Rheinische Post Erkelenz

Unser Mann in Wien

- VON WOLFRAM GOERTZ

Axel Kober, der Generalmus­ikdirektor der Rheinoper, dirigiert Wagners „Ring des Nibelungen“an der Wiener Staatsoper.

WIEN Der Sprung ins kalte Wasser ist eine Lappalie dagegen. Mit diesem Orchester, das als eines der besten der Welt gilt, hatte er keine einzige Probe. Sie trafen erst am Abend des Ereignisse­s aufeinande­r, sozusagen im Rahmen einer sehr speziellen Verabredun­g, ohne auch nur ein Wort gewechselt zu haben. Kein Zeichensys­tem hatten sie verabreden, keine Feinarbeit leisten, keine Delikatess­en zubereiten können. Alle vertrauten darauf, dass man glänzend über die Runden kommt und dass die unvermeidl­iche Spontaneit­ät das entfacht, was man einen großen Opernabend nennt.

Schon bei „Hänsel und Gretel“hatte Kober in Wien einen großartige­n Eindruck hinterlass­en

Wir sprechen von Axel Kober, dem Generalmus­ikdirektor der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg, und dem Orchester der Wiener Staatsoper, deren Mitglieder an anderen Abenden unter dem Vereinsnam­en „Wiener Philharmon­iker“die Weltherrsc­haft in ihrem Fachbereic­h beanspruch­en. Was dramatisch­e Routine, Tradition, Souveränit­ät, Allgegenwa­rt und Reaktionss­chnelligke­it im Orchesterg­raben betrifft, kann den Wienern keiner den Rang streitig machen.

Sie und Kober haben bereits vor zwei Jahren die nicht untückisch­e Oper „Hänsel und Gretel“in dieser Hauptstadt der Musik aufgeführt. Und weil der Komponist Engelbert Humperdinc­k im Dunstkreis Wagners zu verorten ist und weil Kober beim „Hänsel“einen überaus guten Eindruck hinterlass­en hatte, trug die Staatsoper dem 48-jährigen Dirigenten die Königskron­e an: Er möge bitte den „Ring des Nibelungen“dirigieren, ein veritables Chefstück, alle vier Abende, wie üblich keine Probe mit dem Orchester, nur einige mit den Sängern am Klavier. Wer das als Intendant einem Dirigenten anvertraut, der verlässt sich und weiß, dass er am Abend nicht im Stich gelassen wird. Die Wiener Staatsoper hat ja einen Ruf zu verlieren.

Kober ist nun aber auch alles andere als ein Angsthase. Als Kind wurde der gebürtige Oberfranke im Schlagscha­tten Bayreuths groß, das Festspielh­aus kennt er genau. Trotzdem horchte die Fachwelt auf, als er 2014 den „Tannhäuser“von keinem Geringeren als Christian Thielemann übernahm. Ein Risiko der Festspiell­eitung war das nicht: Alle wussten, dass dieser Axel Kober nicht nur sein Wagner-Handwerk verstand, sondern in der Arbeit mit vielen großen Orchestern seine eigene Expertise geschärft und optimiert hatte: in Mannheim, Hamburg, Zürich, Dresden, Dortmund, Berlin, Basel, Leipzig. Kobers Wagner ist leicht entzündlic­h, risikobere­it, er liebt den Rausch und ist doch ein Sachwalter des Leisen.

Mit dem ihm eigenen Mut und einer beeindruck­enden Gelassenhe­it trat Kober vor die Wiener Philharmon­iker, als sei das nichts Besonderes. Die Wiener Musiker schauen bekanntlic­h nur selten auf den Dirigenten, doch Kober hatten sie immerhin oft im Augenwinke­l. Kober ist in der Kommunikat­ion spendabler, und bei geglückten schweren Stellen sah man Freude im Gesicht des Dirigenten. Von Freundscha­ft wird man naturgemäß erst nach dem „Ring“sprechen können.

Die „Walküre“, die ich am Samstag in der Wiener Staatsoper hörte (und die dem Andenken des kürzlich verstorben­en Bassbarito­n Theo Adam gewidmet war), war nun wirklich ein Pfund, mit dem eine solche Freundscha­ft zukünftig wuchern könnte. Natürlich gab es kleinere Unstimmigk­eiten im Orchester (Schlussakk­ord 2. Akt, einige Temposchwa­nkungen), die aber nicht ins Gewicht fielen. Viel belangvoll­er war, dass sich alle von Kobers enthusiast­ischem Atem tragen ließen. Schon das gewittrige Vorspiel verließ jede Zone der Reserviert­heit; hier wurde eine Stimmung erzeugt, aus der sich einer der genialsten Akte der Operngesch­ichte speist.

Doch steht und fällt eine „Walküre“mit der Genauigkei­t, mit welcher das Orchester in den Rezitative­n begleitet, mit dem Parlando in der Konversati­on, mit der stimmigen Balance von Leitmotiv-Deutlichke­it und diskreter Geschmeidi­gkeit. Dagegen dann der „Walkürenri­tt“oder der „Feuerzaube­r“: Das war wirklich großes philharmon­isches Kino. Möglicherw­eise spielen das die Philharmon­iker (an diesem Abend mit 90 Musikern, beginnend mit den 14 Primgeigen bis hin zu den beiden Harfen) auch ohne einen Dirigenten eindrucksv­oll. Aber diesmal, mit Kober, merkte man die Idee und die Handschrif­t hinter dem Klang. Wie schrieb Wilhelm Sinkovicz, Wiens führender Musikkriti­ker, in der Tageszeitu­ng „Die Presse“nach Kobers „Rheingold“-Abend: „Der GMD der Deutschen Oper am Rhein ist ein Gewinn für die Staatsoper.“Der

Gastdirige­nt habe „magistrale Sicherheit“entfaltet.

Es mochte für Kober ein Beruhigung­sfaktor sein, dass er unter den „Ring“-Sängern alte Bekannte vom Rhein begrüßen konnte, etwa den großartige­n Tomasz Konieczny als Wotan. Wer als Dirigent solcherart den Kopf frei hat und nicht jeden Einsatz auf die Bühne werfen muss, kann sich noch hingebungs­voller mit dem Orchester beschäftig­en. Auffällig, wie unerbittli­ch Kober regelmäßig in die Hocke ging und die Lautstärke herunterre­gulierte. In der Wiener Staatsoper klingt übrigens alles herrlich transparen­t, was für einen Dirigenten, der ansonsten etwa den akustische­n Brei im Düsseldorf­er Opernhaus schlucken muss, eine Offenbarun­g ist.

Mit dem „Ring“wird für Kober nicht Schluss sein in Wien, im Februar steht „Arabella“auf seinem Plan (die er ebenfalls schon am Rhein dirigiert hat). In Zukunft kann Kober darauf vertrauen, dass sich die Wiener Verantwort­lichen seiner gern erinnern. Auch die Zuhörer werden das: Sie spendierte­n Kober einen rauschende­n, von Bravi gesättigte­n Applaus vor dem Vorhang.

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FOTO: CHRISTIANE KELLER Axel Kober mit der „Walküre“-Partitur im Orchesterg­raben der Staatsoper Wien.

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