Bolsonaros logischer Sieg
Er verachtet die Demokratie, verherrlicht die Diktatur und hetzt gegen Minderheiten. Trotzdem haben 55 Prozent der Brasilianer Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt. Aus Wut und Frust. Aber nicht nur.
Der amerikanische Präsident Donald Trump, Russlands Staatschef Wladimir Putin, Frankreichs Rechtsaußen-Politikerin Marine Le Pen, Italiens Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega-Partei – die Liste der ersten Gratulanten nach der Wahl von Jair Bolsonaro zum neuen brasilianischen Präsidenten las sich wie das Who-is-who des internationalen Rechtspopulismus. Für die AfD begrüßte deren Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Petr Bystron, Bolsonaros Sieg in der Stichwahl am Sonntag. Die „konservative Revolution“habe damit auch Südamerika erreicht, jubelte Bystron. Indes, der Mann irrt: Die politische Wende hat Lateinamerika schon länger erfasst und hatte zuvor schon Chile, Argentinien und Kolumbien nach rechts kippen lassen.
In Bolsonaros Triumph gipfelt also ein politischer Trend. Doch nirgendwo wurde die konservative Wende von einem derart radikalen Politiker verkörpert. Das größte und mit Abstand wichtigste Land Lateinamerikas wird künftig von einem Mann regiert, der die Demokratie für eine „Sauerei“hält, der die Militärdiktatur verherrlicht, der gegen Andersdenkende, Frauen, Schwule und Ureinwohner hetzt und auch aus seinem Rassismus gegenüber Schwarzen keinen Hehl macht. Am Abend eines Wahlsiegs gab sich Bolsonaro zwar staatstragend und gelobte „bei Gott“, die Verfassung zu wahren und das Land zu einen. Aber Zweifel sind erlaubt, hatte der 63-Jährige seinen Wählern zuvor doch in drastischen Worten das genaue Gegenteil versprochen.
Die Wahl Bolsonaros sagt viel aus über den desaströsen Zustand Brasiliens, das noch vor nicht allzu langer Zeit als Hoffnungsträger in Südamerika gepriesen wurde und als eines der vielversprechendsten Schwellenländer galt. Seinen Landsleuten galt Bolsonaro lange als rechtsradikaler Spinner, die allermeisten Brasilianer hörten erstmals von ihm, als er vor zweieinhalb Jahren als Hinterbänkler im Parlament von Brasilia beim Amtsenthebungsverfahren gegen die damalige sozialistische Präsidentin Dilma Rousseff lauthals einen der berüchtigsten Folterknechte der Diktatur pries, der Rousseff seinerzeit sadistisch gequält hatte.
Dass offenbar viele Brasilianer bereit sind, über derart ekelerregende Entgleisungen hinwegzusehen, spricht für ihre tiefe Enttäuschung über das politische System – und für einen weichgefilterten Blick auf die jüngere Vergangenheit ihres Landes. Anders als in anderen lateinamerikanischen Ländern wurde in Brasilien die Zeit der Militärdiktatur (1964 bis 1985) nie wirklich aufgearbeitet. Viele jüngere Brasilianer wissen so gut wie nichts über diese Zeit, und für viele Ältere war es im Rückblick eine Phase der Sicherheit und des ökonomischen Fortschritts. Tatsächlich sorgte das Militärregime mit dosierter staatlicher Wirtschaftsförderung über viele Jahre hinweg für zweistellige Wachstumsraten, und in den Armenvierteln der Städte gab noch nicht die Drogenmafia den Ton an.
Heute dagegen leidet Brasilien unter unfassbarer Gewalt. In viele Stadtviertel wagt sich die Polizei gar nicht mehr hinein. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 63.000 Menschen getötet. Zum Vergleich: In Deutschland kam es im gleichen Zeitraum nur zu etwas mehr als 700 Tötungsdelikten. Wenn Bolsonaro dagegen jetzt mit der Armee vorgehen will und in seinem ersten Interview nach der Wahl „zum Schutz des Volkes“eine Lockerung des Waffenrechts ankündigte, dann mag das für uns unerhört klingen, aber viele Brasilianer sind so wütend darüber, dass der Staat beim Kampf gegen Kriminalität und Gewalt versagt, dass sie bereit sind, die Sache in die eigene Hand zu nehmen.
Mindestens ebenso groß ist die Empörung über die hemmungslos wuchernde
Nirgendwo wurde die konservative Wende von einem derart radikalen Politiker verkörpert