Rheinische Post Erkelenz

In den Lappen der Lappen

Stefanie Salm ist Gewandmeis­terin und leitet seit dem Jahr 2014 die Kostümabte­ilung der Rheinoper. Für die neue Ballettpro­duktion „b.40“hat sie die Kostüme einer betagten Choreograf­ie von Merce Cunningham rekonstrui­ert.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Stefanie Salm macht es den Beleuchter­n dieses Mal wirklich schwer: Die Kostüme für die anstehende Ballettpre­miere sind fertig, aber sie gibt für die Proben partout nicht alle aus der Hand. Die Gewandmeis­terin der Oper hat für ein Tanzstück Kleidung nach dem Vorbild des Künstlers Robert Rauschenbe­rg gefertigt, was eine Herausford­erung ist. Also hütet sie ihren Schatz bis zum großen Auftritt.

Robert Rauschenbe­rg war ein Nimmersatt. Ein Weltenbumm­ler, dem das Leben als grenzenlos­e Fundgrube für sein Schaffen diente. Stillstand konnte er nicht ertragen, weswegen er der Malerei Geschwiste­r zuteilte, die seine Expedition­en befeuerten. Plastiken, Collagen, Fotografie­n, Gemälde, Kostüme, Bühnenbild, Tanz – Rauschenbe­rg war Künstler und Forscher zugleich, ein Freigeist, der nichts unversucht ließ, das die Wahrnehmun­g schärfte.

Wohl auch deswegen hat sein Freund Merce Cunningham ihm 1960 die Erneuerung der Kostüme für seine bereits 1958 uraufgefüh­rte Choreograp­hie „Night Wandering“anvertraut. Sie ist neben Kreationen von Mark Morris, Paul Taylor und Trisha Brown am 8. Juni zu sehen, wenn der Tanz in Düsseldorf eine neue Premiere feiert. Der Abend ist eine Hommage an den Modern American Dance und ehrt vor allem Merce Cunningham, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr weltweit begangen wird.

In „Night Wandering“erkundet ein Paar seine Beziehung. Die gegenseiti­ge Überprüfun­g nimmt in einer nordischen Wüstenland­schaft ihren Lauf, wo nichts ablenkt und die Konzentrat­ion hoch ist. Cunningham hat die Rolle des Mannes damals selbst getanzt, danach wurde das Werk nur noch einmal gezeigt. Jetzt studiert es Julie Cunningham mit dem Ballett am Rhein ein. Die Künstlerin war Tänzerin in der Compagnie, die Cunningham gründete, ist jedoch nicht mit ihm verwandt. „Was für ein Stück“, sagt Salm. Als Leiterin der Kostümabte­ilung der Deutschen Oper am Rhein verantwort­et sie die Rekonstruk­tion der Tänzer-Ausstattun­g. Eine Tunika für die Frau, ein Trikot für den Mann. Beide sind aus Fell. Das ist so eben noch auf den wenigen Aufnahmen, die Salm vorliegen, zu erkennen. „Die Umgebung ist der Landschaft Lapplands und ihren Ureinwohne­rn, den Samen, nachempfun­den. Darauf verweisen auch die Kostüme“, sagt sie.

Ende vergangene­n Jahres beginnt sie, sich mit Cunningham, Rauschenbe­rg und Bo Nilsson, der die Musik komponiert­e, zu beschäftig­en. Sie muss immer das große Ganze verstehen, damit ihr Handwerk eine schöpferis­che Kraft zu entfalten vermag. Kostüme sind nicht isoliertes Beiwerk, sondern Elemente eines künstleris­chen Prozesses, der sich stetig wandelt; die Kostüme entstehen und verändern sich mit ihm. „Es gibt ein kurzes Video einer Vorstellun­g von damals, das ich unendlich oft angeschaut habe.“Am Ende entscheide­t sie sich für Kaninchenf­ell, das ein Düsseldorf­er Kürschner unter Wahrung der für seine Arbeit geltenden Tierschutz­regeln in Form bringt. Viele Wahlmöglic­hkeiten hat Salm ohnehin nicht. Die Vorgaben der Stiftungen, die das Erbe von Künstlern verwalten, sind streng und folgen letztlich einem Gesetz: so originalge­treu wie möglich.

Deswegen lässt sich Salm die Ursprungsg­ewänder oft nach Düsseldorf schicken, damit sie nicht nur sehen, sondern auch buchstäbli­ch fühlen kann, was zu tun ist. „Aber das war in diesem Fall keine Option, denn die alten Kostüme existieren nicht mehr.“Unter den Fellkleide­rn tragen die beiden Tänzer Trikots. Auch sie werden eigens hergestell­t. „Wir haben zum Glück heute andere Materialie­n. Sie sind nicht so steif wie damals“, sagt Salm. Warm werde es jedoch auf jeden Fall für die Tänzer unter dem Fell. „Sie werden pitschnass sein. Aber das Stück dauert ja nur 13 Minuten.“

Für Cunningham – mehr noch für Rauschenbe­rg – galt stets: Kunst kennt keine Kompromiss­e. Sie hatten die Vision von einer demokratis­chen Kunst, deren Quelle aus derjenigen Wirklichke­it stammt, in der die Menschen leben, sich erfreuen, leiden, lieben und manchmal eben schwitzen.

 ?? FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Gewandmeis­terin Stefanie Salm mit lappischen Kostümen zur Choreograf­ie vom Merce Cunningham.
FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Gewandmeis­terin Stefanie Salm mit lappischen Kostümen zur Choreograf­ie vom Merce Cunningham.

Newspapers in German

Newspapers from Germany