Rheinische Post Erkelenz

„Wir müssen sympathisc­h auftreten“

- Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g (l.) und Spielerin Svenja Huth signieren am 4. Juni nach einer Trainingse­inheit der Nationalma­nnschaft ein T-Shirt. GIANNI COSTA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Die Frauenfußb­all-Bundestrai­nerin über die WM-Aussichten, eine DFB-Präsidenti­n und wieso das Kaffeeserv­ice 1989 eine gute Titelprämi­e war.

FRANKFURT/M. Martina Voss-Tecklenbur­g hat 125 Mal im Nationalte­am gespielt. Sie weiß auch, wie es ist, im Finale einer Frauenfußb­all-WM zu stehen. 1995 war das, die Deutschen verloren 0:2 gegen Norwegen. Damals war normal, dasss eine deutsche Frauenmeis­terschaft in einem Turnier um den Titel mitspielte. Doch wenn die DFB-Spielerinn­en mit der Bundestrai­nerin Voss-Tecklenbur­g am Samstag gegen China (15 Uhr/ARD) in die WM in Frankreich einsteigen, haben die anderen Nationen aufgeholt. Die 51-jährige gebürtige Duisburger­in hat dagegen eine Mannschaft im Umbruch übernommen und warnt vor überzogene­n Erwartunge­n.

Frau Voss-Tecklenbur­g, reden wir zunächst über Pferdeschw­änze? VOSS-TECKLENBUR­G (lacht) Sollen wir nicht wenigstens anstandsha­lber mit einer klassische­n Fußballfra­ge beginnen. Aber wir können natürlich auch zunächst über Pferdeschw­änze reden.

Es geht ja nicht um irgendwelc­he Pferdeschw­änze, sondern die Ihrer Spielerinn­en. Im aktuellen Werbespot des Sponsors der Frauen-Nationalma­nnschaft heißt es: „Wir brauchen keine Eier – wir haben Pferdeschw­änze.“Haben Sie zunächst gezuckt, als Sie das Drehbuch gelesen haben? VOSS-TECKLENBUR­G Es fing eigentlich alles ganz harmlos an. Als uns die Verantwort­lichen der Commerzban­k das Skript vorgestell­t haben, da konnte man sich noch nicht vorstellen, was am Ende herauskomm­en würde. Aber ich hatte gleich das Gefühl, dass wir uns damit hundertpro­zentig identifizi­eren können. Die Reaktionen der Spielerinn­en waren entspreche­nd positiv. Wir haben alle Spots in viereinhal­b Stunden an einem Tag in der Klosterpfo­rte in Marienfeld abgedreht. Wir sind alle begeistert und stolz über das Ergebnis. Es ist authentisc­h. Es zeigt, wie der Frauenfußb­all sich entwickelt hat.

Weil man selbst über sich lachen kann?

VOSS-TECKLENBUR­G Es ist mindestens eine wichtige Lebenseins­tellung, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Insofern kann es sehr befreiend sein, auch mal über sich lachen zu können. Sie selbst sind zu sehen, wie Sie eine Kaffeetass­e in der einen, einen Untersetze­r in der anderen hochhalten. Ein solches Service haben Sie 1989 nach dem Gewinn des ersten EM-Titels vom DFB als Prämie bekommen.

VOSS-TECKLENBUR­G Und wissen Sie was? Ich habe es immer noch. (lacht) Jedenfalls in großen Teilen. Es ist ehrlich gesagt nicht mehr vollständi­g. Hermann (ihr Mann, der Bauunterne­hmer Hermann Tecklenbur­g; Anm. d. Red.) benutzt es fast täglich. Es ist also alles andere als ein Staubfänge­r.

Aus heutiger Sicht wirkt es wie eine Respektlos­igkeit, dass es vom DFB eine solche Prämie ausgelobt wurde.

VOSS-TECKLENBUR­G So sehe ich das nicht. Es war der Anfang. Und sehen Sie, das Service hat ja bis heute auch seinen Zweck erfüllt. Es hat sich aber zum Glück in den vergangene­n Jahren eine Menge getan. Auch im DFB hat es ein Umdenken gegeben. Frauenund Männerbere­ich werden immer enger zusammenge­führt. Seit ein paar Monaten profitiere­n wir in der DFB-Akademie ganz konkret von dem Austausch, können Synergien und Wissen viel besser nutzen. Wenn wir gefragt werden, was wir brauchen, um maximal erfolgreic­h zu sein, dann ist das nicht einfach so dahergesag­t.

Ist der DFB bereit für eine Präsidenti­n an der Spitze? VOSS-TECKLENBUR­G Bereit glaube ich schon. Die Frage ist, ob man auch eine geeignete Kandidatin hat, die auch den Job machen möchte. Ich bin sicher, dass es welche gibt. Aber darum geht es nicht in erster Linie. Es wird irgendwann eine Präsidenti­n geben. Es wird sicher auch mal eine Trainerin in der Bundesliga bei den Männern geben.

Ihre frühere Lebenspart­nerin Inka Grings ist als Trainerin mit dem SV Straelen aus der Regionalli­ga abgestiege­n. So hoch hat noch nie eine Frau eine Männermann­schaft trainiert. Nun soll Sie den Wiederaufs­tieg schaffen. Zuversicht­lich, dass es klappt?

VOSS-TECKLENBUR­G Die Inka macht einen guten Job. Sie ist eine sehr ehrgeizige Trainerin, die ein anspruchsv­olles und interessan­tes Training macht. Sie ist in einer Phase zum Verein gekommen, wo es nicht mehr leicht war, das Ruder rumzureiße­n. Und dennoch hat sie sehr gute Ergebnisse erzielt. Sie muss jetzt natürlich auch Erfahrunge­n sammeln. Sie ist noch relativ neu in dem Geschäft und kann noch einiges lernen – wie ich auch. Am Ende ist auch immer eine große Portion Glück nötig, um sich durchzuset­zen. An diesem Wochenende starten Sie mit der Partie gegen China in die WM. Zum zweiten Mal ein Turnier mit 24 Teams – ist das Teilnehmer­feld nicht viel zu aufgebläht und dadurch die Qualität deutlich geringer?

VOSS-TECKLENBUR­G Es mag durchaus Spielpaaru­ngen geben, wo es noch Luft nach oben gibt. Aber in unserer Gruppe gibt es nur anspruchsv­olle Gegner. China will sich in der Weltspitze etablieren, die Spanierinn­en haben sich enorm verbessert, und gegen Südafrika wird es auch bestimmt kein Selbstläuf­er. Die Welt hat sich weitegedre­ht. Wir waren in Deutschlan­d lange verwöhnt von den Erfolgen, aber viele Länder haben aufgeholt.

Italien, Spanien und England konnten unlängst bei Spielen Rekordzusc­hauerzahle­n vermelden. Haben Sie Angst, dass die deutsche Bundesliga angehängt werden könnte?

VOSS-TECKLENBUR­G Das muss man differenzi­ert betrachten. Es waren in diesen Ländern alles sehr spezielle Events. Da gab es die Karten zum Beispiel für fünf Euro oder umsonst. So kamen die gigantisch­en Zahlen zustande. An sich brauchen wir uns mit der Bundesliga nicht zu verstecken. Aber natürlich sollte man sich immer hinterfrag­en, ob und an welcher Stellschra­ube man noch etwas verändern kann.

Aber ist der Männer-Fußball hierzuland­e nicht derart dominant, dass es schwer ist noch Platz daneben zu schaffen? VOSS-TECKLENBUR­G Es gibt einfach eine Übersättig­ung im Fußball, ganz klar. Ich kann mich heute gemütlich aufs Sofa legen und in der Woche mindesten 15 bis 20 Partien live sehen. Aber das heißt nicht, dass wir jetzt die weiße Flagge hissen. Wir müssen unseren Weg gehen. Nahbar sein, auf ein sympathisc­hes Auftreten achten. Einfach ehrlichen Fußball bieten.

Sie haben eine Mannschaft im Umbruch übernommen. Sind Sie schon wieder in der Verfassung, um Titel zu spielen?

VOSS-TECKLENBUR­G Dieser Prozess geht jetzt schon eine Weile. Und es ist spannend zu sehen, was sich da entwickelt. Das liegt auch viel daran,

dass die Konkurrenz einfach viel, viel besser geworden ist. Früher kam doch oft der Spruch „Kannst du dir nicht angucken, wie die spielen“. Und ich muss zugeben, es waren teilweise wenig attraktive Spiele dabei.

Also ist es so, dass Titel heute mehr wert sind?

VOSS-TECKLENBUR­G Natürlich ist jeder Sieg, den du holst, verdient, und es soll auch keine Schmälerun­g der Leistung früherer Generation­en sein. Das wäre arrogant und totaler Quatsch. Nur gehört zur Wahrheit auch: Es gab mal eine Phase im Frauenfußb­all, da reichte es für uns aus, nur 60 bis 70 Prozent unserer Leistungsf­ähigkeit abzurufen, um zu gewinnen. Mit so einer Einstellun­g würde man heute nicht weit kommen. Wie gesagt – wir können stolz sein, wie sich alles entwickelt hat.

Und werden Sie am Ende Weltmeiste­r?

VOSS-TECKLENBUR­G Unser Ziel ist die Olympiaqua­lifikation. Dazu müssen wir unter den besten drei europäisch­en Teams landen. Also wahrschein­lich ins Halbfinale kommen. Unser Umbruch ist noch längst nicht abgeschlos­sen. Wir haben viele junge Spielerinn­en. Sehen Sie, 15 spielen ihre erste Frauen-WM. Manche Dinge brauchen etwas Zeit.

Klingt, als könnten Sie sich sehr gut mit Joachim Löw austausche­n. VOSS-TECKLENBUR­G (lacht) Machen wir auch gelegentli­ch, wir sind ja eine große DFB-Familie.

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FOTO: DPA

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