Medikamente werden immer häufiger knapp
Derzeit sind 226 Mittel betroffen, darunter Arzneien wie Valsartan und Ibuprofen. Apotheken und Krankenkassen streiten über die Gründe.
DÜSSELDORF Mal sind es Antibiotika, mal Schmerzmittel oder Blutdrucksenker – in Deutschland fehlen immer öfter wichtige Medikamente. „Derzeit liegen 226 Meldungen vor, bei denen eine eingeschränkte Verfügbarkeit oder ein Lieferengpass mitgeteilt wurde“, sagte die Sprecherin des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte unserer Redaktion. Damit setzt sich ein Trend fort: 2013 hatten Hersteller noch 40 Engpässe gemeldet, im vergangenen Jahr waren es schon 264. „Früher gab es vereinzelt Engpässe, heute haben Apotheken im Schnitt deutlich mehr als 100 Positionen, die nicht lieferbar sind“, sagt Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein. „Mal fehlt eine bestimmte Dosierung, mal eine bestimmte Darreichungsform, mal der Wirkstoff ganz.“
Auch Klassiker wie das Schmerzmittel Ibuprofen sind betroffen: „Gemeldet sind Lieferengpässe für Ibuprofen AL 400, 600 und 800 Filmtabletten“, erklärte die Behörde. „Auch sind Kleinpackungen oft nicht lieferbar“, so Preis. Zwar werde Ibuprofen von Dutzenden Firmen in Deutschland angeboten, doch der Wirkstoff werde weltweit nur von sechs Herstellern produziert.
Mit dem Sommer kommen die Wespen, und hier droht sich ein Problem zu wiederholen. „Im vergangenen Jahr gab es Engpässe bei Allergie-Notfallspritzen, die sich Menschen bei Wespenstichen setzen müssen. Sie waren über Wochen nicht lieferbar. Nun werden die Bestände in den Apotheken erneut knapp“, sagt Apotheker Preis.
Bei fünf gemeldeten Lieferengpässen schaut das Bundesinstitut besonders hin, da die Mittel als versorgungsrelevant gelten, weil es etwa nur einen Zulassungsinhaber oder Hersteller gibt: Darunter ist das Krebsmittel Erwinase.
Bei Lieferengpässen bemühen sich Apotheken und Ärzte um Ersatzprodukte. Doch die haben womöglich Nebenwirkungen, die Umstellung kostet Zeit oder viel Geld. Prominentes Beispiel ist der Blutdrucksenker Valsartan. Hier können fast alle Generika-Hersteller nicht mehr liefern, nur noch der Hersteller des teuren Originals. Folge: „Patienten müssen im Monat fast 100 Euro aufzahlen, um weiter ihr Mittel zu bekommen“, sagt Thomas Preis. Ursache sei, dass der chinesische Lieferant des Wirkstoffs Qualitätsprobleme habe und die Generika-Hersteller keinen Wirkstoff mehr geliefert bekämen.
Viele Wirkstoffe werden mittlerweile in Indien, China und Israel produziert und von deutschen Herstellern nur noch zu Tabletten gepresst und verpackt, sagt Preis. Zudem steige mit dem Wohlstand weltweit die Nachfrage nach Arzneien. „Vor allem bei einer Monopolisierung der Wirkstoffhersteller besteht ein erhöhtes Risiko für Engpässe“, warnt die Behörde.
Dazu tragen auch die Rabattverträge der Krankenkassen bei, so die Apotheker. „Manche Kassen geben im Rahmen ihrer Rabattverträge schon mal nur einem Hersteller den Zuschlag. Bekommt er Produktionsprobleme, kommt es zu Engpässen“, warnt Preis. Das droht vor allem, wenn es um große Kassen wie die AOKen geht, die einen Marktanteil von 36 Prozent haben.
Der AOK-Bundesverband räumt ein, dass die Kassen teilweise Verträge mit nur einem Hersteller haben: „Das macht höhere Rabatte möglich, als wenn viele Hersteller beteiligt sind. Davon profitieren auch unsere Mitglieder“, erklärte ein AOK-Sprecher. Dies sei aber kein Problem, da der ausgewählte Hersteller sich verpflichten müsse, stets die Versorgung zu gewährleisten. „Lieferengpässe haben nichts mit Rabattverträgen zu tun, der Hauptgrund für die Probleme sind die Produktionsverlagerungen der Hersteller ins Ausland.“