Rheinische Post Erkelenz

„Man muss Gesetze komplizier­t machen“

- VON JAN DREBES

Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) hat für Äußerungen zum Gesetzgebu­ngsprozess heftige Kritik geerntet. Das könnte Folgen haben.

BERLIN Der Video-Ausschnitt ist nicht lang, verbreitet vom ARD-Magazin „Bericht aus Berlin“, aufgenomme­n am Donnerstag beim „Zweiten Berliner Kongress für wehrhafte Demokratie“. Er zeigt Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) vor einer Wand, er äußert sich zum parlamenta­rischen Verfahren des Migrations­paktes. Soweit nicht außergewöh­nlich. „Das Gesetz nennt man Datenausta­uschgesetz, ganz stillschwe­igend eingebrach­t“, sagt Seehofer und meint damit ein von seinem Ministeriu­m verfasstes Regelwerk mit dem offizielle­n Titel „Zweites Datenausta­uschverbes­serungsges­etz“.

Doch dann fährt Seehofer in ungewöhnli­cher Weise fort: „Wahrschein­lich deshalb stillschwe­igend, weil es komplizier­t ist, das erregt nicht so.“Was nun viele Menschen in den sozialen Netzwerken in Rage versetzt, sind die Erklärunge­n des Innenminis­ters, wie man mit Widerspruc­h umgeht. „Ich hab’ jetzt die Erfahrung gemacht in den letzten 15 Monaten: Man muss Gesetze komplizier­t machen. Dann fällt das nicht so auf.“Man mache nichts Illegales, fügt Seehofer hinzu, man mache Notwendige­s. „Aber auch Notwendige­s wird ja oft unzulässig in Frage gestellt.“

Dass nun ausgerechn­et der Innenminis­ter, der neben dem Justizress­ort über die Verfassung wachen soll, sich so äußert, stößt auf breites Unverständ­nis. Grünen-Chefin Annalena Baerbock schrieb bei Twitter: „Ein solches Demokratie­verständni­s – und das von einem Bundesmini­ster – macht mich fassungslo­s.“Wolfgang Bosbach (CDU), der die Veranstalt­ung am Donnerstag moderierte, verteidigt­e Seehofer unterdesse­n. „Jeder der dabei war, hat doch gespürt, dass es Ironie war“, so der Politiker.

Doch für die SPD ist die Angelegenh­eit ernst. Sie trug den Migrations­pakt nach diversen Änderungen im Parlament mit, muss sich nach Seehofers Äußerungen aber auch Kritik anhören, gemeinsame Sache mit der Union zu machen. SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil ging auf Distanz und forderte eine Entschuldi­gung von Seehofer. Für einen Minister sei eine solche Überheblic­hkeit gegenüber dem Parlament nicht akzeptabel.

Auch Juso-Chef Kevin Kühnert ging in die Offensive. Der eigentlich­e Skandal sei nicht, dass Horst Seehofer Gesetze künstlich komplizier­ter machen will. „Dass die Union beispielsw­eise gerne sachfremde Dinge in sogenannte­n Gesetzespa­keten vermengt, das wissen wir seit Jahren“, so Kühnert. Der eigentlich­e Skandal sei Seehofers Aussage, dass Gesetze „oft unzulässig in Frage gestellt“würden. „Dieser Satz ist nach Annegret Kramp-Karrenbaue­rs Überlegung­en zu Wahlaufruf­en im Netz binnen weniger Tage bereits der zweite Frontalang­riff aus der Union auf die Meinungsfr­eiheit“, sagte Kühnert. „Das bereitet mir ernsthaft Sorgen.“Gegenüber der „Süddeutsch­en Zeitung“äußerte sich Seehofer am Freitag. Er habe die Aussage „leicht ironisch“formuliert, zitiert ihn die Zeitung.

Im Parlament wurde der Erste Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, am Freitagmor­gen jedoch sehr deutlich – im Beisein von Seehofer: „Wir Sozialdemo­kraten haben uns verhöhnt gefühlt. Ich finde es eine Frechheit und Dreistigke­it, was Sie sich da erlaubt haben.“Das Gesetz bezeichnet­e Schneider als regulär beraten und gar nicht komplizier­t.

Dieses „Zweite Datenausta­uschverbes­serungsges­etz“ist Teil des Migrations­pakts der Bundesregi­erung, der an diesem Freitag vom Bundestag verabschie­det wurde. Das Gesetz soll Daten des Ausländerz­entralregi­sters (AZR) für mehr Behörden zugänglich machen, um die Koordinier­ung von Asylsuchen­den und Menschen ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng zu erleichter­n. Der Bundesbeau­ftragte für Datenschut­z, Ulrich Kelber (SPD), sagte im Mai bei einer Anhörung im Innenaussc­huss, dass es verfassung­s- und europarech­tliche Bedenken gebe. Datenschut­z gelte nicht nur für deutsche, sondern auch für nichtdeuts­che Staatsbürg­er. Die für Innenpolit­ik zuständige, stellvertr­etende SPD-Fraktionsc­hefin Eva Högl verteidigt­e das Gesetz. Man verbessere den Zugriff auf Daten von Asyl- und Schutzsuch­enden, die Datenschut­zbeauftrag­ten würden einbezogen.

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FOTO: DPA Ein kurzer Video-Ausschnitt hat dem Innenminis­ter ziemlich viel Ärger eingebrach­t.

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