„Man muss Gesetze kompliziert machen“
Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat für Äußerungen zum Gesetzgebungsprozess heftige Kritik geerntet. Das könnte Folgen haben.
BERLIN Der Video-Ausschnitt ist nicht lang, verbreitet vom ARD-Magazin „Bericht aus Berlin“, aufgenommen am Donnerstag beim „Zweiten Berliner Kongress für wehrhafte Demokratie“. Er zeigt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor einer Wand, er äußert sich zum parlamentarischen Verfahren des Migrationspaktes. Soweit nicht außergewöhnlich. „Das Gesetz nennt man Datenaustauschgesetz, ganz stillschweigend eingebracht“, sagt Seehofer und meint damit ein von seinem Ministerium verfasstes Regelwerk mit dem offiziellen Titel „Zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz“.
Doch dann fährt Seehofer in ungewöhnlicher Weise fort: „Wahrscheinlich deshalb stillschweigend, weil es kompliziert ist, das erregt nicht so.“Was nun viele Menschen in den sozialen Netzwerken in Rage versetzt, sind die Erklärungen des Innenministers, wie man mit Widerspruch umgeht. „Ich hab’ jetzt die Erfahrung gemacht in den letzten 15 Monaten: Man muss Gesetze kompliziert machen. Dann fällt das nicht so auf.“Man mache nichts Illegales, fügt Seehofer hinzu, man mache Notwendiges. „Aber auch Notwendiges wird ja oft unzulässig in Frage gestellt.“
Dass nun ausgerechnet der Innenminister, der neben dem Justizressort über die Verfassung wachen soll, sich so äußert, stößt auf breites Unverständnis. Grünen-Chefin Annalena Baerbock schrieb bei Twitter: „Ein solches Demokratieverständnis – und das von einem Bundesminister – macht mich fassungslos.“Wolfgang Bosbach (CDU), der die Veranstaltung am Donnerstag moderierte, verteidigte Seehofer unterdessen. „Jeder der dabei war, hat doch gespürt, dass es Ironie war“, so der Politiker.
Doch für die SPD ist die Angelegenheit ernst. Sie trug den Migrationspakt nach diversen Änderungen im Parlament mit, muss sich nach Seehofers Äußerungen aber auch Kritik anhören, gemeinsame Sache mit der Union zu machen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil ging auf Distanz und forderte eine Entschuldigung von Seehofer. Für einen Minister sei eine solche Überheblichkeit gegenüber dem Parlament nicht akzeptabel.
Auch Juso-Chef Kevin Kühnert ging in die Offensive. Der eigentliche Skandal sei nicht, dass Horst Seehofer Gesetze künstlich komplizierter machen will. „Dass die Union beispielsweise gerne sachfremde Dinge in sogenannten Gesetzespaketen vermengt, das wissen wir seit Jahren“, so Kühnert. Der eigentliche Skandal sei Seehofers Aussage, dass Gesetze „oft unzulässig in Frage gestellt“würden. „Dieser Satz ist nach Annegret Kramp-Karrenbauers Überlegungen zu Wahlaufrufen im Netz binnen weniger Tage bereits der zweite Frontalangriff aus der Union auf die Meinungsfreiheit“, sagte Kühnert. „Das bereitet mir ernsthaft Sorgen.“Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“äußerte sich Seehofer am Freitag. Er habe die Aussage „leicht ironisch“formuliert, zitiert ihn die Zeitung.
Im Parlament wurde der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, am Freitagmorgen jedoch sehr deutlich – im Beisein von Seehofer: „Wir Sozialdemokraten haben uns verhöhnt gefühlt. Ich finde es eine Frechheit und Dreistigkeit, was Sie sich da erlaubt haben.“Das Gesetz bezeichnete Schneider als regulär beraten und gar nicht kompliziert.
Dieses „Zweite Datenaustauschverbesserungsgesetz“ist Teil des Migrationspakts der Bundesregierung, der an diesem Freitag vom Bundestag verabschiedet wurde. Das Gesetz soll Daten des Ausländerzentralregisters (AZR) für mehr Behörden zugänglich machen, um die Koordinierung von Asylsuchenden und Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung zu erleichtern. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber (SPD), sagte im Mai bei einer Anhörung im Innenausschuss, dass es verfassungs- und europarechtliche Bedenken gebe. Datenschutz gelte nicht nur für deutsche, sondern auch für nichtdeutsche Staatsbürger. Die für Innenpolitik zuständige, stellvertretende SPD-Fraktionschefin Eva Högl verteidigte das Gesetz. Man verbessere den Zugriff auf Daten von Asyl- und Schutzsuchenden, die Datenschutzbeauftragten würden einbezogen.