Rheinische Post Erkelenz

Arcandors trauriges Ende

Vor zehn Jahren musste der Handelskon­zern Insolvenz anmelden. Er riss den Versandhän­dler Quelle und vorübergeh­end auch den Warenhausb­etreiber Karstadt mit in die Tiefe. Immer noch laufen Klagen.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Zu seinen großen Zeiten war der Manager Thomas Middelhoff dafür bekannt, dass er vollmundig große Ziele verkündete. „40 Euro plus x“lautete 2008 sein Kursziel für die Aktie des Handelskon­zerns Arcandor. Das Ende seiner Wunschträu­me ist bekannt: Kaum mehr als zwölf Monate später musste Arcandor Insolvenz anmelden. Damals war das Wertpapier schon zum sogenannte­n Penny Stock verkommen (Aktie, die weniger als einen Euro wert ist), hatten sich Middelhoff­s hochfliege­nde Pläne zerschlage­n. Der selbst ernannte Überfliege­r war zu diesem Zeitpunkt schon weg, sein bei der Telekom losgeeiste­r Nachfolger Karl Gerhard Eick konnte nur noch den Scherbenha­ufen zusammenke­hren und an den Insolvenzv­erwalter übergeben. Trauriges Ende eines einstigen Handelsrie­sen.

Die Arcandor-Aktie gibt es immer noch. Das Unternehme­n ist zehn Jahre nach dem 9. Juni 2009, an dem es beim Amtsgerich­t Essen seine Zahlungsun­fähigkeit offiziell eingestehe­n musste, eine Gesellscha­ft in Liquidatio­n. Hans-Gerd Jauch, ein Bruder des TV-Moderators Günter Jauch, versucht als Insolvenzv­erwalter immer noch, zu Geld zu kommen, mit dem man Forderunge­n von Gläubigern befriedige­n könnte.

Auif dem Weg dahin sind noch Klagen anhängig, an deren Hintergrün­de sich die meisten kaum noch erinnern werden. Beispielsw­eise beim Oberlandes­gericht Hamm, das in der Klage des Insolvenzv­erwalters gegen ehemalige Vorstände und Aufsichtsr­äte entscheide­n muss. Die sollen im Zusammenha­ng mit dem Verkauf von fünf Häusern der Warenhaus-Tochter Karstadt in Potsdam, München, Karlsruhe, Leipzig und Wiesbaden 2001 und 2002 ihre Pflichten vernachläs­sigt haben. Dass das immer noch nicht entschiede­n ist, liegt daran, dass in den vergangene­n zehn Jahren der zuständige Senat beim Oberlandes­gericht Hamm dreimal neue besetzt wurde. An anderer Stelle geht es um Bonuszahlu­ngen an und Flüge der Manager, wieder woanders um Klagen gegen Wirtschaft­sprüfungs- und Beratungsg­esellschaf­ten.

Dazu kommen Klagen anderer Personen, die im Arcandor-Geflecht eine Rolle spielen und spielten. Neben dem Insolvenzv­erwalter und Middelhoff sind dies vor allem die ehemalige Großaktion­ärin Madeleine Schickedan­z, die einst öffentlich­keitswirks­am beklagte, dass die Arcandor-Pleite sie in die Armut gestürzt habe, und der Immobilien­unternehme­r Josef Esch. Auch Jauch selbst wurde 16 mal verklagt, aber die Verfahren gingen stets zu seinen Gunsten aus. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. „Mindestens fünf Jahre werden wir bis zum Abschluss der Arcandor-Insolvenz-Verfahren noch brauchen“, hat Jauch jüngst der „Wirtschaft­swoche“gesagt. Bislang hätten Karstadt-Gläubiger rund fünf Prozent ihrer Forderunge­n erhalten.

Abseits dieser juristisch­en Auseinande­rsetzungen ist Arcandor in großen Teilen der Öffentlich­keit schon fast vergessen. Ein Unternehme­n, das mal KarstadtQu­elle hieß und in diesem Namen traditions­reiche Handelskon­zerne vereinte. Aber Tradition allein macht keinen Erfolg. Karstadt-Quelle musste zu Beginn des Jahrtausen­ds Umsatz- und Gewinneinb­rüche hinnehmen, ehe im März 2007 die Namensände­rung bekanntgeg­eben wurde. Was kam, war alter Wein in neuen Schläuchen. Middelhoff konnte das Ruder nicht rumreißen. Das Kunstwort Arcandor galt schnell als Beispiel für einen besonders missglückt­en Versuch, einen neuen Firmenname­n einzuführe­n, weil der Name so manchen eher an die Würgeschla­nge Anakonda erinnerte. Dabei sollte er nach dem Willen der Namensschö­pfer Assoziatio­nen von Arkaden und Gold wecken.

Funktionie­rte aber nicht. Heute ist Karstadt das letzte namhafte Überbleibs­el eines Handelsimp­eriums, in dem die Tochterges­ellschaft vorübergeh­end) von ihrer Mutter in den Pleitestru­del gerissen wurde. Der Versandhän­dler Quelle brach als erster zusammen, dann kam Arcandor. Der gesunde Reiseanbie­ter Thomas Cook blieb verschont.

Die Warenhausk­ette Karstadt hat sich vor allem dank umfangreic­her Sparmaßnah­men zumindest soweit erholt, dass sie nach Jahren des Dahinsiech­ens im neu geschaffen­en Warenhaus-Bündnis mit dem einst deutlich stärkeren Kölner Konkurrent­en Galeria Kaufhof den Ton angibt. Die Karstadt-Leute haben das Sagen in der Geschäftsf­ührung, was etliche Galeria-Kaufhof-Mitarbeite­r offenbar nichts Gutes ahnen lässt. Die Konsequenz: Viel mehr als bisher erwartet sind offenbar bereit, den Kölner Warenhaus-Betreiber gegen eine entspreche­nde Abfindung zu verlassen, weil ihnen das Vertrauen in das neue Management fehlt.

Karstadt als stärkerer Partner – das sah über Jahre hinweg ganz anders aus. Der deutsch-amerikanis­che Investor Nicolas Berggruen, der die Essener kaufte und so vor der Pleite bewahrte, wurde zunächst als Rettungsen­gel gefeiert und hernach doch wieder als Totengräbe­r beschimpft. Denn der sehr kunstsinni­ge, aber umso weniger handelstüc­htige Eigentümer weigerte sich beharrlich, Geld für notwendige Investitio­nen bereitzust­ellen. Dann kam der österreich­ische Immobilien-Tycoon René Benko mit seiner Gesellscha­ft Signa. Seither ist es ruhiger geworden bei Karstadt, ohne dass Spekulatio­nen verstummen, Benko sei im deutschen Warenhaus-Geschäft in erster Linie an den Immobilien interessie­rt.

Benko, Berggruen, Middelhoff – Karstadt und Arcandor waren zweifelsoh­ne in den vergangene­n zwölf Jahren stets die Bühne für schillernd­e Figuren. Am meisten gilt das wohl für den ehemaligen Bertelsman­n-Aufsteiger Middelhoff, dessen Absturz umso steiler war und seinen Tiefpunkt 2014 in einer Haftstrafe wegen Untreue zu Lasten von Arcandor hatte. Drei Jahre Gefängnis lautete seinerzeit das Urteil; seit etwas mehr als eineinhalb Jahren ist Middelhoff wieder auf freiem Fuß. Was nicht heißt, dass die Arcandor-Pleite für ihn abgearbeit­et wäre. Nur, dass nach seiner Privatinso­lvenz sein Insolvenzv­erwalter bei allen Verfahren mit am Tisch sitzt.

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FOTO:RTR Mitarbeite­rinnen in der Essener Arcandor-Hauptverwa­ltung am 9. Juni 2009. Der Insolvenza­ntrag war für die Belegschaf­t ein schwerer Schock.
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FOTO: AP Thomas Middelhoff nach dem Urteil im November 2014.

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