Moore wartete 14 Mal auf die Hinrichtung
Die Gemeinschaft Sant’ Egidio engagiert sich gegen die Todesstrafe. Ihr Gast erzählte seine Geschichte vor Gladbacher Schülern. Sie zeigten sich beeindruckt, wie die Angehörigen des Opfers handelten und Billy Moore vergeben haben.
„Es war ein Wagnis“, sagt Gabi Brülls von der Gemeinschaft Sant` Egidio. Zum ersten Mal hat die Gemeinschaft, die sich weltweit gegen die Todesstrafe einsetzt, mit dem US-Amerikaner Billy Moore einen Gast nach Mönchengladbach eingeladen, der schuldig in der Todeszelle gesessen hat. Wie werden die Schüler, denen er seine Geschichte erzählt, darauf reagieren? Sie sind hochkonzentriert und berührt. Billy Moores absolute Offenheit, seine Weigerung, seine Tat in irgendeiner Form zu entschuldigen und seine Aufrichtigkeit beeindruckt die Oberstufenschüler der Gesamtschule Volksgarten.
Die Geschichte, die der 67-Jährige mit ruhiger Stimme und großer Ehrlichkeit erzählt, ist reich an schwer erträglichen Geschehnissen und unglaublichen Wendungen. Im Jahr 1974 ist Billy Moore 22 Jahre alt, bei der US-Army angestellt und lebt in Georgia, als seine Frau ihn und den kleinen Sohn von heute auf morgen verlässt. Er gerät in finanzielle Schwierigkeiten und begeht gemeinsam mit einem Freund einen Raubüberfall. Dabei erschießt er einen alten Mann. Billy Moore versucht nicht, seine Tat zu beschönigen. „Ich bin schuldig, und ich werde es für den Rest meines Lebens bleiben“, sagt er in der Aula der Gesamtschule. Er gesteht und wird zum Tode verurteilt.
Schon kurze Zeit später soll er hingerichtet werden. „Ich saß an diesem Freitag in meiner Zelle und wartete darauf, dass sie mich abholen, um mich hinzurichten, aber niemand kam“, erzählt er. Er wartet das ganze Wochenende, wagt aber niemanden zu fragen. Erst am Montag bekommt er den Brief seines Anwalts, der ihm mitteilt, dass ein Todesurteil stets noch einmal von einer weiteren Instanz geprüft werden muss. Sechzehn Jahre lang durchläuft das Urteil verschiedene Instanzen, zum Teil mehrfach die gleichen. Insgesamt vierzehn Mal wird ein Hinrichtungstermin festgesetzt. Einmal ist es soweit, dass er aus dem Todestrakt in den Bau verlegt wird, in dem der elektrische Stuhl steht und die Todeskandidaten ihre letzten 72 Stunden verbringen. „Sie haben mir den Stuhl gezeigt und beschrieben, wie er funktioniert“, sagt er.
Dreitausend Volt schießen eine Minute lang durch den Körper des Verurteilten, dann folgt eine Pause von einer halben Minute. Drei Mal wird die Prozedur wiederholt. „Ich wusste auch, was passieren kann, wie die Augen aus dem Kopf springen oder Körper anfängt zu brennen“, erinnert er sich. Drei Tage verbringt er in der Zelle nebenan, Tag und Nacht von zwei Beamten bewacht, die jedes seiner Worte und jede seiner Bewegungen aufschreiben. Weil Moore sich weigert, den Fernseher anzumachen, lesen sie ihm „zur Unterhaltung“vor, wie seine Vorgänger in dieser Zelle ihre letzten Stunden und Minuten verbracht haben. „Es waren alles Menschen, die ich kannte, dem letzten hatte ich das Lesen beigebracht“, sagt er.
Und dann geschieht das Unerwartete: Die Hinrichtung wird ein weiteres Mal verschoben, schließlich wird sein Urteil doch noch in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt. Dafür hatte sich nicht nur Mutter Theresa in einem Telefonat mit den Richtern ausgesprochen („Tut, was Jesus tun würde“), auch die Familie seines Opfers hatte sich dafür eingesetzt. Billy Moore hatte schon Jahre zuvor Kontakt mit der Familie aufgenommen und seine Reue ausgedrückt. „Ich konnte nicht erwarten, dass sie mir vergeben. Ich konnte mir ja selbst nicht vergeben“, sagt er. Aber es geschieht das für ihn erst Unbegreifliche. „Wir sind Christen, und wir vergeben Dir“, schreiben ihm die Angehörigen. „Wir vergeben dir, weil es auch uns befreit und erlaubt,
„Ich bin schuldig, und ich werde es für den Rest meines Lebens bleiben“
Billy Moore War in der Todeszelle weiterzuleben.“
So habe noch nie jemand mit ihm über Vergebung gesprochen, sagt Moore. Religion sei ihm früher nicht wichtig gewesen. Aber dann hilft ihm der Glaube, Frieden zu finden. Dass sich die Familie des Opfers für ihn eingesetzt, gibt den Ausschlag für die Umwandlung der Todesstrafe und seine spätere Freilassung. „Billy ist wie ein Bruder für uns“, hatten sie den Richtern gesagt. „Wir wollen mit ihm nicht noch einen Angehörigen verlieren.“