In der Johan-Cruyff-Arena lebt Johan Cruyffs Fußball
Holland ist der erste Gegner der DFB-Auswahl in der EM-Qualifikation. Die Niederländer sind offenbar aus ihrem Tal heraus.
AMSTERDAM Preisfrage: Wer hat‘s erfunden? Bei den Kräuterbonbons weiß das jeder, der noch nicht am Werbefernsehen vorbeigekommen ist. Es waren die Schweizer. Aber über den holländischen Fußball erzählt das Werbefernsehen nichts. Bondscoach Ronald Koeman ist zwar kein Erfinder, aber er hat den niederländischen Fußball zweifellos wiederbelebt. So sehr, dass das befreundete Ausland schon wieder in einer üblichen Mischung aus Neid und Bewunderung in das kleine Land mit der großen Geschichte schaut. Sonntag darf sich Deutschlands Nationalmannschaft ein eigenes Bild machen. Und Bundestrainer Joachim Löw stellt nach dem ersten Testspiel gegen Serbien (1:1) mit Recht fest: „Das wird ein ganz anderer Prüfstein. Holland hat mehr Tempo, Klasse und Qualität.“Die DFB-Auswahl erinnert sich noch mit Schmerzen an die kleine Lehrstunde, die ihnen die Niederländer im Herbst in der Nations League verpassten. Mit 0:3 verlor der Weltmeister von 2014 in Amsterdam. Auch Sonntag geht es zum ersten EM-Qualifikationsspiel der Detuschen in die Arena von Amsterdam.
Sie trägt den Namen des größten holländischen Fußballers, Johan Cruyff. Er gilt als einer der wesentlichen Wegbereiter beim Sturm des Oranje-Teams an die Weltspitze. Als Spieler war er die ideale Figur im Voetbal Totaal, den Trainer Rinus Michels für ein junges Team von Ajax Amsterdam in den frühen 1970er Jahren ersann. In diesem System sollte jeder Spieler an jeder Position auf dem Feld alles können, stürmen, verteidigen, Ideen einbringen. Cruyff war der Dirigent einer Mannschaft voller kommender Weltstars, die 1971, 1972 und 1973 den Pokal der Landesmeister gewannen – den Vorläufer der Champions League.
Cruyff und Michels sind aber nicht die einzigen Väter eines fußballerischen Aufschwungs, der die Holländer in die obere Etage trug, aus der sie trotz einiger bemerkenswerter Täler seit fast 50 Jahren nicht mehr wegzudenken sind. Da war auch ein gewisser Ernst Happel, der bei Feyenoord Rotterdam den Fußball revolutionierte. Der Österreicher, berühmt für seinen Zigarettenkonsum und eine öffentlichkeitswirksame Grantelei, führte nicht nur die Raumdeckung ein, er ließ auch ein Pressing spielen, das seine Gegner in große Verlegenheit stürzte. Es hieß nur noch nicht Pressing, die Holländer nannten es „Jagen“. Es war eine wilde Hatz auf den Ballführenden, die Happel mit einer offensiven Abseitsfalle sicherte. So wurde Feyenoord Europapokalsieger der Landesmeister, ein Jahr vor Ajax.
Eine Mischung aus dem Spiel der Topklubs prägte auch die Nationalmannschaft, die viele Jahrzehnte ein kümmerliches Dasein im Schatten des Weltfußballs geführt hatte. Sie wurde ebenfalls in den 1970ern ein stilbildendes Element auf der Welt. Das Beste an diesem Stil hat Cruyff als Trainer später nach Barcelona exportiert, eine ganze Nachwuchsschule orientiert sich bis heute daran. Was Barca und Manchester City unter seinem Eleven Pep Guardiola spielen, hat viel mit der Essenz des holländischen Fußballs zu tun.
Auch der aktuelle Spielstil der Niederländer bedient sich beim großen Erbe. Und er bedient gleichzeitig den Anspruch seiner Gründerväter, der längst zum Anspruch des Publikums geworden ist: Hollands Fußball muss nicht nur erfolgreich sein, er muss auch schön anzusehen sein. Dafür steht im Team von Koeman in erster Linie Mittelfeldspieler Frenkie de Jong, der sich mit seinen 21 Jahren wie ein großer Meister zwischen den vielzitierten Linien bewegt, immer anspielbar, immer mit einer Idee, eine große Führungskraft. So mancher sieht in ihm vieles von Johan Cruyff wieder. Zumindest der Werdegang ist sehr ähnlich: de Jong spielt bei Ajax, und im Sommer geht er zum FC Barcelona.
Damit de Jong das Spiel lenken kann, hat er in der zentralen Abwehr zwei großartige Verteidiger. Virgil van Dijk war bei seinem Wechsel zum FC Liverpool mit einer Ablösesumme von 85 Millionen Euro nicht nur der teuerste Abwehrspieler der Welt, er gilt auch als der beste. Ihm steht Matthijs de Ligt von Ajax zur Seite. Niemand, der ihn spielen sieht, kann glauben, dass er erst 19 Jahre alt ist.
Mit diesen drei Hauptdarstellern in einem funktionierenden Team ist Holland nach der verpassten WM und dem Abschied von Galionsfiguren wie Robin van Persie und Arjen Robben wieder auf dem Weg nach ganz oben. Vorläufig letzter Beleg ist der standesgemäße 4:0-Erfolg zum Auftakt der EM-Qualifikation gegen Weißrussland. Es sieht sehr danach aus, als sei dieser Weg nach oben für unsere westlichen Nachbarn kürzer als für das Team des DFB. Darüber wird das Spiel am Sonntag neue Rückschlüsse erlauben.