Raus ins Feld – auf Exkursion mit dem Prof
Ob Klimaforschung in Spitzbergen oder Fossilfunde in Südspanien: Auf Expeditionen lernt man Dinge, die es nicht im Hörsaal gibt.
BOCHUM Wer Geologie studiert, Geografie oder Archäologie, für den heißt es irgendwann: Raus ins Feld! Denn theoretisches Wissen allein reicht in diesen wissenschaftlichen Disziplinen nicht aus. „Geologie ist eine Geländewissenschaft“, sagt Tom McCann, Geologe am Steinmann-Institut der Universität Bonn. „Nach den ersten Semestern muss man rausgehen, und die Gesteine im Feld sehen. Und man kommt dann auch dazu, verschiedene Teilgebiete der Geologie zu vereinen: Mineralogie, regionale Geologie, Tektonik, Sedimentologie und
„Nach den ersten Semestern muss man raus gehen und die Gesteine im Feld sehen“
Tom McCann
Geologe an der Universität Bonn
Paläontologie.“Auf Exkursionen üben Studierende außerdem in der Praxis das Handwerkszeug ein, das sie später in ihrem Beruf benötigen, so der Professor, der sich selbst mit der Ablagerung von Sedimenten vor Millionen von Jahren beschäftigt.
Und so geht es für die Geologen der Uni Bonn im Bachelor mindestens einmal im Bachelor-Studium auf mehrtägige Exkursion. Nach Deutschland, aber auch nach Frankreich, Spanien oder sogar Brasilien und China. „Ich fahre seit gut einem Jahrzehnt mit den Bachelor-Studenten nach Südspanien, weil die Gesteine im dortigen Sorbas-Becken sehr gut zugänglich sind“, sagt McCann.
In diesem Tal an der Küste Andalusiens nahe Almería lag vor sechs Millionen Jahren eine Lagune, in die ein kleiner Fluss mündete. Auf dem feuchten Küstenboden haben zahlreiche Wasservögel ihre Spuren hinterlassen. „Vogelfußabdrücke hatte ich dort schon gefunden“, sagt Tom McCann. „Doch dann überreichte mir einer der Exkursionsteilnehmer einen Gesteinsbrocken, auf dem deutlich ein versteinerter Fußabdruck zu erkennen war, ganz ähnlich dem eines Hundes.“
Zurück in der Unterkunft googelte der Professor eifrig und kam zu dem Ergebnis: Fußabdrücke von Säugern gab es bisher in dieser Region nicht. „Ich schlug meinen Studierenden daraufhin vor, ein Paper zu veröffentlichen. Sie waren verblüfft: So etwas passiert in der Regel nicht im Bachelor-Studium.“Mit Feuereifer stürzten sich die Exkursionsteilnehmer zurück in Bonn auf das Verfassen des Papers – alle wollten lernen, wie man eine solche wissenschaftliche Veröffentlichung für eine Zeitschrift schreibt. Die Theorie der Gruppe um Professor Tom McCann: Die Spuren könnten von einem Schakal stammen, der vor sechs Millionen Jahren über das damals ausgetrocknete Mittelmeer von Nordafrika über Gibraltar nach Europa gelangt ist. „Und tatsächlich wurde der Artikel in der Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften gedruckt. Das ist für Bachelor-Studierende absolut außergewöhnlich und ein toller Punkt für ihren Lebenslauf“, sagt der Geologe.
Dass Exkursionen nicht nur für die Studierenden eines bestimmten Faches interessant sind, zeigt sich an der Ruhr-Universität in Bochum. Denn dort geht André Baumeister nicht nur mit den Geografie-Studenten ins Feld: Auch junge Menschen anderer Fächer dürfen den Geografen im Rahmen ihres Bachelorstudiums begleiten. Außerdem betreibt der Wissenschaftler eine eigene Exkursions-Firma, über die ihn auch Privatpersonen begleiten können. In diesem Jahr war er bereits in Kapstadt, Nordskandinavien, Österreich und Spitzbergen. „Als Geograf beschäftigt man sich mit Prozessen, die auf der Erdoberfläche stattfinden. Das können naturwissenschaftliche, räumliche aber auch gesellschaftliche Prozesse sein. Und die kann man sich natürlich nicht im Lehrbuch anschauen“, sagt Baumeister. „Draußen lernt man am besten – und es gibt immer gute Geschichten zu erzählen.“
Mit seinen Exkursionen möchte der Geograf Fachfremde wie Studierende für Umwelt und Natur
sensibilisieren. „Wir wollen die Menschen für unser Fach begeistern – und ihnen außerdem Wissen vermitteln.“Und genau deshalb werden in Spitzbergen beispielsweise Planktonteilchen unter dem Mikroskop untersucht, oder eine Drohne zur Erkundung der Gletscher eingesetzt. Mit einer Wärmebildkamera wiederum werden Veränderungen in den Permafrostböden analysiert.
„Die Geografie beschäftigt sich aber längst nicht mehr mit Einzelproblemen“, stellt André Baumeister klar. „Ökologische Prozesse in Spitzbergen beispielsweise haben Bezug zum Klima der ganzen Welt. Ebenso wie die Müllproblematik in Westafrika oder der Fischfang in Norwegen.“So lernen die Exkursionsteilnehmer die Welt auf eine Weise kennen, wie sie kein Instagram-Bild zeigt. „Wer einfach durch die Alpen wandert, dem bleiben viele Geschichten abseits der bekannten Wege verborgen. Aber wir füllen die Region mit Wissen über Natur, Klima und Gesellschaft – und so entwickeln die Menschen einen ganz anderen Bezug zu einer Region und setzten sich vielleicht mehr für sie ein“, sagt Baumeister.
Und wo kann das besser gelingen, als in einem Zelt in Spitzbergen unter dem Sternenhimmel?