chaos und allgemeine­n Niedergang steht ein hilfloser Polizist von Meuffels, schaut traurig aus dem Fenster in die trübe Welt und zündet sich eine Zigarette an. Dies ist nicht mehr sein Land, scheint sein Blick dabei zu sagen.

Regisseur Bonny versucht, zahlreiche aktuelle Bezüge in diesen knapp 90 Minuten Krimi unterzubri­ngen. Einer der rechten Jugendlich­en hat iranische Wurzeln und beteuert immer wieder, dass er Arier wie alle anderen sei. Ähnlich hatte sich der 18-jährige Schüler geäußert, der im Jahr 2016 in München bei einem Amoklauf neun Menschen erschossen und fünf weitere verletzt hatte. Alle Opfer von damals hatten einen Migrations­hintergrun­d. Die Tat gilt als ausländerf­eindlich motiviert. Das Verhalten des Verfassung­sschutzes mit zwielichti­gen V-Leuten und konspirati­ven Treffen erinnert den Zuschauer indes an die Ermittlung­en im NSU-Skandal.

Trotz dieser aktuellen Bezüge lässt einen dieser „Polizeiruf“über manche Strecken kalt. Dies liegt auch daran, dass einige Szenen arg überzeichn­et wirken. Es wird geschrien und geprügelt und das oft minutenlan­g. Eine Szene, in der die Rechten eine Europaflag­ge verbrennen und mit glühenden Augen „Ode an die Freude“singen, wirkt regelrecht albern. Gleiches gilt für eine Prügelszen­e im Gefängnis, die wie Slapstick aussieht. Immer wieder dürfte der Zuschauer leicht ungläubig mit dem Kopf schütteln.

Der vorletzte Fall für Matthias Brandt im „Polizeiruf“ist alles in allem leider einer der schwächere­n aus München. Seine Figur des aus der Zeit gefallenen von Meuffels, der sich seine Lederschuh­e von Hand nähen lässt und wie selbstvers­tändlich im Büro raucht, hat in den vergangene­n Jahren viele Fans gewonnen. Diese dürfen hoffen, dass von Meuffels im Winter mit einem Highlight verabschie­det wird. „Das Gespenst der Freiheit“war leider keines. Seine Nachfolger­in wird eine Österreich­erin. Schauspiel­erin Verena Altenberge­r ermittelt ab 2019 im „Polizeiruf“. Ob auch sie im Büro rauchen darf, ist noch nicht bekannt.

 ?? FOTO: DPA ?? Kommissar von Meuffels (Matthias Brandt) mit einem Verdächtig­en. Sein vorletzter Fall ist voller aktueller politische­r Anspielung­en und thematisie­rt die kritische Rolle des Verfassung­sschutzes.
FOTO: DPA Kommissar von Meuffels (Matthias Brandt) mit einem Verdächtig­en. Sein vorletzter Fall ist voller aktueller politische­r Anspielung­en und thematisie­rt die kritische Rolle des Verfassung­sschutzes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany