Großvater des höheren Blödsinns
„Ich liebte ein Mädchen in Tegel“: Der Musiker und Dichter Ingo Insterburg ist tot.
DÜSSELDORF Das war im Jahr 1974, da stand Ingo Insterburg auf der Bühne einer Fernsehshow, und er sah aus, als hätte ihn Janosch gezeichnet. Frisuren-Helm, Gesichtspullover, Hippie-Halskette, Siegelring am kleinen Finger. Er spielte Gitarre und verzog keine Miene, und mit dieser treuen und vorgeblich naiven, aber in den Höhen zum Alarm neigenden Stimme trug er ein Lied vor, das so geht: „Ich liebte ein Mädchen in Grunewald, bei der war immer die Bude kalt / Ich liebte ein Mädchen in Mainz, das war gar keins.“Man muss sich das bei Youtube ansehen: Zuerst lacht im Publikum niemand, sie tragen Hemden mit zu spitzen Krägen und Brillen, die zu schwer sind, und sie warten ab und wissen auch nicht, was da gerade passiert. Aber kurz vor Schluss, als sich Insterburg in seinem Lied von Berlin aus durch Deutschland ins Weltall geliebt hat, können sie nicht mehr – Freudentränen: „Ich liebte ein Mädchen vom Mars, das war’s.“
Ingo Insterburg hat die Republik verändert, weil er in einer Zeit die Sprache befreit hat, in der man ihr noch misstraute. Man kann seine Leistung gar nicht überschätzen, er hat den Alltag bunt angemalt, und er wurde zum Vorbild für Otto, Mike Krüger und all die anderen. Er war der König des höheren Blödsinnns und der schlüpfrigen Feingeisterei. Er brauchte nur Wörter und seine selbstgebauten Instrumente, und dann blies er in das Waschmaschinenschlauch-Saxophon, zupfte das Vogelkäfig-Cello und sing-sprechte: „Ein Mistkäfer lebt in der Jauche im Gestank, deswegen frisst ihn keiner, Gott sei Dank.“Ganz groß ist auch seine Ballade „Im Gasthof Zur Eiche“; es geht darin recht sinnenfroh zu, und das Ende klingt so: „Der Abend war ein langer, und alle wurden schwanger.“
Insterburg wurde 1934 in Ostpreußen geboren. Mitte der 1950er Jahre kam er nach West-Berlin, wo er in einer WG mit Klaus Kinski lebte. Ihn begleite Insterburg als „Guitar-Ingo“bei dessen Brecht-Interpretationen. Anfang der 60er gründete er seine eigene Truppe: Insterburg & Co. mit Karl Dall, Jürgen Barz und Peter Ehlebracht. Sie machten musikalisches Kabarett, das war subversiv, aber nie verbiestert, und ihre Lebensleistung besteht darin, dass sie die deutsche Sprache so lange durchwalkten, zurechtzupften und polierten, dass sie leichter wurde, besser flutschte und sich lässiger anfühlte.
Insterburg war ein Geistesverwandter von Lindenberg und Janosch, ein liebenswerter Anarch. „Die Kaulquappen im Ententeich, die haben Füße nicht sogleich.“Nun erlag der 84 Jahre alte Marathonläufer, Vegetarier und Weltverbesserer in einem Berliner Hospiz einer Krebserkrankung.