Vom Nazi zum englischen Fußball-Helden
Bert Trautmann war Hitlerjunge, Kriegsfreiwilliger und ein Bilderbuch-Nazi. In England wurde er zum Sinnbild des guten Deutschen.
MANCHESTER Fußballer-Biografien haben ein Muster. Meistens fangen sie damit an, dass sich der Jugendtrainer Soundso an einen kleinen Jungen erinnert, der auf dem sandigen Dorfplatz oder in einem Drahtverhau in einer Vorstadtsiedlung erstaunliche Dinge mit dem Ball tut. Natürlich erkennt der Jugendtrainer Soundso das große Talent. Dann wird erzählt, wie aus dem kleinen Jungen ein großer Junge wird, der auf gut gepflegen Rasenplätzen erstaunliche Dinge mit dem Ball tut. Er gewinnt meistens große Titel, die Endspiele werden ausführlich gewürdigt, und seine Mitspieler schildern ihn als tollen Kerl. Manchmal gibt es noch eine nette Anekdote wie bei Franz Beckenbauer, der wegen einer Backpfeife, die ihm ein Spieler von München 60 verpasste, zu den Bayern ging. Womit dann alles anfing – erstaunliche Dinge mit dem Ball, Titel und Endspiele inklusive.
Diese Biografie ist anders. Die BBC-Autorin Catrine Clay kommt erst zum Schluss ihres Buchs über den deutschen Torwart Bert Trautmann („Trautmanns Weg“) zum Spiel, das ihn berühmt gemacht hat und das eine Schlüsselszene seines Sportlerlebens bewahrt. 1956 steht der Schlussmann mit seinem Klub Manchester City zum zweiten Mal in Folge im Finale um den englischen FA-Cup. City gewinnt das Spiel mit 3:1, Trautmann hält wie immer in dieser Zeit überragend, aber er spielt die letzten 16 Minuten nach einem Zusammenprall mit einem Stürmer von Birmingham City mit einem gebrochenen Genick.
Erst vier Tage später wird das entdeckt. Sein Leben hängt am vielzitierten seidenen Faden. „Nur ein glücklicher Umstand verhinderte das Schlimmste“, sagt Trautmann 1999 in einer Dokumentation.
Bis Clay zu dieser Szene in Trautmanns Leben kommt, die seinen Ruhm auf der Insel in den Bereich des Sagenhaften steigert, erzählt sie eine ganz andere Geschichte. Sie handelt von dem kleinen Berni, der als Kind eines Hafenarbeiters in Bremen aufwächst und der ein begeisterter Hitlerjunge wird. Freiwillig zieht er als 17-Jähriger für seinen Führer in den Zweiten Weltkrieg. Es ist ein selbstverständlicher Krieg für den Jugendlichen. Die Nazis haben ihn wie zigtausende seiner Altersgenossen zu einem willfährigen Werkzeug des Dritten Reichs erzogen. Trautmann wird ein Bilderbuch-Nazi. Er kämpft bis zuletzt als Fallschirmjäger. Bei der Offensive der Alliierten am Niederrhein gerät er 1945 in britische Kriegsgefangenschaft.
Der BBC-Autorin bekennt er seine Überraschung darüber, dass ihn die Engländer im Lager in Nordengland mit einem Respekt behandeln, den er auf der anderen Seite zu der Zeit nicht aufgebracht hätte. Im Krieg, an der Front, hat er ein Grauen erlebt, das er für notwendig hielt. Er ist dabei hart geworden. Er hat das nie befragt, er hat nie gelernt, etwas anderes zu sein als Werkzeug eines Regimes. Er fühlt sich als überlegener Deutscher, er lebt die gesamte Doktrin, den Judenhass, das Herrenmenschengefasel, die These vom Volk, das Raum braucht. Die Erziehung durch die braunen Herrscher wirkt. Und dass er großgewachsen, blauäugig und blond ist, macht ihn auch äußerlich zum Musterknaben des Dritten Reichs.
Catrine Clay spürt seinen Zweifeln nach, die ihn erst spät in der Gefangenschaft beschleichen. Anfangs gehört er nach Ansicht der britischen Inspektoren zu den harten Nazis, die in eigene Lager gesteckt werden. Erst allmählich weitet sich der Horizont des ehemaligen Hitlerjungen. Und es sind nicht die Umerziehungsmaßnahmen im Lager, die ihm die Augen öffnen, sondern es sind die ersten Kontakte in die private Welt ganz normaler englischer Bürger. Kriegsgefangene werden Ende 1946 zu Weihnachten von englischen Familien eingeladen. Trautmann geht mit dem deutschen Lagerzahnarzt Egon Rameil zu einer Familie Benson. Das unbeholfene Gespräch, die leise Herzlichkeit rühren Trautmann. Es geht ihm wie vielen, von denen Clay einen sagen lässt: „Anfangs tastete man sich ab und tauschte Höflichkeiten aus, zum Abschied lächelten sie dann und luden uns wieder ein. So lernten wir wahre Demokratie kennen.“Trautmann berichtet bei einem Besuch in der Heimat seiner Familie davon. „Freundlichkeit, Güte, Vergebung; das habe ich dort gefunden, egal wohin ich kam.“Seine Familie im Nachkriegs-Deutschland, der arbeitslose Vater, der arbeitslose Bruder, die vom Krieg und den Nachkriegsentbehrungen
müde Mutter, ist noch nicht so weit, sich das vorstellen zu können.
In den Jahren, die es braucht, bis auch Trautmann seine programmierte Gesinnung vertreiben kann, wird der Fußball sein Halt. Er war immer ein begabter Sportler, schon vor dem Krieg. Er spielte Handball, Völkerball und Fußball, und er war einer der Besten. Die Briten erlauben den Gefangenen, Mannschaften zu bilden. Und erst da biegt Clays Biografie auf den sportlichen Pfad ein.
Trautmann bekommt seine Anekdote, die den Erfolgsweg vorzeichnet. Denn er, zuvor als Mittelläufer die zentrale Feldspielerfigur seines Teams, geht erst ins Tor, als er sich in einem Spiel verletzt und im Feld nicht mehr mitwirken kann. Sein Talent ist so offensichtlich, dass er regelrechte Fanscharen anzieht, die sein Spiel sehen wollen. Es ist ein logischer Weg vom Provinzverein St. Helens Town, der in der Liverpooler Liga antritt, in die Höhen des englischen Klub-Fußballs.
Aber Trautmann kann ihn nur gehen, weil er sich entschließt, auch nach der Gefangenschaft im Land zu bleiben. Manchester City verpflichtet den deutschen Torwart, der so ungeheuer modern spielt. Trautmann ist keiner, der auf der Linie verharrt, er wirft sich nach vorn, geht Stürmern entgegen, fängt Flanken in der Luft. Und er macht das Spiel mit seinem im Handball und Völkerball geschulten präzisen Abwürfen schnell.
Mit seinen sportlichen Qualitäten und seinem inzwischen gewachsenen Bewusstsein, den Engländern nach den Kriegsgräueln unbedingt zeigen zu müssen, dass es den guten Deutschen gibt, zerstreut Trautmann die Bedenken im Publikum. Seine Haltung und sein Spiel trotzen einem Pfeifkonzert und den Protesten aus der großen jüdischen Gemeinde von Manchester bei seinem ersten Spiel. Trautmann verwandelt die Proteste in Beifall – selbst bei den Gegnern. Bobby Charlton, ein berühmter Gegner beim Lokalrivalen Manchester United, sagt: „Er war der beste Torwart der Welt.“
Für Deutschland spielt der beste Torwart der Welt nie. Die DFBElf wird in Bern 1954 mit Toni Turek Weltmeister. Viele Jahre später schreibt Trainer Sepp Herberger dem zum Denkmal des englischen Fußballs aufgestiegenen Trautmann einen Brief. „Es sprach eigentlich alles für Sie und für eine Berufung in unseren Kreis“, schreibt Herberger. Aber er will 1954 keinen Star in seinem Team der Vertrauten. „Eine Bevorzugung Ihrer Person wäre gleichbedeutend mit einer Zurücksetzung dieser Männer gewesen. Ich hätte diese enttäuschen und das so feste Vertrauensverhältnis zu mir trüben müssen. Vor diese Alternative gestellt, habe ich mich für einen der Männer meines engsten Arbeitskreises entschieden.“
England ehrt Trautmann als ersten ausländischen Spieler mit dem Titel Fußballer des Jahres. Zu seinem Abschiedsspiel kommen 47.000 Zuschauer. Als City den FA-Cup feiert, singen die Fans „For he‘s a jolly good fellow“. „Bert“, schreibt Catrine Clay, „ehemals Bernd der Fallschirmspringer und ehemals Berni der Hitlerjunge, ist ein englischer Held geworden, eine Fußball-Legende, der gute Deutsche. Es unglaublich, dachte er, einfach unglaublich.“Diese Geschichte erzählt Clay von ihren Grundlagen her, gleichzeitig erzählt sie die Geschichte einer verlorenen Generation und die Geschichte Europas in der Zeit um den zweiten Weltkrieg. Das ist großartig.
Viele finden, dass es dem Film „Trautmann“, der Mitte März in Deutschland angelaufen ist, ebenfalls gelingt. Der „Spiegel“nicht, er urteilt streng: „So verkleben sich Heldenporträt und Liebesdrama zur Schmonzette, die der historischen Figur kaum gerecht wird. Dabei hätte in der gebrochenen Biografie der Reiz des Stoffes gelegen, in der Metamorphose vom Rassisten zum Kämpfer für Toleranz.“Also: auf jeden Fall Catrine Clay lesen.