Der Mann mit dem Skateboard
Beto O’Rourke möchte in den US-Senat. Aber als texanischer Demokrat hat er es nicht leicht.
CORPUS CHRISTI Ob er auf dem Skateboard auf die Bühne rollt? „Thrasher“, ein Skate-Magazin, hat Beto O’Rourke eins geschenkt. Ein gediegenes Exemplar, dessen Vorzüge der Kongressabgeordnete mit fachmännischen Kommentaren würdigt. Mit Skateboards kennt er sich aus, seit er in der sechsten Klasse sein erstes geschenkt bekam.
Im Wahlkampf redet er oft davon, da ist so ein Brett viel mehr als ein Brett, nämlich ein Symbol für eigene Wege. Auf Skateboards, sagt er, habe er gelernt, sich nichts und niemandem unterzuordnen, auszubrechen, die Dinge selbst zu machen. Beto O’Rourke, der Rebell. Im Herzen noch immer Teenager. Jedenfalls lässt er sich nicht lange bitten und rollt tatsächlich auf dem Skateboard auf die Theaterbühne im Del Mar College in Corpus Christi. Ein Schlaks in Jeans und Freizeithemd, jungenhafter Charme, jungenhaftes Gesicht, gefeiert wie ein Rockstar. O’Rourke fuhr nicht nur leidenschaftlich gern Skateboard, er spielte auch Punkrock.
Bis zum Ende des Wahlrennens, auch das ist unkonventionell, will er sämtliche 254 Countys des Bundesstaats Texas mindestens einmal besucht haben. Am 6. November wählen die Amerikaner ein Drittel der Senatoren und das gesamte Repräsentantenhaus. Er fahre auch in Landstriche, die so rot glühten, dass man das Glühen aus dem Weltall sehen könnte, betont er. Rot ist die Farbe der Republikaner, und wenn ihm die Profis der Politikberatungsbranche entgegnen, dass er mit Ausflügen in tief konservatives Milieu nur seine Zeit verschwende, erwidert er ungerührt: „Aus diesem Grund habe ich keinen politischen Berater in meinem Team.“Die Parteifarbe, sagt O’Rourke, interessiere ihn nicht, man könne zu jedem einen Draht finden, so wie bei einem Rockkonzert vor anfangs skeptischem Publikum. Nur müsse man sich eben anstrengen. „Ich würde auch nicht für einen Bewerber stimmen, der sich in meiner Gegend nie blicken lässt.“
Wer weiß, was für ein Riesenstaat dieses Texas ist, dass man elf Stunden braucht, um von O’Rourkes Heimatstadt El Paso nach Houston am Golf von Mexiko zu gelangen, kann ungefähr ermessen, wie viele Stunden der Mann im Auto verbringt. Sitzt der Vater dreier Kinder am Lenkrad, allein oder neben einem Assistenten, lässt er sich meist von einer Handykamera filmen, die Bilder sind live bei Facebook zu sehen.
Auch an diesem Samstag im Oktober, an dem er Joe Kennedy vom Flughafen von Corpus Christi abholt. Joseph Patrick Kennedy III, wie es exakt heißen muss, ist der Hoffnungsträger einer traditionsreichen Familie, der einzige Kennedy, der derzeit im US-Kongress sitzt. O’Rourke weist ihm grinsend den Fahrersitz zu, Kennedy verfährt sich, weil O’Rourke nicht aufgepasst hat. Wie sich die beiden auf die Schippe nehmen, angefeuert von ihren Frauen Amy und Lauren, lässt immerhin eines erkennen: Wahlkampf kann Spaß machen, auch im aufgeheizten politischen Klima der USA. An einer Ampelkreuzung, witzelt O’Rourke später auf der Bühne, habe er in den ratlosen Gesichtern eines älteren Paares die Frage erahnt: Wer ist dieser Kerl? „Keine Ahnung“, malt er sich die Antwort aus. „Aber wenn ihn ein Kennedy fährt, muss er wichtig sein.“
Am 6. November will der 46-Jährige die Senatswahl in Texas gewinnen. Gelingt ihm das, wäre es ein Coup, denn 1988 haben die Texaner zum bisher letzten Mal einen Demokraten in den US-Senat delegiert. Ted Cruz, der republikanische Amtsinhaber, den O’Rourke herausfordert, war beim Kandidatenrennen vor zwei Jahren Trumps schärfster innerparteilicher Rivale. Ein wortstarker Redner, geschult in der Kunst der schnellen Debatte. Stramm konservativ, weiß er die evangelikalen Christen auf seiner Seite – in Texas eine Macht. Cruz ist und bleibt Favorit. O’Rourke, so hat es John Cornyn zugespitzt, der zweite Senator des „Lone Star State“, befinde sich auf einem politischen Selbstmordtrip.
Am Del Mar College fühlt es sich anders an. Der Theatersaal ist, schon lange bevor der Kandidat auf die Bühne rollt, voll. „Beto for Senate“steht auf Plakaten, kein Familienname, nur Beto. O’Rourke heißt eigentlich Robert, seine Familie hat irische Wurzeln, doch sein Spitzname klingt interessanter. Kritiker werfen ihm vor, er wolle sich bei den Latinos anbiedern, die bald die Mehrheit in Texas bilden.
„Wir richten uns gegen niemanden, und ganz bestimmt nicht gegen eine andere Partei“, ruft der schlaksige Mann. „Jeder von uns ist hier, weil er für etwas ist. Für die Vereinigten Staaten von Amerika.“Wenn er redet, grundsätzlich frei, rudert O’Rourke unbeholfen mit den Armen. Bei dieser Wahl, skizziert er, gehe es um Grundsätzliches. Um den Charakter der Nation. Man wolle doch sicher kein Land sein, das Kinder an der Grenze von ihren Eltern trenne, wie es auf Anordnung Trumps geschehen ist. „Stellt euch vor, da hat ein kleines Mädchen 2000 Meilen zurückgelegt, quer durch Mexiko, mal zu Fuß, mal auf dem Dach dieses schrecklichen Zuges, den sie ‚Das Biest‘ nennen. Statt ihm Zuflucht zu gewähren, entreißen wir es den Armen seiner Mutter.“
In seinem Programm verlangt O’Rourke strengere Waffenkontrollen, ohne privaten Waffenbesitz anzutasten, er will den staatlich garantierten Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde anheben, Marihuana legalisieren, bezahlbare Krankenversicherungen für alle. Im Kern aber geht es um die Würde Amerikas.
Edward Costley, ein Restaurantbesitzer, 52, hat schon für alle möglichen Bewerber gestimmt, für Republikaner, Demokraten, Libertäre. Die Konservativen, sagt er, hätten früher für Ideen gestanden, für freien Handel. Bei Trumps Republikanern aber gehe jeder Ideenstreit schnell unter die Gürtellinie, deshalb baue er auf O’Rourke. Auf den Gegenentwurf. Die Studentin Zoe Perez, 18, erkennt Parallelen zu Barack Obama: „Die klare Sprache, das Authentische. Bei beiden hast du nicht das Gefühl, dass sie dir etwas vormachen. Und beide reden von der Hoffnung, nicht von der Angst.“
Anders als Obama stammt O’Rourke aus geordneten, zudem aus wohlhabenden Familienverhältnissen, die es ihm ermöglichten, sich auszuprobieren, ohne ans Geldverdienen denken zu müssen. In New York, wo er an der prestigeträchtigen Columbia-Universität
studierte, hat der Sohn eines Richters in einer Punkband namens Foss Bass gespielt. Nach dem Studium machte er mal dies, mal das, unter anderem transportierte er teure Gemälde für ein auf Kunst spezialisiertes Fuhrunternehmen. Einmal wurde er wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen.
Zurückgekehrt nach El Paso, gründete er eine IT-Firma. 2005 wählten ihn die Bürger seiner Stadt in die Gemeindeverwaltung, sieben Jahre darauf ins Repräsentantenhaus. Dort profilierte er sich als einer, der auch mit der Gegenpartei kann. Als im März 2017 ein Schneesturm die drei Flughäfen Washingtons lahmlegte, sorgte er mit einem Automarathon für Aufsehen. Von Texas ging es an die Ostküste, neben ihm saß der Republikaner Will Hurd. Wie die beiden im Auto diskutierten, war live bei Facebook zu verfolgen, und es machte deutlich, dass es auch in Trumps Amerika noch so etwas wie Streitkultur gibt. Seitdem gilt O’Rourke als die Inkarnation frischen Windes. Er hofft auf die Stimmen von Menschen, die schon lange kein Wahllokal mehr betreten haben. Vor allem hofft er auf die Jungen, deren Wahlbeteiligung bei Kongresswahlen zuletzt deutlich unter dem Durchschnitt lag. Der legendäre Country-Sänger Willie Nelson hat ein Konzert für ihn gegeben, vor 50.000 Zuschauern in Austin.
Harlingen, eine Kleinstadt im Tal des Rio Grande, gut zwei Autostunden von Corpus Christi entfernt. Bevor O’Rourke die Bühne eines Kongresszentrums betritt, beantwortet er ein paar Fragen. Warum er glaube, ausgerechnet in Texas gewinnen zu können? „Ich glaube jedenfalls nicht“, sagt er, „dass sich die Leute über das vorangegangene Votum definieren lassen.“Texas sei bereit, etwas wirklich Großes zu tun.