Keine Angst vor der unbekannten Uni
Nur wenige junge Leute aus Nicht-Akademikerfamilien schaffen es hierzulande an eine Hochschule. Einige Projekte wollen das ändern.
Düsseldorf Sie sind mit Begriffen wie Audimax, Credit Points oder cum tempore nicht vertraut, wissen gar nicht, wie groß die Fächervielfalt ist, und fürchten vor allem finanzielle Hürden: Obwohl in Deutschland immer mehr junge Leute studieren, schaffen es diejenigen, deren Eltern nicht an der Uni waren, deutlich seltener an die Hochschulen. Von 100 Kindern aus Akademiker-Familien studieren 79. Haben beide Eltern keinen Hochschul-Abschluss, sind es nur 27. Das geht aus aktuellen Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hervor. An deutschen Unis sind Akademiker in zweiter und dritter Generation damit klar überrepräsentiert. Die Gründe für das Ungleichgewicht sind vielfältig, so die Forscher. Einer davon: Eltern, die selbst keine Hochschul-Erfahrung haben, überschätzen oft die Kosten für höhere Bildung – und unterschätzen gleichzeitig deren Ertrag. Außerdem mangelt es oft an Vorbildern in der Familie und Informationen. Um diese Defizite auszugleichen, gibt es in NRW und deutschlandweit Projekte, die sich speziell um Schüler aus Nicht-Akademikerfamilien bemühen:
Arbeiterkind.de
Arbeiterkind.de ist eine bundesweite Initiative, die Schüler aus nicht-akademischen Familien zur Aufnahme eines Hochschulstudiums ermutigen und vom Studieneinstieg bis zum erfolgreichen Abschluss unterstützen möchte. Die Idee stammt von Katja Urbatsch, selbst die erste Akademikerin in ihrer Familie, heute promovierte Geschäftsführerin von Arbeiterkind.de. Das Ganze funktioniert so: Lokale Mentoren engagieren sich in 75 lokalen Gruppen an Hochschulen vor Ort. Sie informieren Schüler über die Möglichkeit eines Studiums. Die Ehrenamtlichen sind selbst Studenten oder Akademiker der ersten Generation, berichten aus eigener Erfahrung über ihren Bildungsaufstieg und ermutigen als persönliches Vorbild. In einer E-Mail wenden sich die Schüler an Arbeiterkind.de und fragen beispielsweise, ob sie sich überhaupt ein Studium zutrauen sollten. Dann meldet sich jemand aus der Gruppe vor Ort und kümmert sich – das kann von mehreren Mails über Telefonate bis hin zu einem persönlichen Treffen samt Campus-Besuch reichen.
Die Mentoren wollen Selbstvertrauen geben und Unsicherheiten nehmen. Dazu gehört auch, Argumente zu finden, mit denen studienskeptische Eltern überzeugt werden können. Denn viele Nicht-Akademiker-Eltern haben laut Arbeiterkind.de deshalb Probleme mit den Hochschulen, weil die Studienfächer nicht in einen bestimmten Beruf führen. Auch Rechtfertigungen, wenn die Freunde eine Lehrstelle haben und Geld nach Hause bringen, seien oft schwer. Chance hoch 2
Schüler und Studenten mit und ohne Migrationshintergrund, die aus Nicht-Akademikerfamilien stammen, werden durch das Programm „Chance hoch 2“der Universität Duisburg-Essen gefördert – ideell wie materiell. Für jeden Schüler gibt es einen studentischen Mentor, der alle Fragen rund ums Studium beantwortet. Außerdem beinhaltet das Programm Beratungen zur Studienwahl und Kurse zu Lernkompetenzen. Man kann in Hochschulseminare reinschnuppern, und auch die Eltern, die sich mitunter unter einem Studium wenig vorstellen können, werden eingebunden. Chance hoch 2 möchte Schüler fördern, deren Potenzial aus unterschiedlichsten Gründen noch nicht ausgeschöpft wird. Ziel des Programms ist die Erhöhung des Anteils von Abiturienten und Hochschulabsolventen aus Familien ohne akademische Erfahrung im Ruhrgebiet.
DeinWeg@Uni
Sie wissen nicht, wie man ein Studium überhaupt angeht, können zuhause keine Fragen zum Hochschulsystem stellen und sind deshalb unsicher, ob sie sich ein Studium zutrauen: An Mädchen und Jungen aus Nicht-Akademikerfamilien richtet sich das Programm „DeinWeg@Uni“der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Es bringt sie mit dem Campus in Kontakt und begleitet sie über die ganze Oberstufenzeit. Zweimal im Halbjahr kommen die Schüler an die Heine-Uni, um dort an Workshops teilzunehmen und in Studiengänge hineinzuschnuppern. Es gibt einen Test zum Thema Lerntypen: Stärken, Kompetenzen und Interessen der Teilnehmer werden herausgefiltert, und auch Themen wie wissenschaftliches Arbeiten, Studienwahl, Bewerbung und Einschreibung sowie Studienfinanzierung werden angesprochen. Und jeder Schüler verbringt mindestens einen Tag mit einem Studenten, an dessen Seite Vorlesungen und Seminare besucht werden können.
Talentscouts
Ob in Köln, Bochum, Aachen oder Düsseldorf: Damit in Deutschland nicht länger der familiäre Hintergrund
über den Bildungsweg entscheidet, engagieren sich die NRW-Talentscouts an vielen Schulen im Land.
Sie ebnen unter dem Motto „Talente Willkommen“leistungsstarken Schülern aus Familien ohne akademische Erfahrung den steinigen Weg an die Hochschulen. Denn: Bei einigen steht ein Studium überhaupt nicht auf dem Plan, weil dies in ihren Familien noch nicht vorgelebt wurde oder gar nicht gefördert wird. Auch finanzielle Unterstützungen, wie zum Beispiel Bafög, sind den Schülern nicht unbedingt bekannt.
Die Mädchen und Jungen können in den Schulen regelmäßige Sprechstunden der Talentscouts besuchen, dort all ihre drängenden Fragen loswerden und sich ihrer Stärken und ihrer Wünsche für die berufliche Zukunft bewusst werden. Neben den Sprechstunden können sich die beteiligten Jugendlichen bei Fragen per WhatsApp oder Facebook melden.