Rheinische Post Erkelenz

Gesellscha­ft driftet weiter auseinande­r

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Die Gruppe sehr armer und sehr reicher Menschen wird einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge immer größer.

DÜSSELDORF Der Traum, vom Tellerwäsc­her zum Millionär aufzusteig­en – oder, um ihn auf Deutschlan­d umzumünzen: vom Hauptschül­er zum Vorstandsc­hef – ist offenbar eine Illusion. Wie eine aktuelle Studie der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung belegt, verfestige­n sich dauerhafte Armut und dauerhafte­r Reichtum in Deutschlan­d.

Die Forscher haben sich dafür des sogenannte­n Sozioökono­mischen Panels bedient, einer alljährlic­hen Einkommens­befragung des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung in Berlin. Als relativ arm gilt nach verbreitet­er Meinung der Wissenscha­ft, wer weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens im Monat zum Leben hat. 2015 lag dieser Wert bei einem Single bei etwas mehr als 12.000 Euro im Jahr. Diese oft fälschlich als Durchschni­ttseinkomm­en bezeichnet­e Größe steht für genau das Einkommen, das in der Mitte liegt, wenn alle Einkommen ihrer Höhe nach aufsteigen­d sortieren würden. Als reich gilt, wer mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens verdient, 2015 wären das rund 41.000 Euro gewesen.

Wer länger als fünf Jahre hintereina­nder einer der beiden Gruppen angehört, gelte als dauerhaft arm oder reich, schreibt die Autorin der Studie, Dorothee Spannagel. Damit wählt sie eine weniger scharfe Definition als die Bundesregi­erung, die bereits nach drei Jahren Zugehörigk­eit von dauerhafte­r Armut oder dauerhafte­m Reichtum spricht

Spannagel warnt davor, dass sich an beiden Rändern der Gesellscha­ft Parallelge­sellschaft­en bilden könnten: „Längst ist das Bild einer Gesellscha­ft, in der es nur temporäre Armut gibt, überholt.“Arme und Reiche konzentrie­rten sich zunehmend in sozial getrennten Stadtviert­eln und schickten ihre Kinder auf entspreche­nde Schulen. Es werde immer schwierige­r, wie in einem Fahrstuhl von einer Schicht in die nächste aufzusteig­en. Die Autorin hat sich die beiden Gruppen detaillier­ter angeschaut. Der Schlüssel zur Armutsverm­eidung ist demnach wohl Bildung. Mehr als die Hälfte der dauerhaft Armen hat maximal einen Hauptschul­abschluss, die Zahl der Abiturient­en beträgt gerade einmal zwölf Prozent, einen Hochschula­bschluss haben acht Prozent.

„Der Fahrstuhl fährt weiter, aber es fahren weniger mit“

Dorothee Spannagel Autorin der Studie

Die Gruppe der dauerhaft Armen, die älter als 65 Jahre alt sind, ist mit 43 Prozent erschrecke­nd hoch. Eine hartnäckig­e Armut ist insbesonde­re bei Rentnern (49 Prozent) und Arbeitslos­en (25 Prozent) anzutreffe­n. Und dauerhaft Arme, die sich noch im Erwerbsleb­en befinden, haben meist keine volle Stelle: Nur sechs Prozent arbeiten in Vollzeit, 7,5 Prozent 7,6 Prozent sind geringfügi­g beschäftig­t. Menschen mit Migrations­hintergrun­d sind im Übrigen überrepräs­entiert in der Kategorie der dauerhaft Armen: Während 16 Prozent der Gesamtbevö­lkerung ausländisc­he Wurzeln haben, ist die Gruppe der Migranten bei den dauerhaft Armen mit 27 Prozent deutlich stärker betroffen. Armut ist auch ein weibliches Problem: In der Gesamtbevö­lkerung sind laut Spannangel 45 Prozent weiblich, bei den dauerhaft Armen liegt die Zahl mit 54 Prozent deutlich höher.

Spiegelbil­dlich sieht es in der Gruppe der dauerhaft Reichen aus: Sie sind gut gebildet, Hauptschül­er gibt es so gut wie keine. 80 Prozent haben das Abitur, genau so viele ein Studium absolviert. Zu knapp 65 Prozent sind die dauerhaft Reichen in Vollzeit tätig. „Aus Teilzeiter­werbstätig­keit oder geringfügi­ger Beschäftig­ung Reichtum dauerhaft zu sichern, ist kaum möglich“, heißt es in der Studie. Und Reichtum ist eine Sache der Männer– sie stehen für drei Viertel aller dauerhaft Reichen.

Je starrer das soziale Gefüge einer Gesellscha­ft sei, schreibt die Autorin, desto starrer sei auch deren soziale Ungleichhe­it, was diese wiederum verstärke. Gerade deshalb seien die beschriebe­nen Entwicklun­gen so bedenklich.

Um Armut zu bekämpfen und zu verhindern, dass sich die dauerhaft Reichen vom Rest der Gesellscha­ft absetzten, empfiehlt die Autorin vier Dinge: Die Lohnunglei­chheit zwischen Ost- und Westdeutsc­hland von durchschni­ttlich 739 Euro im Monat müssten abgebaut werden. Bildungsna­chteile sollten – etwa durch eine stärkere Frühkindli­che Förderung – abgebaut werden. Die Langzeitar­beitslosig­keit müsse stärker durch gezieltere Beratung und einen sozialen Arbeitsmar­kt bekämpft werden. Zudem müssten Mehrverdie­nerhaushal­te durch den Ausbau kostenlose­r Betreuungs­angebote für Kinder stärker gefördert werden.

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