Rheinische Post Erkelenz

Vom Kinderarzt zum Prediger

- VON MARIE LUDWIG

Eberhard Berg gehörte zu den beliebtest­en Kinderärzt­en in Gladbach. Vergangene­s Jahr ging er in Rente. Jetzt leitet er Gottesdien­ste in der evangelisc­hen Johanneski­rche.

WINDBERG Wer die Schlagwort­e „Berg“und „Mönchengla­dbach“googelt, der wird feststelle­n, dass der erste Treffer keine geografisc­he Landmarke ist. An oberster Stelle steht: Eberhard Berg. Er zählte zu den beliebtest­en Kinderärzt­en Gladbachs und ging vergangene­s Jahr nach fast 30 Jahren in Rente. Die neu gewonnene Zeit hat er in ein neues Amt gesteckt: Berg ist zum Prädikante­n, einer Art ehrenamtli­cher Pfarrer der evangelisc­hen Kirchengem­einde, geworden.

Erstmals hat ihn der Windberger Pfarrer Karl-Heinz Bassy darauf angesproch­en, ob er sich das nicht vorstellen könne. Berg war damals bereits langjährig­er Teil des Presbyteri­ums gewesen. Doch Predigen schreiben und sie auch halten? „Ich habe mich lange dagegen gewehrt“, sagt Berg und fährt sich – immer noch ein bisschen aufgewühlt – durch die kurzen Haare. Er wirkt nicht wie jemand, der sich in den Vordergrun­d drängt. Er ist auch nicht der Typ Pfarrer, der beim Refrain von „Laudato Si“zur Gitarre greift und der Kirchengem­einde laut „Und alle!“zuruft. Berg redet bedacht, nicht reißerisch oder schnell. Und es kommt nicht selten vor, dass man als Zuhörer innehält, um sich dem Tiefgang seiner Worte bewusst zu werden.

Wahrschein­lich wurde er gerade wegen dieser Fähigkeit von Pfarrer Bassy zu der sogenannte­n Zurüstung zum Prädikante­n ermutigt. Jährlich können nur wenige Auserwählt­e diesen Kurs besuchen und müssen in der Regel länger auf einen Platz warten. Bei Berg hat sich alles schneller gefügt. „Dass ich dabei sein konnte, habe ich wohl einem beherzten Anruf zu verdanken“, erinnert er sich. „Kann ich in den Urlaub fahren oder darf ich an dem Kurs teilnehmen?“, habe er gefragt. Die Frau am Telefon habe gerade die Liste zusammenge­stellt und ihm spontan zugesagt.

So fand sich Eberhard Berg im Januar 2016 in einem Kurs mit 15 weiteren gläubigen Christen wieder. „Alle wussten, wo ihr Lieblingsb­ibelvers steht“, erzählt er und unterschwe­llig schwingt ein „Hier sitzen nur die Guten“mit. Berg wusste zwar auch wie sein Lieblingsb­ibelvers lautet: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den der Kraft, der Liebe und der Besonnenhe­it.“Auch, dass er jenen Vers im Jahr 1979 – Berg war gerade 23 Jahre alt und steckte mitten in seinem Medizinstu­dium – bei der Jahreslosu­ng gezogen hatte. Doch er wusste nicht, wo dieser Vers stand. Berg war verunsiche­rt. „Ich lag nach dem Seminar zweifelnd im Bett, habe mich gefragt: Was machst du da eigentlich?“

Er habe keine dieser Gottesbege­gnungen wie in Filmen gehabt, beschreibt seinen eigenen Glauben als „zweifelnd“oder „forschend“. Und doch ist da diese Gewissheit, die Berg wieder mit einem dieser Sätze auf den Punkt bringt: „Mein Glaube ist für mich so selbstvers­tändlich wie die Schwerkraf­t.“Seine Eltern haben Theologie studiert, waren in Kriegszeit­en als Pfarrvertr­etung tätig und stets im Presbyteri­um engagiert.

Inzwischen weiß Berg, dass sein Vers im 2. Timotheus 1,7 steht und nach zwei Jahren Seminarzei­t fuchst er sich mit strukturie­rtem Scharfsinn in die Bibelstell­en ein: „Ein Gottesdien­st kann bei mir auch mal gut vier Wochen Vorbereitu­ngszeit dauern.“Erst schreibt er sich den Vers oder Psalm auf, legt ihn auf den Schreibtis­ch und sammelt seine Assoziatio­nen. Oft stammen diese aus seinem ehemaligen Beruf als Arzt, und deswegen funktionie­rt der Vergleich eben auch, dass das Entstehen einer Predigt für ihn wie „eine Geburt mit ganz langen Presswehen“ist.

Im Advent im vergangene­n Jahr habe er einmal kurzfristi­g einen Gottesdien­st übernommen. „Eine Woche Zeit, das war für mich eine wahre Herausford­erung“. Der 61-Jährige nimmt seine Rolle sehr ernst. Auch den Talar würde er nie grundlos tragen, denn er vertrete dann die Kirche. „Ich trete dann ein Stück zurück, auch von mir selbst.“

Bei seinen Predigten ein Headset aufzusetze­n, das fand Berg zu Beginn etwas ulkig. „Ich wollte nicht aussehen wie Madonna“, sagt er und meint damit nicht die biblische Maria, sondern die US-amerikanis­che Sängerin. Mit der Zeit habe er sich jedoch an das Gerät gewöhnt. Überhaupt ist Berg ein reformiert­er Christ, hat als Arzt einen aufgeklärt­en Blick auf die Schöpfungs­geschichte, und er lebt mit einer katholisch­en Frau zusammen. Sie liest oder hört seine Predigten meistens als Erste und hat ihm auch den Rat gegeben, beim Predigen nicht so ernst zu gucken. „Stell dir vor, du kommst ins Patientenz­immer“, habe eine Freundin einmal zu ihm gesagt, als sie ihn für die Webseite der Arztpraxis fotografie­rte. Ein freundlich­es Gesicht für die Kinder.

Und wenn man es einmal ganz unprätenti­ös nimmt: ob Kirchgänge­r oder kleine Patienten – so sind beide auf der Suche nach etwas, ob es nun Heilung, Fürsorge oder Antworten sind. Somit hat sich für Eberhard Berg nicht viel verändert. Nur der Einstieg ist nun ein Vers oder Psalm aus der Bibel. Und nicht immer die Frage: Na, wo tut es denn weh?

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