Schriftsteller Wilhelm Genazino gestorben
FRANKFURT Wilhelm Genazino war ein Großartiger, ohne je zu den ganz Großen gezählt zu werden. Und dass überhaupt eine umfängliche Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam wurde, lag wohl am Büchner-Preis. Die immer noch beachtlichste Ehrung für einen deutschsprachigen Autor bekam Genazino 2004. „Ich hatte Glück“, sagte er uns damals. Auch das braucht man. Weil es keinen Schalter gebe, den man auf „Publikum“umstellen könnte. Jetzt ist Wilhelm Genzino im Alter von 75 Jahren in Frankfurt gestorben.
Seine Romane waren nie auf Erfolg angelegt, weil sie stets ihren eigenen Wegen folgten – den des Innehaltens, des Scheiterns, des kleinen Alltags mit all seinen Unzumutbarkeiten. Keins seiner Bücher ist wirklich autobiografisch, doch wer Genazino einmal getroffen hat, wird in ihm all diese tragischen Helden gesichtet haben: die etwa 60-jährigen Männer mit ihren Überforderungen, ihrem Überdruss. Allen voran Abschaffel, ein kleiner Angestellter, dem Genazino in den 70er Jahren ein Trilogie widmete. Ein Leben zwischen Großraumbüro, Imbissstube, Kontakthof, Rolltreppe usw. – ein Leben in vielen Einzelaufnahmen. Abschaffels Leben ist zu nah an der grauen Wirklichkeit, als dass der Held zur Identifikationsfigur werden könnte. Diesen Grundton hat Genazino, der als Journalist begann, nie verlassen. „Ein Regenschirm für diesen Tag“von 2001, „Die Liebesblödigkeit“2005 oder „Das Glück ins glücksfernen Zeiten“(2009) sind Variationen dieser erzählten Welt. Wie viele große Autoren hatte Wilhelm Genazino in der Erkundung des Alltäglichen sein Thema gefunden. Er hat es mit jedem neuen Buch wieder und wieder umkreist und dabei stets Neues entdeckt. Mit seinem Tod verliert die Welt einen seltenen Melancholiker. Das ist einer, der nicht sonderlich „gebrauchsfähig“und deshalb weniger manipulierbar ist; der nicht durchs Leben hetzt, sondern flaniert. „Zotteln“nannte Genazino diese Kulturtechnik. Zur Nachahmung empfohlen.
Lothar Schröder